Böse Versuchungen: Genuss mit Gewissensbiss

Ein Mann mit Hut betrachtet Feinkostprodukte in einem Geschäft.
Politische Korrektheit in der Küche: Ein Delikatessenhändler, ein Koch und eine Tierschützerin über gastronomische Weltanschauungen

In Frankreich wäre es undenkbar: Weihnachten ohne Gänseleber. Schließlich gehört Foie gras zum gastronomischen Kulturerbe der Grande Nation. Aber auch in österreichischen Feinkostläden und in der heimischen Spitzengastronomie steht die umstrittene Delikatesse weit oben auf der Beliebtheitsskala. Und das, obwohl sie international längst zum Guilty Pleasure (Vergnügen mit Gewissensbissen) geworden ist. Proteste von Tierschützern haben dazu geführt, dass Gänse-und Entenstopfleber in vielen Top-Restaurants in den USA von der Speisekarte verschwunden oder gar, wie etwa in Kalifornien, verboten ist.

Eine Demonstration gegen Tierquälerei, mit Schildern gegen Foie Gras und Pferdeleid.

Erfolg für Tierschützer (hier 2019), schlechte Nachrichte für Gourmets: Nach Kalifornien verbietet auch New York Stopfleber  

Gänsestopfleber ist freilich nicht gleich Gänsestopfleber: Die Massenhaltung in Ungarn oder Polen hat wenig gemein mit den Bauernhöfen im Elsass oder im Périgord, wo die Gänse in Freilandhaltung leben und die Bauern erzählen, die Tiere würden sich „von selbst zum Stopfen anstellen“. Doch selbst bei aller kolportierten Idylle – nicht nur Tierschützer bezweifeln, dass eine derart fette Leber durch etwas anderes als Zwangsfütterung entstehen kann, Auslauf hin oder her.

Auch Delikatessenhändler sehen die Foie-gras-Sache differenziert. „Wir führen Gänsestopfleber ausschließlich aus Frankreich“, sagt Udo Kaubek, Geschäftsführer des Wiener Gourmettempels Meinl am Graben. „Die Tiere werden nur einen Monat lang gemästet. Ich weiß allerdings auch nicht, ob es für die Tiere angenehm ist, in kurzer Zeit so viel Mais in den Schlund zu kriegen. Die paar Wochen sind schlimm genug“, sagt Kaubek.

Ein Tablett mit Foie Gras-Häppchen auf einem gelben Tisch neben einem Protestplakat.

Feiertage ohne Gänseleber sind in Frankreich undenkbar

Andererseits: „Die Gänse in Frankreich haben wesentlich mehr Platz als Hühner in Österreich.“ Meinl führt gestopfte und ungestopfte Leber, beides wird viel gekauft. „Das ist auch mit den Kampagnen dagegen keinen Millimeter zurückgegangen. Manche Restaurants nehmen Foie gras aufgrund des öffentlichen Drucks von der Karte. Aber die Leute kaufen sie weiterhin“, sagt Kaubek. Und er ergänzt: „Wir führen übrigens auch tolle vegane Gänseleber vom Schweizer Sterne-Koch Tobias Buholzer. Er macht das aus Nüssen. Schmeckt hervorragend.“

Eine Nuss ist keine Gans

„Ich kann keine Gänsestopfleber ersetzen. Haselnüsse schmecken nun mal nicht wie Gänseleber.“ Der Wahlwiener und Sternekoch Fabian Günzel, der sich zunächst im „Loft“ im Sofitel und danach mit seinem eigenen Restaurant „Aend“ in Wien-Mariahilf einen Namen machte, kann dem Trend zum veganen Fleisch-Ersatz nichts abgewinnen. „Meine Gäste wollen das nicht.“

Ein tätowierter Koch steht mit verschränkten Armen in einer Restaurantküche.

Sternekoch Fabian Günzel hält nichts von politischer Korrektheit in der Küche

Ganz allgemein hält er von Political Correctness in der Küche wenig. Günzel kocht nicht, weil’s grad en vogue ist, partout mit lokalen Zutaten oder vegan, weil’s im Trend liegt. Er beharrt auf Tradition, wettert gegen Influencer und zitiert gerne seine Mutter: „Sie hat immer gesagt, man soll alles probieren. Uns fehlt beim Essen der Hausverstand.“ Man solle, anstatt Gänsestopfleber anzuprangern, lieber über Massentierhaltung und, damit in Verbindung, die Geiz-ist-geil-Mentalität bei Lebensmitteln sprechen. „In Österreich und Deutschland ist das Auto wichtiger als das Essen. Der Stellenwert der Nahrung – ein Desaster.“ Wobei Günzel einräumt: „Ich verstehe allerdings, dass Tierschützer Probleme mit gewissen Produkten haben.“

Der Frosch auf dem Teller

Singvögel oder Froschschenkel kommen bei Günzel nicht (mehr) auf den Teller. Letztere hatte er eine Zeit lang auf der Karte, die Begeisterung der Gäste war enden wollend. Froschschenkel, in Frankreich nach wie vor eine beliebte Delikatesse, sind genau genommen die Hinterbeine von Fröschen. Sie stammen meist aus Südostasien, wo den Tieren die Beine bei lebendigem Leib abgeschnitten werden. In französischen Zuchten werden die Frösche angeblich zuvor mit gezieltem Schnitt geköpft. Tierschützer prangern das Leid der Frösche insbesondere in Asien an. „Das ist extrem grausam“, sagt Corinna Reinisch von der Tierschutzorganisation Vier Pfoten, „denn Amphibien haben ein ähnliches Schmerzempfinden wie Menschen.“

Ziemlich unbeliebt

Ob es Mitleid ist oder Desinteresse: Froschschenkel scheinen in der Beliebtheitsskala der österreichischen Gourmets weit hinten zu liegen. Beim Meinl am Graben werden sie weder verkauft noch nachgefragt. Weniger als eine Handvoll Wiener Restaurants führen sie auf der Karte. Wer sie für daheim kaufen will, wird bei einem Fischhändler am Naschmarkt fündig, der versichert, „keine gefährdeten Froscharten“ zu verkaufen.

So bemüht man hierzulande um das Schmerzempfinden von Fröschen mittlerweile ist – sie sind wohl auch einfach aus der Mode gekommen. Denn ja, auch bei Delikatessen spielen Trends eine große Rolle. Derzeit gibt es einen großen Hype um das Thema Regionalität: „Da ist viel Marketing dabei“, sagt Meinl-Chef Kaubek. „Grundsätzlich habe ich nichts dagegen. Das machen die Franzosen und die Italiener genauso. Aber wenn ich höre, Österreich sei ,der Feinkostladen Europas‘, dann muss ich wirklich lachen. Das ist absurd.“

Geiz ist geil

Das Problem der Österreicher: Sie seien sehr preisorientiert, stößt Kaubek ins selbe Horn wie Sterne-Koch Günzel: „Wir sind Europas Schlusslicht bei der Bereitschaft, Geld für Lebensmittel auszugeben. Das schlägt sich natürlich in der Qualität nieder. Qualität kostet, das wollen die Österreicher nicht zahlen. Sie haben leider andere Prioritäten.“

Hier ist man sich auch mit den Tierschützern einig: Die Österreicher, seufzt Vier-Pfoten-Expertin Reinisch, seien Billigfleisch gewöhnt – und das sei unvereinbar mit Tierschutz. Und: „Zu Recht legen viele Menschen Wert auf Regionalität. Aber Regionalität allein bedeutet nichts, wenn es um Tierschutz geht.“

Kommentare