Stil-Coach: "Es wird viel zu wenig über Umgangsformen gesprochen"

Wie benehme ich mich richtig, was ziehe ich an? Motsch gibt die Antworten.
KURIER: Sind Stil und gutes Benehmen aus der Mode gekommen?
Elisabeth Motsch: Ja, das hat schon in den 68ern begonnen. Durch die Pandemie hat es sich verstärkt. In Italien tragen Männer noch immer Anzug mit Krawatte. Dort ist Stil eine Attitüde. Bei uns leider nicht, aber es ist wieder im Kommen.
Wirklich? Selbst Politiker sind manchmal krawattenlos und tragen Turnschuhe.
Männer fühlen sich bei uns oft altmodisch, wenn sie eine tragen. Aber Sneakers sind am absteigenden Ast. Ich habe Kunden und Kundinnen, die diese Uniformität beruflich nicht mehr wollen und damit auch ein Statement setzen möchten: nicht aussehen wie jeder.
Wie wichtig sind gute Manieren im Beruf?
Sie sind ein Gewinn für jedes Unternehmen: Man geht gerne dorthin, wo Menschen höflich sind. Heute müssen oft Unternehmen die Aufgabe übernehmen, Umgangsformen zu schulen. Es ist der Eindruck entstanden, es ist nicht mehr wichtig. Das ist ein Trug. Insgesamt wird – auch in den Medien – viel zu wenig über Umgangsformen gesprochen. Außerdem starrt jeder in sein Handy, erledigt das meiste digital und ist auch deshalb nicht mehr achtsam. Früher war man auf das Miteinander mehr angewiesen. Umgangsformen sind für mich der soziale Kitt. Wir brauchen Leitplanken, wie wir einander begegnen.

Was sind die größten Benimmfehler bei Chefinnen/Chefs?
Unpünktlichkeit, unhöfliche Mail-Kultur, mangelnde Handschlagqualität. Wichtig ist die Einstellung: Es muss von innen heraus kommen, damit es Substanz hat und nicht nur Kalkül. Es geht insgesamt um Wertschätzung. Ich kenne Chefs, die durch das Unternehmen gehen und nicht rechts oder links schauen und niemanden grüßen.
Wie geht ein Mail-Knigge?
Es braucht eine freundliche Einleitung, eine klare Aussage und einen wertschätzenden Schluss.
Wie verhält man sich im Lift?
Ich versuche immer, Blickkontakt aufzunehmen, zu grüßen und zu lächeln – außer in großen öffentlichen Gebäuden.
Die Realität ist, dass alle lieber ins Handy schauen.
Menschen verlernen dadurch, miteinander zu kommunizieren.
Wann ist ein Du angebracht, wann nicht?
Wenn wir einander nicht kennen, duze ich nicht. Es müssen beide vereinbaren. Ich erhalte auf LinkedIn Anfragen für eine Geschäftsanbahnung und werde mit „Hi, Elisabeth“ angesprochen. Geht ja gar nicht!
Wer darf das „Du“ anbieten?
Beruflich bietet es die Frau dem Mann an – aber nur, wenn beide gleichgestellt sind. Im gesellschaftlichen Leben ist es immer die „Frau“, der „Ältere“, der „Höherrangige“.

