Insgesamt starben 12 Menschen, zumindest 106 weitere wurden durch Sturm oder Hagel verletzt. "Alle Todesfälle und die meisten Verletzungen wurden durch ein langlebiges Konvektionssystem verursacht, das eine Reihe schwerer bis extrem starker Windböen verursacht", erklärt Tomas Pucik von der ESSL.
Die Sturmforscher stufen dieses Ereignis als "Derecho" ein. Ein Derecho ist ein weit verbreiteter, langlebiger, geradliniger Sturm, der mit einer sich schnell bewegenden Gruppe schwerer Gewitter verbunden ist. Ein solcher Derecho hat an diesem Donnerstag vor einer Woche eine Spur der Verwüstung über 1.000 Kilometer entlang gezogen, Windböen weit über 115 km/h wurden gemessen, die Spitzen sollen über 220 km/h gelegen sein.
Die Sturmlinie hat sich von Menorca über Korsika, Norditalien und Österreich bis Tschechien gezogen, mindestens über elfeinhalb Stunden, wohl aber länger, vermuten die Experten: "Die ersten Böen wurden um 6.30 Uhr in Korsika beobachtet, die letzten schweren Windböenberichte liegen aus Tschechien um 17.45 Uhr vor. Wahrscheinlich haben die Böen um 5.30 Uhr begonnen.
Das ESSL hat die Sturmfront minutiös nachverfolgt und dokumentiert:
Der verhängnisvolle 18. August
0.00 - 03.00 Uhr: Über Menorca nimmt der Sturm an Kraft zu.
03.00 - 05.00 Uhr: Stürme werden zur Gewitterlinie, ein Superzelle vor dem Hauptsturm triff Lavagna und Sestri Levante in Ligurien: 22 Verletzte.
05.00-08.00 Uhr: Sturm auf Korsika. Böen mit über 180 km/h, vier Tote, zehn Verletzte, Boote kentern oder werden gegen Felsen geschleudert, weiter nördlich stirbt kurze Zeit später eine weitere Person. Beim Eintritt über das warme Meer nehmen die Aufwinde zu, die Blitzaktivität steigt.
08.00 - 09.00 Uhr: Ligurien und die Toskana: zwei Tote, 45 Verletzte, Häuser werden abgedeckt.
09.00 - 11.00 Uhr: Nachdem sich der Sturm auf dem Weg über den Apennin abgeschwächt hat, nimmt er im Tiefland wieder Fahrt auf, in Venetien und der Emilia-Romagna werden neun Menschen verletzt, verursacht durch Windböen mit einer Stärke von knapp 140 km/h.
11.00 - 13.00 Uhr: An der Grenze zwischen Italien und Slowenien werden zwei Menschen verletzt, am Weg nach Südösterreich nimmt die verheerende Gewalt der Stürme wieder zu. Unterdessen in Menorca: Hagel, sieben Zentimeter groß.
13.00 - 15.00 Uhr: Mit 150 km/h knicken die Windböen in Kärnten und der Steiermark Bäume und Hochspannungsmasten. Zwei Kinder sterben, dreizehn Menschen werden verletzt. Die Sturmfront zieht nach Norden, dort werden drei Frauen unter Bäumen begraben.
15.00 - 17.00 Uhr: Im Norden von Österreich schwächt sich das System ab, dennoch werden in Tschechien noch weitere schwere Windböen erzeugt.
Am Abend fallen in Marken in Italien noch große Hagelkörner, die größten mit bis zu 11 Zentimetern Durchmesser in Macerata Feltria, eine Person wird verletzt.
Die ESSL analysiert den in seiner Ausprägung Derecho genannten Sturm: "Während aller Stadien des Derechos war ein kalter Pool vorhanden. Die Temperatur des kalten Pools des Sturms blieb während seiner gesamten Entwicklung zwischen 20 und 21 Grad konstant. Der Temperaturunterschied zwischen dem kalten Pool und der Umgebung nahm zu, als sich das System von den Meeresgebieten weiter landeinwärts bewegte. Über Westkorsika sank die Temperatur um 6 – 7 Grad, als die Böenfront vorbeizog. Nahe der Küste der Toskana sank die Temperatur nur um 4 Grad. Richtung Österreich und Slowenien nahm der Temperaturunterschied mit einem Rückgang von 9 auf 13 Grad zu. Dieser Fall zeigt, dass für einen starken Konvektionssturm kein starker Kältepool notwendig ist."
Das Derecho habe mehrere Zyklen der Stärkung und Schwächung durchlaufen: "Die bei weitem beeindruckendste Phase der Verstärkung ereignete sich westlich von Korsika, als sich die Böenlinie zu einem Bugecho entwickelte. Die Gewitterlinie zog ursprünglich nach Osten. Als sich der Bug zu entwickeln begann, beschleunigte sich der Sturm nach vorne und seine Bewegungsrichtung drehte sich mehr nach Norden. Der Scheitelpunkt des zentralen Teils des Bugechos beschleunigte auf eine unglaubliche Geschwindigkeit von 140 – 180 km/h, verglichen mit einem mittleren Wind von 60 km/h, was auf das Vorhandensein eines sehr starken rückwärtigen Anströmstrahls hindeutet."
Über ESSL
Das Labor wurde 2002 als informelles Netzwerk europäischer Wissenschaftler gegründet, das von Dr. Nikolai Dotzek initiiert wurde. Seit 2006 ist European Severe Storms Laboratory eV ein gemeinnütziger eingetragener Verein nach deutschem Recht mit Sitz in Weßling, Deutschland.
Ein Tochterverein, das European Severe Storms Laboratory – Science and Training , ebenfalls mit gemeinnützigem Status, wurde 2011 gegründet und hat seinen Sitz in Wiener Neustadt, Österreich. Er ist Träger des „ESSL Forschungs- und Ausbildungszentrums“ in Wiener Neustadt.
Die Vision von ESSL ist es, die Vorbereitung der europäischen Gesellschaft auf die Auswirkungen schwerer Stürme zu verbessern, indem das wissenschaftliche Verständnis gefördert, menschliche Kapazitäten aufgebaut und die Zusammenarbeit innerhalb Europas in diesem Bereich gefördert werden.
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