NS-Opfer auf dem Seziertisch der Innsbrucker Anatomie

Unter den Nationalsozialisten wurden Leichen Hingerichteter an Anatomische Institute gebracht (Symbolbild)
Unter den Leichen, die während der NS-Zeit an die Innsbrucker Anatomie kamen, waren Juden und Kriegsgefangene.

Theresia Reich war 77 Jahre alt, als sie und 24 weitere jüdische Bürger im September 1943 in Meran in Südtirol von den Nazis verhaftet wurden. Die Gruppe wurde nach Auschwitz geschickt. Reich starb bei einem Halt im Innsbrucker Lager Reichenau an den Folgen einer Lungenentzundüng.

Ihre Leiche wurde zu Lehr- und Forschungszwecken an das Innsbrucker Anatomie-Institut gebracht. Genauso wie jene von Josef Reischenböck. Der Salzburger Hauptschullehrer hatte sich dem kommunistischen Widerstand gegen das Nazi-Regime angeschlossen und wurde im Mai 1943 im Münchner Gefängnis Stadelheim hingerichtet.

128 Fälle dokumentiert

Ihre Geschichten finden sich in einer neuen Publikation des Historikers Herwig Czech und des Anatomen Erich Brenner, die in "NS-Opfer auf dem Seziertisch" gemeinsam die Geschichte des damaligen Instituts für Anatomie der Universität Innsbruck während der NS-Zeit aufgearbeitet haben. Sie gingen der Frage nach, wo die Körper herkamen, die hier von 1938 bis 1943 auf die Seziertische kamen.

NS-Opfer auf dem Seziertisch der Innsbrucker Anatomie

Joseph Reischenböck wurde 1943 hingerichtet

"Es sind 128 Fälle von Leichen dokumentiert, die aus dem NS-Unrechtskontext stammen. Nicht jede einzelne Person ist direkt durch das NS-Regime zu Tode gekommen", erklärt Czech, der bereits seit Jahren auf diesem Feld forscht. Diesen Menschen wolle man nun auch ihre "individuelle Geschichte zurückgeben".

Jüdische Opfer und Kriegsgefangene

Aus Stadelheim wurden während der NS-Zeit 59 Leichen nach Innsbruck überführt. Darüber hinaus wurden auch die Körper von 39 verstorbenen, sowjetischen Kriegsgefangen nach Innsbruck transportiert, von denen bisher 20 identifiziert werden konnten. Sieben Menschen, die aufgrund ihrer jüdischen Herkunft verfolgt worden waren, sind ebenfalls in den Registern verzeichnet.

Ein Ziel der Forschungsarbeit ist es, biographische Daten zu sammeln. „Wir wissen beispielsweise von den sieben jüdischen Opfern, dass laut Totenschein sechs Selbstmord begangen haben", erklärt Brenner, der 2016 das Forschungsprojekt gestartet hat.

20 Körper aus der Psychiatrie

Weitere Personen aus NS-Unrechtskontext sind zwei Männer, die von einem Innsbrucker Wehrmachts-Kriegsgericht zum Tode verurteilt worden waren. Ein anderer Eintrag lässt sich einer von der Gestapo-hingerichteten Person zuordnen.

Zudem werden 20 Körper gelistet, die der Psychiatrie in Hall zugeordnet werden können. Dabei handelt es sich nach derzeitigem Kenntnisstand allerdings nicht um Opfer der NS-Euthanasie. Aufgrund eines schweren Bombentreffers im Dezember 1943, bei dem das Institutsgebäude beschädigt wurde, konnten in der Folge keine weiteren Körper aufgenommen werden.

Präparate gefunden

"Wir wollen auch schauen, wofür diese Körper verwendet worden sind", sagt Brenner. So wurden etwa Schnittpräparate an das Institut für Histologie geliefert. Es existiert auch ein präpariertes Körperteil am Anatomie-Institut aus diesem Kontext.

Zum Umgang mit derartigen Präparaten gibt es laut dem Anatomen unterschiedliche Herangehensweisen. Insbesondere bei jüdischen Opfern sei das die Beisetzung. Bei deutschen Sammlungen sei man bei derartigen Fällen auch den Weg gegangen, bei Präparaten den Kontext dazu zu schreiben. "Wir haben hier noch keine Entscheidung getroffen", sagt Brenner.

Der Historiker Czech meint hingegen: "Ich glaube nicht, dass es noch möglich ist, an solchen Präparaten festzuhalten".

Kontakt zu Nachfahren

Es laufen jedenfalls Bemühungen, die teils noch unklare Herkunft von Menschen zu klären, deren Körper nach Innsbruck kamen. Dazu wurde mit der jüdischen Kultusgemeinde und der russischen Botschaft Kontakt aufgenommen. Wenn möglich, soll auch Kontakt zu Nachfahren augenommen werden. Bei zwei Kriegsgefangenen ist das bereits der Fall.

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