„Obdachlosigkeit ist keine saisonale Geschichte mehr“

Zwei Personen sitzen in einem spärlich eingerichteten Raum auf Betten und unterhalten sich.
Einrichtungen in Graz, die Obdachlosen zumindest über Nacht einen warmen Platz ermöglichen, sind nahezu voll.

Notbetten im Keller des Pfarrhaus, zusätzliche Matratzen in den Zimmern einer anderen Notschlafstelle: Die Einrichtungen in Graz, die obdachlosen Menschen zumindest über Nacht einen warmen Platz ermöglichen, sind nahezu voll. Allein die Vinziwerke betreuen derzeit 230 Menschen.

„Viel Kapazität haben wir nicht mehr“, bedauert die Koordinatorin der Vinziwerke, Nora Musenbichler. „Ab jetzt gibt es nur noch Notbetten.“ Dort sind es vor allem viele Roma-Familien aus Rumänien, die derzeit Hilfe benötigten, betont Musenbichler. Sie finden sonst nirgendwo Unterschlupf. Seit dem Sommer kümmert sich Pfarrer Wolfgang Pucher um die Betroffenen, die großteils in verdreckten Abbruchhäusern ohne Wasser oder Sanitäranlagen schliefen oder einfach nur in Parks übernachteten. Unter ihnen auch viele Kinder, sogar Babys. Sie hat der Pfarrer unter seiner Kirche einquartiert.

Doch damit sind die Möglichkeiten der Vinziwerke erschöpft. Auch die anderen Häuser wie „VinziNest“, „VinziSchutz“ oder „VinziTel“ sind voll. „Wir werden natürlich niemanden wegschicken“, versichert Musenbichler. Notfalls würden Matratzen hergerichtet.

Sie merkt jedoch an, dass Obdachlosigkeit längst ein Ganzjahres-Thema geworden sei, bloß falle es in der kälteren Jahreszeit mehr auf. „Es ist keine saisonale Geschichte mehr. Wir sind das ganze Jahr voll, Sommerloch gibt’s bei uns keines.“ Das liege an der zunehmenden Armut und werde sichtbar, wenn Delogierungen anfallen. „Im Sommer gibt es dann vielleicht noch die Option Parkbank. Aber sogar das fällt jetzt weg.“

Lage verschärft sich

Ähnlich ist die Situation in den Einrichtungen der Caritas Steiermark. Das „Haus Elisabeth“, eine Notschlafstelle für Frauen und ihre Kinder, ist überbelegt. Zusätzliche Betten und Matratzen wurden bereits aufgelegt. Auch die „Arche 38“, die Notschlafstelle für Männer“, liege fast schon an einer Auslastung von 100 Prozent, heißt es seitens der Caritas. Sowohl Caritas als auch Vinziwerke befürchten, dass sich die Lage verschärft, umso kälter es wird.

Vor knapp einem Monat wurde Herr Friedrich von seinem temporären Wohnort, einer Parkbank im Stadtpark, vertrieben (der KURIER berichtete). Lediglich 30 Minuten habe er Zeit gehabt, sein Hab und Gut zu packen. Durch eine offene Wunde am Bein ist Friedrich jedoch auf Krücken angewiesen. Das Gehen fällt schwer, mit Gepäck ist es fast nicht möglich. Diese Räumungsaktion sei nicht rechtens gewesen, findet Friedrich – und setzt sich nun zur Wehr.

Gemeinsam mit zwei weiteren Betroffenen – Herbert B. und der Griechin Vasiliki S. – brachte er am Freitag zwei Beschwerden beim Unabhängigen Verwaltungssenat in Wien (UVS) ein. Die Anzeigen richten sich gegen die städtische Müllentsorgung (MA 48) und die Landespolizeidirektion Wien.

Ohne Rücksicht

Zum einen wird die Vorgehensweise der Polizei kritisiert. Denn die Räumungsaktion sei laut Kläger ohne Rücksicht auf Verluste abgelaufen. Eine halbe Stunde hätten sie Zeit zum Packen gehabt. Noch dazu, seien nicht alle Obdachlosen zu diesem Zeitpunkt anwesend gewesen.

Oberst Johann Golob von der Wiener Polizei will das nicht auf sich sitzen lassen: „Die Kollegen wurden auf den Plan gerufen, um die rechtmäßige Ordnung wiederherzustellen – und genau das haben sie auch getan.“

Friedrichs Anwalt ist jedoch ganz anderer Meinung: ‚‚Ich habe kein Verständnis dafür, auf welche Weise diese Aktion vonstatten ging. Die Kampierverordnung ist hier keine passende Rechtsgrundlage.“

Nicht im Park „wohnen“

Oberst Golob erwidert, dass die Kampierverordnung bei der Aktion im Stadtpark ja nicht zum ersten Mal zum Tragen gekommen sei. Außerdem: „Es kann wohl niemand daran zweifeln, dass man im Park nicht dauerhaft wohnen kann. Genauso wenig können Touristen einfach mit ihrem Wohnwagen am Heldenplatz campieren. “

Der MA 48, der städtischen Müllentsorgung, wird wiederum vorgeworfen, das Hab und Gut der Obdachlosen einfach entsorgt zu haben. „Ich habe jetzt nichts mehr“, klagt Friedrich. Von der MA 48 heißt es dazu, dass sie im Zuge der polizeilichen Amtshandlung aufgefordert worden sind, Müll zu entsorgen – wie es so oft in Wien der Fall sei. Der Anwalt dazu: „Das war kein Müll sondern das Mindestmaß dieser Menschen, um überleben zu können.“

Der Unabhängige Verwaltungssenat soll den Sachverhalt nun prüfen.

Kommentare