Kein Stillstehen im Fall der seit über 40 Jahren vermissten Frau aus Niederösterreich. Die Staatsanwaltschaft ordnete eine erneute Grabung an, die nach drei Tagen erfolglos zu Ende ging
1. August 2023: In den Morgenstunden wird es laut in einer Wohngegend in Neumarkt an der Ybbs im niederösterreichischen Bezirk Melk. Mehrere Polizeiautos, zwei Baggerfahrzeuge, ein Team mit Suchhunden, Experten der Spurensicherung und Grabung – ausgestattet mit Bohrmaschinen und Bodenradargeräten – rücken an. Gesucht wird nach der Leiche bzw. den Überresten einer jungen Frau, die im Jahr 1982 verschwunden ist. Maria O., damals 21 Jahre alt und Mutter eines kleinen Sohnes. Dieser ist heute ein über 40-jähriger Mann, der endlich wissen möchte, was mit ihr geschehen ist. Er selbst ist an diesem 1. August 2023 nicht auf dem Grundstück, um bei der Grabung zuzusehen. Aber seine Anwältin Andrea Schmidt ist da und beobachtet alles mit Argusaugen.
„Wir dürfen nur hier bei der Auffahrt stehen, das hat mir die Polizei unmissverständlich zu verstehen gegeben. Aber wir können den Garten des Nachbarn betreten, er hat sein Einverständnis erteilt“, sagt sie und flitzt auch schon los in Richtung eines höflich grüßenden Mannes, der das KURIER-Team hereinwinkt. Die etwas bessere Sicht zeigt ein bemerkenswertes Bild. Ein komplett aufgegrabener Garten, kein Stein liegt noch auf dem anderen. Obwohl sich dort, auf der anderen Seite des Gartenzauns, sicher 20 Menschen aufhalten, ist es ruhig. Einzig die Bagger- und Bohrgeräusche durchbrechen die Stille hin und wieder. Das Suchteam wirkt angespannt. Alle richten den konzentrierten Blick in die ausgehobene Grube. Werden menschliche Knochen zum Vorschein kommen?
„Dieses Mal graben sie den gesamten Garten auf, so intensiv wurde bisher nicht gesucht“, sagt Schmidt hoffnungsvoll. Seit im Jahr 2019 der Verdacht aufkam, dass Maria O. auf besagtem Grundstück, ein Wohnhaus mit Garten, von ihrem gewalttätigen Ex-Partner vergraben und einbetoniert wurde, ordnete die Staatsanwaltschaft drei Grabungen an. Sie verliefen jedoch erfolglos, wenngleich bei der zweiten Grabung ein Tuch mit seltsamem Abdruck gefunden wurde. Laut Gutachten des Zahnarztes Karl Pont handelt es sich dabei eindeutig um einen Gesichtsabdruck und damit um ein Leichentuch. „Anlass für die nunmehrigen Maßnahmen waren neue Erkenntnisse, welche die ermittelnde Polizeidienststelle aus dem Vergleich militärischer Luftbilder vom 8. 2.1982 und 7. 7. 1984 gewinnen konnte, wobei auf dem späteren Luftbild gegenüber dem früheren bauliche Veränderungen erkennbar waren, wie insbesondere die Errichtung von Zaunfundamenten“, sagt Leopold Bien von der Staatsanwaltschaft St. Pölten. In Zusammenschau mit den bereits bestehenden Verdachtsmomenten und dem Umstand, dass das Verschwinden von Maria O. in eben diesen Zeitraum fällt, hätte sich daraus eine hinreichende Verdachtslage ergeben, um die Fortsetzung des Ermittlungsverfahrens und die Anordnung der Durchsuchung zu begründen.
Was ist 1982 passiert?
Der Mann, von dem sich Maria O. gerade frisch getrennt hatte, erzählte der Familie und den Freunden, sie wäre spontan zu ihrem Bruder nach Kanada gezogen und dass sie ihn und den kleinen Sohn alleine zurückgelassen hätte. Man glaubte ihm, da er kein Unbekannter war. Er pflegte ein großes Netzwerk – und er hatte auch einen gewissen Einfluss, selbst wenn er sich nicht im gut betuchten, gebildeten Milieu bewegte. Und er war bekannt dafür, grob und gefährlich zu sein. Die verschwundene Maria O. soll er während der gemeinsamen Beziehung regelmäßig geschlagen haben.
Erst im Jahr 2019 wird seine Erzählung über ihren Verbleib das erste Mal infrage gestellt. Da soll er im Streit mit einer Bekannten gesagt haben: „Ich betonier’ dich ein wie die Maria“. Dies macht schnell die Runde und die Frau wird ermutigt, zur Polizei zu gehen. Die Ermittlungen zu Maria O. und einem möglichen Mord laufen damit an – und bringen noch andere Geheimnisse ans Tageslicht. So erzählen mehrere Frauen, alle Mitglieder der Familie, dass der Verdächtige sie jahrelang missbraucht und misshandelt hatte. Für diese Taten musste sich der Mann vor Gericht verantworten und wurde schließlich zu 13 Jahren Haft rechtskräftig verurteilt. Außerdem wurde er wegen gefährlicher Drohung einer weiteren Frau gegenüber zu sieben Monaten Haft verurteilt.
Und Maria O.? Ein Großcousin des Verdächtigen erinnerte sich an eine Nacht im Jahr 1982, kurz vor der Sorgerechtsverhandlung für den kleinen Sohn, zu der Maria O. überraschenderweise nicht mehr erschienen ist. Demnach hätte es einen Streit zwischen dem Verdächtigen und Maria O. gegeben. Danach sei er zu einem seiner Grundstücke gefahren, auf dem eine Baugrube war, weil die Grundfesten der Gartenmauer noch betoniert werden mussten, was er in der Nacht – überraschend spontan – händisch erledigt hätte.
Die vierte Grabung
Das Ermittlungsziel war die vollständige Abklärung, ob auf diesem Grundstück eine Leiche, Leichenteile oder sonstige im Zusammenhang damit stehende Gegenstände vorhanden sind. Nach drei Tagen war die Grabung abgeschlossen. „Es wurden keine relevanten Gegenstände oder Leichenteile gefunden. So viel kann dem noch nicht vorliegenden Bericht vorweggenommen werden“, sagt Bien. Die Gartenmauer des Anwesens wurde bis zu den Fundamenten freigelegt. Gegen den heute 67-Jährigen Ex-Partner von Maria O. werde dennoch wegen Mordverdachts weiter ermittelt. „Von einer Anklage gegen den Verdächtigen sind wir aber weit weg, zumal es keine Leiche gibt“, erklärt Bien weiter. Auf dem betreffenden Grundstück werde es jedenfalls nun keine Grabungen mehr geben. Die Untersuchungen in der Causa Maria O. seien damit aber nicht abgeschlossen.
Falls Sie Hinweise oder Informationen zu dem Fall haben, wenden Sie sich an das Landeskriminalamt Niederösterreich unter: 059 133 30 3333 oder per eMail an dunklespuren@kurier.at
Kommentare