Eisige Revolution: Als die Kühlhäuser Österreich eroberten

Ein kleines, verlassenes Haus ist vollständig mit Efeu bewachsen.
Mitte des 20. Jahrhunderts wurden die ersten Tiefkühlhäuser errichtet. Sie haben die Lebensgewohnheiten grundlegend verändert.

„Es war eine Sensation, Lebensmittel so lange frisch halten zu können. Und gleichzeitig ganz einfach.“ (Zeitzeuge)

Was war das für ein Aufmarsch: der Landeshauptmann, der Präsident der Landwirtschaftskammer, der Bürgermeister, Journalisten. Der Pfarrer kam mit Weihwasser und segnete das neue Gebäude, das die Moderne aufs Land brachte: Als Krottendorf am 10. Juli 1955 sein Tiefkühlhaus aufsperrte, war das Schlagzeilen wert. Es war eines der Ersten in der Steiermark überhaupt.

„Das war schon eine Revolution am Land. Man konnte Fleisch nun einfrieren und anders haltbar machen, nicht nur selchen oder pökeln“, begründet die Grazer Historikerin Anita Ziegerhofer, die sich mit dem Kulturantrophologen Helmut Eberhart auf die eisige Spur der Tiefkühlhäuser in der Steiermark gemacht hat. „Und nicht nur Fleisch – Obst, Gemüse, Brot, Torten, all das konnte jetzt haltbar gemacht und später verwendet werden.“

Die Auswirkungen sollten "bahnbrechend" sein. Kinder durften die Kühlhäuser übrigens nicht betreten.

Zeitgenössischen Medienberichten zufolge gab es in der Mitte der 1960er-Jahre mehr als 800 solcher Tiefkühlhäuser allein in diesem einen Bundesland, die beiden Autoren und Uni-Professoren trugen eine Liste von rund 500 zusammen.

Bis zu 6.000 Schilling

Wer etwas einzufrieren hatte, konnte sich ein Fach in einem der Gebäude kaufen oder mieten. Ein Fach kostete damals je nach Art und Größe der Anlage durchschnittlich zwischen 2.000 und 6.000 Schilling (145 bis 436 Euro). Verglichen mit den Preisen für Tiefkühltruhen wenig, diese lagen damals bei rund 18.000 Schilling.

Eine Reihe von nummerierten Kühlfächern in einem heruntergekommenen Raum.

Eistruhe im Großformat: Fächer gab es zu kaufen oder mieten.

Der Kundenstock der Tiefkühlhäuser, die von eigens gegründeten Gemeinschaften errichtet wurden, reichte von Land- zu Gastwirten, Jägern, die Wildbret einfroren, bis hin zu Haushalten, die Nahrungsmittel aufbewahren wollten. Das Konzept schwappte aus den USA nach Europa: 1936 bauten Farmer in Tennessee das erste Tiefkühlhaus, wo unter anderem auch eingekochtes Gemüse oder Obst eingefroren wurde.

In Österreich wurden die Tiefkühlhäuser mit Mitteln aus dem European Recovery Programm – besser bekannt als Marshallplan – finanziert.

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Sie „sind Ausdruck der Technologisierung des Landes“, erklärt Anita Ziegerhofer. „Eine private Tiefkühltruhe für zu Hause war viel zu teuer, das konnten sich die meisten nicht leisten.“

Die Kaltraumanlage in Krottendorf – es gab auch ein zweites System mit Warmraumanlagen, bei denen nur die einzelnen Fächer gekühlt wurden – kostete beispielsweise rund 120.000 Schilling. Zwei Drittel des Geldes kamen aus dem Zuschuss des Marshallplans und Förderungen des Landwirtschaftsministeriums, der Rest musste von den Mitgliedern der Kühlgemeinschaft aufgebracht werden.

Das Buch „Frostige Spurensuche“ von Helmut Eberhart und Anita Ziegerhofer vor einem Kühlhaus Oberfladnitz.

A. Ziegerhofer, H. Eberhart: „Frostige Spurensuche. Geschichte der Tiefkühlhäuser“, Leykam: Universitätsverlag, 270 Seiten, 30 Euro

Doch nicht nur der Bau der Häuser boomte, sondern auch die Kurse über richtiges Einfrieren, fanden Ziegerhofer und Eberhart heraus. Schließlich sei das eine „bahnbrechende Methode“ für die Allgemeinheit gewesen, die bisher nur einkochen, räuchern oder einsalzen praktizierte, so die Wissenschafter.

1958 gab es etwa 285 Einfrierkurse, für die Expertinnen und Experten in die Ortschaften fuhren, sie hatten 10.628 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Zusätzlich wurden auch spezielle Fleischverwertungskurse angeboten, mit großem Erfolg: 1957 gab es 8.127 Interessierte, die in 149 Kursen lernen wollten, wie man Fleisch zerteilt und fürs Einfrieren korrekt verpackt.

Eine Schulklasse posiert mit ihren Lehrern vor einem Schulgebäude.

Die Eröffnung eines Tiefkühlhauses wurde im Ort gefeiert, ganze Schulklassen traten an.

Kinder und Jugendliche nützten die Tiefkühlhäuser vielfach als Treffpunkt, wobei kleine Kinder die Gebäude nicht betreten durften: Man befürchtete, sie könnten in den Kaltraumanlagen mit Temperaturen um den Gefrierpunkt vergessen werden.

Die 1980er-Jahre läuteten das Ende der Tiefkühlhäuser ein, leistbare Kühltruhen gab es dann auch für ländliche Haushalte. Geschichte sind die großen Anlagen in der Steiermark aber nicht: Auch heute sind noch 50 in Betrieb.

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