Manches gilt als altmodisch: Tür aufhalten, in den Mantel helfen oder dass sich der Herr zumindest andeutungsweise erhebt, wenn sich seine Tisch-Dame setzt. Ihre Meinung?
Ich liebe es. Ich kenne auch viele junge Frauen, denen das gefällt. Männer wagen es oft nicht mehr, einer Frau in den Mantel zu helfen, um sich keine Abfuhr zu holen. Daher rate ich: Der Dame den Mantel reichen – und wenn sie sich nicht so dreht, dass man ihr hineinhelfen kann, unterlässt man es. Frauen wiederum könnten höflich statt schroff ablehnen. Ich finde, es gehören wieder mehr Umgangsformen in die Welt.
Um nicht sexistischen Anfeindungen ausgesetzt zu sein, ziehen sich Frauen in Top-Positionen oft die „Ritterrüstung“ des Hosenanzugs an, wie seinerzeit Kanzlerin Angela Merkel. Was halten Sie davon?
Das kommt nicht von Ungefähr: Durch einen Blazer bekommt man eine kraftvolle Schulter, es stärkt. Dass momentan fast jede Frau denselben Hosenanzug trägt, empfinde ich aber schon fast wieder als Uniform. Ich empfehle meinen Kundinnen eher Kombinationen. Es geht auch darum, die Persönlichkeit hinter der Kleidung sichtbar zu machen. Die Leute übersehen außerdem, wie wichtig Werte sind. Mir ist Klarheit ein Anliegen, daher kleide ich mich klar. Wenn ich polarisieren möchte, kann ich mir Stilbrüche erlauben – so wie der „Investmentpunk“. Wenn aber der Kunde im Mittelpunkt stehen soll, kann man nicht im auffälligen Muster erscheinen.
Was halten Sie insgesamt von Gemustertem?
Ich trage im Business-Kontext keine Muster in Gesichtsnähe, weil es im Gespräch ablenkt. Wenn, dann empfehle ich nur dezente.
Wie steht’s mit Farbe?
Immer überlegen, welche Farbbotschaft man senden möchte. Die Filmindustrie kleidet starke Charakter in dunkle Farben, teamorientierte in mittlere und sanfte in helle. Blau vermittelt Stabilität, Grün signalisiert Zuverlässigkeit, Rot wirkt schnell aggressiv und Pink laut.
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Sie sprechen von „individueller Körpersignatur“, was ist das?
Jeder Mensch hat eine individuelle Stil-DNA. Barbara Schöneberger ist extrovertiert, da dürfen auch Kleidung und Schmuck auffälliger sein.
Was signalisiert auffälliger Schmuck?
Extrovertiertheit – dazu muss ich auch der Typ sein. Sonst wirkt es gewollt und nicht gekonnt!
Politiker wirken manchmal overcoached und unauthentisch.
Kleidung muss zum Charakter passen und mit der Rolle harmonieren. Ein bodenständiger Politiker, der aalglatt gekleidet ist, wird nicht überzeugen. Wähler wollen den Menschen hinter der Kleidung erkennen und nicht nur seine Rolle, um authentisch wahrgenommen zu werden.
Ein Mann ist aber eher eingeschränkt in der modischen Ausdrucksfähigkeit.
Er kann mit gutem Stil und harmonischen Farbkombis punkten.
Was halten Sie von kurzen Hosen im Büro?
Nichts, das ist nur in ganz wenigen Branchen stilvoll möglich.
Und sehr kurze Röcke?
Der Fokus wird auf den Körper gelenkt, und beim Sitzen wird dann gerne am Rock gezogen, um sich zu schützen. Ich rate davon ab.
Erzeugt Lippenstift mehr Aufmerksamkeit für das Gesagte?
Ja. Frauen fühlen sich attraktiver, wirken gepflegter. Aber bitte präzise auftragen!
Wie soll man bei einem Bewerbungsgespräch erscheinen?
Man sollte sich am Stil der Branche orientieren und überlegen, welche Botschaft man senden will. Mein Rat: Lieber etwas zu elegant als zu (nach-)lässig.
Braucht man für den Social Media-Auftritt ein Coaching?
Ja, oder einen guten Hausverstand, um überzeugend zu wirken.
Sie haben Ihre Jugend in London und Monaco verbracht und sich damals in Bezug auf Kleidung und Umgangsformen unsicher gefühlt: der Ausgangspunkt, sich damit professionell zu beschäftigen?
So ist es. Ich befand mich in einer gehobenen Gesellschaft, in der ich nicht zu Hause war. Das war hart. Weil ich weiß, wie das ist, kann ich Menschen in solchen Situationen begleiten.
Wo und wie lernt man das?
Ich habe immer Menschen beobachtet und Ausbildungen in London und Mailand absolviert.
Haben Sie selbst nie einen Fauxpas begangen?
Ach, genug! Mein Tipp: Man sollte andere weniger verurteilen, wenn so etwas passiert!
Zur Person:
Elisabeth Motsch ist Image- und Personal-Branding-Expertin für Unternehmen sowie Einzelpersonen. Die Salzburgerin mit Ausbildungen in London und Mailand berät in Sachen (Kleidungs-)Stil und in Umgangsformen. Sie hat mehrere Bücher publiziert, u. a. einen „Benimm-Code“, und schreibt einen Stil-Blog.
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