Mit Wattestäbchen dem Wolf auf der Spur

Mit Wattestäbchen dem Wolf auf der Spur
Bereits jeden dritten Tag rücken in Kärnten Experten nach einem Riss durch einen Wolf aus.

Ganz tief bückt sich Roman Kirnbauer auf dem steinigen Weg, der auf dem Bauernhof von Louis zu den Schafen hinab führt. Er schiebt seine olivgrüne Mütze nach oben und lauscht den Atemzügen des kleinen Schafes. „Hörst das Röcheln? Nicht gut“, sagt der 40-Jährige, seines Zeichens Wolfsbeauftragter des Landes Kärntens.

Louis, Bauer und Besitzer von 140 Mutterschafen in Flattach, im Kärntner Mölltal, nickt. Viel mehr könne er nicht tun, seitdem er am Morgen aus dem Fenster geschaut hat. „Vor meinem Zimmer sind zwei tote Schafe gelegen. Mir war sofort klar, das war der Wolf.“

Der Schafstall befindet sich drei Schritte entfernt vom Wohnhaus, die Nacht verbrachten die Schafe in einem eingezäunten Freigehege. „Der Wolf hat ein lockeres Brett weggerissen und sich zwei geholt. Das kleine Schaf wurde so schwer verletzt, dass wir es nun wohl erlösen werden“, sagt der Bauer und hebt das Tier hoch.

Mit Wattestäbchen dem Wolf auf der Spur

Wolfsbeauftragter Roman Kirnbauer (r). bei seiner Arbeit

Seit Wochen geht der Wolf im oberen Mölltal um. Etwa jeden dritten Tag rückt Kirnbauer oder einer seiner vier Kollegen zu einer sogenannten Rissbegutachtung aufgrund eines Wolfes aus. Wird ein Tier mutmaßlich von einem Wolf getötet, verständigt der Bauer die Risshotline des Landes. Ein Wildbiologe begutachtet dann den Riss, nimmt DNA-Proben und erfasst alle Daten.

War es wirklich ein Raubtier, gibt es eine Entschädigung. Je nach Schafart liegt sie zwischen 200 und 700 Euro. Ausbezahlt dürfte sie im Fall von Louis erst 2023 werden. „Das ist nur ein symbolischer Akt“, sagt Louis.

Bauern proben den Aufstand

Mit einem ganz anderen symbolischen Akt droht mittlerweile der Bürgermeister der Gemeinde Stall, die vor allem aufgrund ihrer niedrigen Impfquote österreichweite Bekanntheit erlangte. Er kündigt einen „Aufstand samt Tieren vor der Landesregierung und Landwirtschaftskammer an“, sollte nicht rasch eine klare Lösung für die Wolfsproblematik gefunden werden. Die Bauern fürchten um ihr Vieh, die Eltern um ihre Kinder, nachdem der Wolf mehrmals nahe der Bushaltestelle gesichtet worden war.

Eine Lösung sollte per Jahresanfang eigentlich die neue Kärntner Wolfsverordnung bringen. Denn taucht der streng geschützte Wolf im Siedlungsgebiet auf, wird er zum sogenannten Risikowolf. Nach Vergrämungsversuchen darf er bejagt werden. Für die Staller ist das zu viel Bürokratie.

„Der Wolf muss weg, ist Wunschdenken. Es gibt gesetzliche Regeln. Wobei ein unbürokratischer Abschuss in Kombination mit zumutbarem Herdenschutz, wo er möglich ist, vieles erleichtern würde“, sagt Kirnbauer, der davon ausgeht, dass man sich an die Präsenz des Wolfes wohl oder übel gewöhnen müsse.

Kulturfolger

„Der Wolf ist kein Kulturmeider, sondern ein Kulturfolger. Dadurch, dass er streng geschützt ist und nicht bejagt werden darf, geht aus seiner Sicht keine Gefahr vom Menschen oder Siedlungsgebiet aus. Warum sollte er den Menschen meiden?“, fragt Kirnbauer, während er den steinigen Weg am Bauernhof von Louis wieder nach oben schreitet.

Bis zu jener Plastikplane neben dem roten Traktor, unter der die zwei Kadaver der nächtlich gerissenen Schafe liegen. Der Wildbiologe nimmt mit einer Art Wattestäbchen einen DNA-Abstrich, begutachtet Einbisswunden. „Das war sicher ein Wolf“, kommt Kirnbauers Antwort, bevor noch die Frage gestellt werden konnte.

Zelteln gegen Wolf

Louis will seine Tiere trotz der Präsenz des Wolfes auftreiben. „Ich werde erstmal im Zelt bei ihnen schlafen, um den Wolf zu vertreiben, falls er zurückkommt.“

Außerdem soll ein Zaun für zusätzliche Sicherheit sorgen. „90 Zentimeter hohes Weidenetz, 20.000 Volt Spannung“, sagt der Jungbauer knapp. „140 bis 170 Zentimeter Höhe sind sicherer, wenn der Strom einmal ausfällt“, erwidert Kirnbauer. Herdenschutz lautet das Stichwort. Der wäre laut dem Wolfsbeauftragten sinnvoll. „Das ist wie bei einer Alarmanlage. Die schützt auch nicht vor Diebstahl, kann aber den Schaden minimieren.“

Schadensaufnahme mit der App

Apropos Schaden: Erfasst werden die Wolfsrisse seit heuer von den Wildbiologen des Landes direkt per Handy-App. Tierart, DNA-Proben- und Ohrmarkennummer, alles trägt der Wildbiologe in einer Maske ein. Auch das Raubtier, das für den Riss verantwortlich ist, wird aus einer Liste ausgewählt. Kirnbauer klickt auf Wolf.

Am Ende erscheint der Ort des Risses auf einer Landkarte als rosaroter Punkt. Wie viele Punkte es nach Beginn der Almsaison sein werden, wenn alle Tiere im Mölltal aufgetrieben sind, dazu wagt niemand eine Prognose.

Die Verordnung

Als erstes Bundesland präsentierte Kärnten Anfang des Jahres die neue Wolfsverordnung. Darin wird die Jagd nicht nur auf „Schadwölfe“ ermöglicht, die auf Almen Tiere reißen, sondern auch auf  „Risikowölfe“, die sich in Siedlungen aufhalten. Zwei Vergrämungsversuche (Rufe und Warnschuss) müssen gesetzt werden, dann darf das sonst streng geschützte Tier bejagt werden

Dass die betroffene Bevölkerung im Mölltal eine rasche Lösung will, versteht der zuständige ÖVP-Landesrat Martin Gruber: „Aber nur wenn wir die in der Verordnung vorgegebenen Schritte einhalten, sind alle rechtlich auf der sicheren Seite“

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