Abzocke-Masche oder echt? Aufregung um Betriebskosten-Flyer in Wien

Von Stephanie Angerer und Jasmin Sharma
Es sind Flugblätter mit vielversprechenden Worten, die Mieter in Wohnhausanlagen derzeit in ihren Briefkästen vorfinden. In der Donaustadt wandte sich ein Betroffener auf Facebook an die Community und postete ein Foto eines Flyers. „Weiß jemand, ob das eine neue Abzocke-Masche ist oder echt? Wäre ja nicht das erste Mal, dass Fake-Briefe angekommen sind, die nicht von Wiener Wohnen sind.“
Auf KURIER-Anfrage bestätigt Marianne Lackner, Pressesprecherin von Wiener Wohnen, den Verdacht des Donaustädters: „Die angesprochenen Flyer wurden ganz offensichtlich in betrügerischer oder zumindest bewusst irreführender Weise verteilt. Sie stammen natürlich nicht von Wiener Wohnen. Dahinter stecken augenscheinlich aggressiv agierende Prozessfinanzierer, die versuchen, aus einem OGH-Urteil Profit zu schlagen.“

Anfang des Jahres entschied der Oberste Gerichtshof, dass ein Vermieter in Salzburg dem Mieter die Betriebskosten zurückzahlen muss. Diese waren im Vertrag nicht transparent genug artikuliert.
Auf den Flyern wird nämlich auf ein Urteil des Obersten Gerichtshofes verwiesen, das es Mietern ermöglichen soll, zu viel gezahlte Betriebskosten der vergangenen Jahre zurückzufordern. Konkret ist gar von den vergangenen „28 Jahren“ die Rede.
Urteil vom OGH
Die genannte Rückforderung der Betriebskosten geht auf ein Urteil des Obersten Gerichtshofs (OGH) in Salzburg Anfang des Jahres zurück: Hier musste ein Vermieter sämtliche vom Mieter gezahlten Betriebskosten rückerstatten. Auch in Zukunft muss der Mieter keine Betriebskosten mehr bezahlen.
Die Betriebskosten waren in diesem konkreten Fall im Mietvertrag laut Urteil nicht transparent angegeben. Da dieses OGH-Urteil viele Mietverträge betreffen könnte, raten derzeit einige Anwaltskanzleien dazu, Mietverträge prüfen zu lassen. Doch nicht nur Kanzleien versuchen aktuell, Mieter und Mieterinnen zu erreichen.
Scannt man den QR-Code auf den Flugblättern, kommt man zur Website eines sogenannten Prozessfinanzierers. Das sind Unternehmen, die die Kosten eines Rechtsstreits übernehmen. Für den Klienten falle somit das Risiko weg, bei einer Niederlage die Prozesskosten tragen zu müssen.
27.000 Interessenten bei Sammelklage
Im Gegenzug bekommen die Prozessfinanzierer bei Erfolg einen gewissen Prozentsatz der Gewinnsumme. Dieser variiert zwischen 30 und 50 Prozent.
Prozessfinanzierer initiieren bei größeren Fällen Sammelklagen – so auch im aktuellen Fall bei der Rückforderung der Betriebskosten. „Wir verzeichnen in der mittlerweile knapp 10-wöchigen Sammelphase österreichweit über 27.000 Interessenten. Aufgrund des enormen Interesses der Mieter kommen täglich über 1.000 Fälle hinzu“, sagt der Geschäftsführer eines Unternehmens, das an einer Sammelklage arbeitet.
- Anfang des Jahres entschied der Oberste Gerichtshof, dass der Vermieter dem Mieter die Betriebskosten zurückzahlen muss. Auch zukünftig muss er sie nicht mehr zahlen.
- 11.368 Euro musste der Vermieter in dem Fall zurückzahlen. Grund dafür war, dass die Betriebskosten im Vertrag nicht eindeutig und transparent genug formuliert waren. Für den Mieter war demnach nicht klar erkennbar, welche Kosten auf ihn zukommen. Die Klausel verstößt laut OGH gegen das Transparenzgesetz.
"Vorwürfe nicht nachvollziehbar"
Die Vorwürfe von Wiener Wohnen weist der Prozessfinanzierer zurück: „Diese Vorwürfe sind für uns völlig unnachvollziehbar. Inwiefern eine seriöse Kampagne ,aggressiv agierend’ sein soll, bleibt völlig im Dunkeln.“ Auch die Unterstellung betrügerischer Absichten sei nicht verständlich, da es für Kunden zu keiner weiteren Kostenbelastung käme.
Kritik an der Vorgehensweise von Prozessfinanzieren kommt aber nicht nur von Wiener Wohnen, sondern auch von der Arbeiterkammer (AK). „Online wurde zuletzt viel damit geworben, dass Mieterinnen und Mieter ihre Betriebskosten aufgrund einer aktuellen Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zurückfordern können. Nicht alle online verbreiteten Informationen sind richtig“, heißt es auf der Website der AK. Es gelten vielmehr strenge Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit man bezahlte Betriebskosten zurückfordern kann.
"Eigenen Anwalt aufsuchen"
Nur dort, wo die Betriebskosten vertraglich vereinbart werden, sieht die AK Erfolgschancen. Für den Großteil der Mietverhältnisse liegt allerdings eine gesetzliche Regelung über die Betriebskosten vor – laut ihrer Rechtsansicht stehen die Erfolgschancen für eine Rückforderung daher schlecht. In Fällen mit hohen Erfolgsaussichten rät man seitens der AK aber jedenfalls dazu, einen eigenen Anwalt aufzusuchen.
Nähere Details, was die Arbeiterkammer rät, finden Sie hier.
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