Gut Aiderbichl: Wo Laboraffen Heimat fanden
Wenn Thomas, Spätzle, Benjamin und Star Besucherinnen und Besucher bemerken, kommen sie neugierig aus den Innenräumen ihrer Gehege, die gleich beim Eingang des Affenrefugiums in Gänserndorf liegen.
Insgesamt 27 Schimpansen sind hier untergebracht. Welches Leid sie in den ersten Jahrzehnten ihres Lebens erfahren mussten, würde man nicht glauben. Für die Öffentlichkeit sind die Tiere nur selten zu sehen. Am 9. Juni hat man von 10 bis 17 Uhr am Tag der offenen Tür allerdings die Möglichkeit.
Kommunikation unter Affen
„Wenn sie die untere Lippe hängen lassen, lachen sie“, erklärt Tierpflegerin Bettina Urban. Wer den Schimpansen freundlich begegnen möchte, kann das mit schnellem Hecheln tun. So kommunizieren die Tiere unter anderem auch miteinander. Dass sie das überhaupt tun, fühlt sich für Urban wie ein Wunder an.
Denn mehr als 20 Jahre lebten die Schimpansen als Laboraffen in kompletter Isolation. Sie hätten zu Beginn gar nicht gewusst, wie sie ein anderes Tier ihrer Spezies grüßen, wie man auf einen Baum klettert oder wie sich Gras anfühlt.
Expertinnen und Experten aus der ganzen Welt seien damals nach Niederösterreich gekommen. Alle seien sicher gewesen, dass man die Affen unmöglich in Gruppen zusammenführen könne, sagt Urban. Man sei davon ausgegangen, dass sie sich gegenseitig töten. „Aber sie haben es der ganzen Welt bewiesen. Nicht nur mir als Tierpflegerin“, sagt Urban.
Schimpansenverhalten lernen
Renate Foidl ist schon seit 30 Jahren Pflegerin der Affen. Dass sie trotz ihres Schicksals gelernt haben, sich wie Schimpansen zu verhalten, beeindruckt Foidl auch nach dieser langen Zeit. So gibt es Imponiergehabe und Hierarchien. Die Tiere sind fürsorglich, streiten auch einmal und trauern, wenn Artgenossen sterben. Wie ähnlich sie den Menschen sind, ist bei jeder Bewegung zu sehen.
Durch die österreichische Pharmafirma Immuno waren die Menschenaffen ab der 1980er-Jahre nach Österreich gekommen. Die meisten wurden in Afrika als Babys eingefangen und mussten zusehen, wie ihre Eltern getötet wurden. Um Medikamente zu entwickeln, infizierte man die Schimpansen mit Aids und Hepatitis.
Als das Unternehmen Baxter Immuno kauft, stoppen diese Versuche. Das Gut Aiderbichl übernimmt 40 Schimpansen.
Tierversuche
Im Jahr 1976 importierte die Pharma-Firma Immuno zum ersten Mal Schimpansen, um an ihnen Tierversuche, etwa zu AIDS, durchzuführen. Die Tiere leben in kompletter Isolation, sehen 20 Jahre keine Artgenossen.1997 wird das Unternehmen von Baxter übernommen. Damit hören die Versuche an den Affen auf.
Gut Aiderbichl
Die 40 Ex-Laborschimpansen werden 2009 unter den Schutz von Gut Aiderbichl gestellt. Baxter finanziert das Affenrefugium mit. Die Planungen für die Außengehege beginnen. Man versucht, die Tiere zu resozialisieren.
Freigehege
2011 sind die Außengehege fertig. Die Schimpansen dürfen zum ersten Mal, seit sie als Babys gefangen worden sind, ins Freie. Die Fotos, auf denen die Affen sich umarmen, gehen um die Welt. Die Affen werden nun bis an ihr natürliches Lebensende liebevoll betreut. Eine altersgerechte Versorgung der Schimpansen, etwa durch den Umbau der Gehege, ist gewährleistet.
Leben in Gruppen
Die meisten Affen können mittlerweile in Gruppen leben, einige sind lieber für sich, haben aber durch das Gitter Kontakt zu den anderen. Es sind ganz unterschiedliche Charaktere, die einem begegnen. Moritz ist eher ruhig, sitzt gerne in der Wiese und hört der Natur zu. Xsara ist die Prinzessin und lässt sich gerne bedienen. Gogo ist nervös, wenn Fremde in der Nähe sind. Seine Unterlippe zittert, es dauert, bis er einem in die Augen schaut.
Bei einigen Freigehegen erlebt man die Schimpansen durch Glasscheiben ganz nahe. Clyde fordert oft Küsse ein, bedankt sich dann mit einem Klopfen aufs Glas.
Wahre Wiedergutmachung ist wohl auch hier in Gänserndorf nicht möglich. Aber man konnte den Schimpansen ihre Würde zurückgegeben. Die Gehege müssen regelmäßig an die gesundheitlichen Bedürfnisse angepasst werden. Wer unterstützen will, kann eine Patenschaft übernehmen. Infos unter gut-aiderbichl.com.
Einer, den die dramatischen Lebensgeschichten der ehemaligen Affen im Gut Aiderbichl besonders beschäftigt haben, ist Autor Thomas Brezina. Daher beschäftigt er sich in „Na und, sagte der weiße Schimpanse“ mit ihrem Schicksal.
Daraus ist eine Erzählung über das Vergeben entstanden – darüber, warum es schwierig ist, aber auch erlösend. Für die Recherche hat Brezina die Geschichte der Tiere etwa aus den Augen einer Pflegerin erfahren. Im Buch selbst taucht bei den Affen jede Nacht ein „weißer, geheimnisvoller und humorvoller Schimpanse“ auf. Ihm können die Tiere, die jahrzehntelang lang eingesperrt waren, nun von ihren Sorgen erzählen. Sie berichten ihm von ihrem neuen Alltag auf Gut Aiderbichl, aber auch von der Wut, Frustration und Traurigkeit.
Die Schimpansen wollten Rache an jenen, die ihnen so viel Leid zugefügt haben oder würden zumindest gerne vergessen. Durch den weißen Schimpansen lernen sie aber, dass es noch einen heilenderen Weg gibt: Vergeben kann erlösend für jene sein, die es tun. Im Buch bedeutet es die „wahre Freiheit und das wahre Glück“.
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