„Das Wiener Reptil ist etwa zwölf Millionen Jahre alt und damit vier Millionen Jahre jünger als die steirischen Alligatoren“, rechnet Martin Gross vom Grazer Universalmuseum Joanneum vor, der ebenfalls an der Studie beteiligt war. Die Panzerplatte, die mutmaßlich von einem Diplocynodon stammt, gilt nunmehr als die des letzten bekannten Krokodils Mitteleuropas. Offenbar lebten die zwei Meter großen Tiere an den Süßwasser-Zuläufen der salzigen Paratethys um eine Million Jahre länger als bisher gedacht.
Wien lag am Meer, Hernals an der Paratethys
Am Meeresufer, das vor 12 Millionen Jahren im heutigen 17. Bezirk lag, wuchsen Palmen auf weißem Sand. Das Klima war tropisch; warm und feucht. Hinter dem Wienerwald erstreckten sich sozusagen die Everglades Österreichs.
„Der Alligator von Hernals wurde als Kadaver in die Paratethys gespült, wo die Überreste im Sediment erhalten blieben“, sagt Harzhauser und macht den Kaiser für den Fund verantwortlich. Als Franz Joseph I. ab 1858 die Ringstraße samt Prachtbauten errichten ließ, zogen sich Ziegelgruben von Siebenhirten bis Heiligenstadt.
Dabei tauchten neben der angeschwemmten Panzerplatte auch Hautschuppen von Schildkröten auf sowie Knochen von Robben, Delfinen, Fischzähne und jede Menge Muscheln und Schnecken.
In der Steiermark wurden Fossilien beim Kohleabbau gefunden
„In der Steiermark wurden sehr viele Wirbeltiere in den Kohleschichten gefunden“, sagt Gross. Der händische Abbau des Sedimentgesteins förderte ab dem 18. Jahrhundert unzählige Überreste von Urelefant und Urpferd, von Nashörnern, Wildschweinen, Zwerghirsch und Biber zu Tage. Teils gefundenes Fressen für Diplocynodon.
Doch dann änderte sich das Klima, die Temperaturen sanken, die Saisonen prägten sich aus. Die Vegetation passte sich an. „Es war aber weniger die Abkühlung vor 12 Millionen Jahren, die die Alligatoren aussterben ließen“, erklärt Harzhauser seine neue Hypothese zum Aus der kleinen Alligatoren.
Denn wie die Mississippi-Verwandtschaft vorzeigt, können die Reptilien sogar in gefrorenen Tümpeln überleben. „Viel mehr muss eine Phase der Trockenheit dem Diplocynodon zu schaffen gemacht haben“, argumentiert der Abteilungsdirektor Geologie und Paläontologie im NHM.
Krokodile kamen nach Europa und verschwanden schnell wieder
Erst vor rund 6 Millionen Jahren hinterließen dann echte Krokodile in Europa ihre Spuren. Die Afrikaner strandeten in Süditalien, konnten sich aber nicht viel weiter ausbreiten. Sie verschwanden so kurzfristig, wie sie gekommen waren.
Das Wissen über Österreichs Alligatoren befindet sich jedenfalls im Fluss. Das Durchforsten von bereits archiviertem Material könnte noch für einige Überraschungen sorgen. Auf Funde im Freiland zählen die Forscher nicht.
Der Kohleabbau in der Steiermark ist längst eingestellt. Beim U-Bahnbau in Wien baggert schweres Gerät vor allem Mikrofossilien aus der Tiefe. Doch Paläontologe Gross ist sicher: „Nach unserer Publikation über den Alligator von Hernals werden etliche Kollegen in ihren Sammlungen nachschauen.“
Kommentare