Kosovo: Bildung bietet der Armut die Stirn
Arlina Krasniqi und ihre Kinder werden von den Concordia Sozialprojekten unterstützt.
Der Müll beginnt plötzlich. Wenige Kilometer vom Zentrum der kosovarischen Stadt Gjakova entfernt bestimmen zunehmend weggeworfene Plastikverpackungen, demolierte Möbel und aufgeweichte Kartonagen die Landschaft. Müllsäcke stapeln sich am Straßenrand, verschlissene Kleidungsstücke sprenkeln die Wiesen. Ein trister Anblick und zugleich die Einkommensquelle von Arlina Krasniqi.
Zusammen mit ihren Kindern wohnt die sechsfache Mutter in einem der rudimentär errichteten Häuser, die das am Rande der Stadt gelegene Viertel Ali Ibra prägen. Der Wohnraum beschränkt sich auf die Küche und ein einzelnes weiteres Zimmer. "Hier ist es normal, dass 15 Personen auf zwei Räume verteilt leben", so Arlina.
Ein Leben im Abseits
Ihre Familie gehört zu den fast 90 Prozent der Bewohner des Stadtteils, die in extremer Armut leben und Sozialhilfe beziehen. 210 Euro erhält Arlina monatlich vom Staat. Um diese Summe aufzubessern, sammelt die 30-Jährige weggeworfenen Gegenstände, die sie unter einer Plane entlang der Hauswand stapelt und beim wöchentlichen Markt zu Geld macht. Bis zu 40 Euro pro Woche bringt diese Arbeit ein – bei Weitem nicht genug, um die Familie zu versorgen.
Müll säumt die Wegen in Ali Ibra.
"Ich bin gleichzeitig Vater und Mutter der Kinder", sagt sie. Ihr Mann verbringe die meisten Tage mit einer anderen Frau, unterstützt diese und den gemeinsamen Sohn finanziell. Arlina muss sich daher allein um den gemeinsamen Nachwuchs kümmern. Kraft, sich der Bildung ihrer sechs minderjährigen Kinder anzunehmen, bleibt ihr kaum. Ein belastetes Leben am sozioökonomischen Rand der kosovarischen Gesellschaft, das System hat; denn die Familie gehört, wie die meisten ihrer Nachbarn, einer der ethnischen Minderheiten im Land an.
Laut UNICEF leben rund 23 Prozent der Kinder im Kosovo in Armut, 7 Prozent sind von extremer Armut betroffen. Roma, Ashkalie und Ägypterinnen beziehungsweise Ägypter zählen in diesem Zusammenhang zu den vulnerabelsten Gruppen des Landes, sind besonders häufig von Armut, Ausgrenzung sowie Arbeitslosigkeit betroffen.
Trotz Schulpflicht besuchen Kinder aus diesen Gemeinden seltener Bildungseinrichtungen, verzeichnen häufiger Fehlzeiten und brechen eher ihre Ausbildung ab, wie etwa der "School Dropout Report 2024" festhält.
Andere Perspektiven
Grund dafür sind unter anderem die anhaltende Diskriminierung, mit der die ethnischen Minderheiten auch im Klassenzimmer konfrontiert sind, und informelle Kinderehen, die trotz Verboten weiterhin stattfinden.
Organisation
Ziel der Concordia Sozialprojekte ist es, Kindern und Jugendlichen zu helfen, aus dem Teufelskreis der Armut auszubrechen und ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Näheres unter: www.concordia.or.at
Wirkungsbereich
Concordia betreut über 100 Projekte in der Republik Moldau, Rumänien, Bulgarien, im Kosovo und in Österreich. Die Organisation betreibt 19 Tageszentren und unterstützt mehr als 5.000 Kinder, Jugendliche und Eltern.
Kosovo
Der Kosovo zählt zu den ärmsten Ländern Europas. Niedrige Löhne und die
wirtschaftliche Lage führen dazu, dass junge Menschen ihr Glück häufig im Ausland suchen.
"Bei den Minderheiten haben wir wahrscheinlich mit die höchste Zahl im Kosovo", erzählt Ardian Gjini, Bürgermeister von Gjakova. In manchen Gegenden sei es bereits gelungen, die marginalisierten Gemeinschaften in die Gesellschaft zu integrieren. In Ali Ibra oder ähnlichen, am Stadtrand gelegenen Gebieten ist man noch nicht so weit – hat aber bereits mit der Arbeit begonnen: "Wenn man es von außen betrachtet, hat sich etwas getan." Ein Grund dafür ist laut dem Stadtchef die Tätigkeit der Organisation Concordia Sozialprojekte.
Die österreichische NGO unterstützt marginalisierte Kinder und Jugendlichen in mehreren Ländern und ist seit 2021 auch im Kosovo tätig. Armutsbetroffenen jungen Menschen wird in den von Concordia betriebenen Tageszentren geholfen, oft bei schulischen Aufgaben. Aber auch saubere Kleidung, eine warme Mahlzeit und medizinisch-psychologische Betreuung gehören zum Angebot.
In den Zentren können die Kinder ihre Hausaufgaben erledigen und werden beim Lernen unterstützt.
Darüber hinaus besuchen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Familie Zuhause und helfen ihnen etwa dabei, Sozialhilfe zu beantragen. Tätigkeiten, die auch im Tageszentrum Ali Ibra umgesetzt werden und mittlerweile Früchte tragen. "Mehr Kinder gehen regelmäßig zur Schule", beobachtet Gjini. Darunter auch die Töchter von Arlina Krasniqi.
Der Bürgermeister sieht den Mehrwert der Concordia-Lernzentren jedoch nicht nur in akuten Verbesserungen, sondern auch in einer Langzeitwirkung: "Wenn wir bei diesen Kindern auf eine bestimmte Art und Weise beharrlich bleiben, werden sie ganz anders aufwachsen. Sie werden eine andere Perspektive für ihr Leben haben." Das wünscht sich auch Arlina Krasniqi für ihre Kinder. "Sie sollen nicht so leben müssen wie wir", hofft sie.
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