Große Nervosität
„Kein Grund zur Beunruhigung – weiterhin keine Verdachtsfälle in Tirol“, hieß es damals Ende Jänner in einer Aussendung des Landes, in der über den Fall einer infizierten Deutschen berichtet wurde, die ein Wochenende auf einer Hütte verbracht hatte. Es waren zunächst Verdachtsfälle wie diese, die bei Behörden und Medien hektische Recherchen auslösten. Vor allem im benachbarten Italien breitete sich das Virus derweilen immer weiter aus.
Am 25. Februar ist der Tirol-Korrespondent des KURIER für eine Reportage hinter dem Brenner, um die Stimmungslage in Bozen zu erkunden. „Sie sehen uns hier sehr entspannt“, sagt eine Dame im Zentrum der Stadt.
Für den Nachmittag hat sich der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) in der Provinzhauptstadt für ein Treffen mit seinem Südtiroler und seinem Trentiner Amtskollegen angesagt, um sich mit ihnen über den Umgang mit den „Corona-Entwicklungen“ abzustimmen.
Wenige Stunden vor dem Termin wird klar: Das Virus ist auch in Tirol angekommen. Bei den zwei Infizierten handelt es sich um eine Italienerin und ihren Freund, die aus Bergamo nach Innsbruck gekommen waren. Am Rande der Pressekonferenz der Länderchefs erfährt der KURIER, dass die Frau als Rezeptionistin im Hotel Europa arbeitet und dieses gesperrt werden soll. Als der Autor zurück nach Innsbruck kommt, ist das Haus bereits von Polizisten abgeriegelt, damit Behördenmitarbeiter in Ruhe mögliche Kontakte der 24-Jährigen ausfindig machen können.
Ein Missverständnis
Dass Karl Nehammer, damals Innenminister (ÖVP), von einer Quarantäne spricht, erzeugt einen skurrilen TV-Moment. Bei einer ORF-Liveschaltung berichtet ein Reporter: „Es darf niemand rein oder raus.“ Im selben Moment verlässt ein Mann das Hotel durch die Drehtür.
Tirol steht ab nun im Fokus. Denn vieles, was im Zuge der Pandemie erstmals passiert, passiert in diesem Bundesland. Die Rasanz der Ereignisse überfordert von Anbeginn viele: Minister, Landespolitiker, Behörden – aber auch die Medien.
Am Tag eins der Pandemie in Österreich wird im KURIER eine Corona-Whatsapp-Gruppe eingerichtet, in der alle mit dem Thema befassten Journalisten die wichtigsten Ereignisse miteinander teilen. Über zwei Jahre hinweg werden hier Tausende Nachrichten verschickt.
Es ist der Versuch, einen Überblick in der bald nur noch schwer überschaubaren Lage zu bewahren. Die Flut an einzuordnenden Informationen ist enorm. Immerhin berührt die Pandemie jeden Aspekt des gesellschaftlichen Lebens – Schulen, Kindergärten, Universitäten, Kirchen, Altersheime, Vereine, Kultur- und Wirtschaftsbetriebe.
In Tirol nimmt das Geschehen ab März so richtig Fahrt auf. Zunächst wird von Behörden und Medien über praktisch jeden einzelnen Fall im Detail berichtet. Schnell zeigt sich eine Häufung im Bezirk Landeck mit seinen großen Wintersportzentren. Ab 8. März entpuppt sich der auf Massentourismus getrimmte Skiort Ischgl zunehmend als Österreichs erster großer Covid-Hotspot.
Zu früh verlautbart
Am 10. März verkündet Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) Einreisekontrollen an der Grenze zu Italien. Die überrumpelte Tiroler Exekutive kann diese erst am nächsten Tag einrichten. Und sieht sich dann mit gestrandeten Zugreisenden am Brenner konfrontiert.
Für Chaos sollte Kurz auch am 13. März sorgen, als er live im TV nicht nur einen wenige Tage später startenden Lockdown, sondern auch eine noch nicht vorbereitete Quarantäne für das Paznauntal mit Ischgl sowie St. Anton verkündet. Eine regelrechte Massenflucht von Touristen ist die Folge.
Die Tiroler Politik und Landesverwaltung wiederum sehen sich mit der Frage konfrontiert, ob sie angesichts der enormen Fallzahlen rechtzeitig und richtig reagiert haben. Ein unvorbereitet in die ZiB 2 geschickter Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg (ÖVP) hat darauf nur eine Antwort: „Alles richtig gemacht.“
Das Bild der Trotzigkeit sollte im Verlaufe der Pandemie an Tirol kleben bleiben – allen Versuchen zum Trotz, mit proaktiven Maßnahmen vor die Flutwelle der Ereignisse zu kommen.
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