Wirtschaftswissenschafter Cocca: "Jetzt müssen alle Alarmglocken läuten"

Cocca
Österreich ist in eine selbst verschuldete Krise geraten, sagt Teodoro Cocca. In der Künstlichen Intelligenz und in Start-ups sieht er eine Lösung für die Zukunft.

Teodoro D. Cocca (53) ist Wirtschaftswissenschafter und Hochschullehrer. Er ist Professor für Asset-Management und Mitglied des Forschungsinstitutes für Bankwesen an der Johannes Kepler Universität Linz.

KURIER: Der indische Haupteigentümer von KTM hat kürzlich gemeint, die Produktion in Europa ist tot. Lenzing baut 600 Mitarbeiter ab, Oberösterreich verliert industrielle Produktion. Diese Entwicklung betrifft auch andere westeuropäische Staaten. Ist dieser Abwärtstrend aufzuhalten?

Teodoro Cocca: Ja, er ist schon aufzuhalten. Dafür braucht es ein gemeinsames Verständnis darüber, was schiefgelaufen ist. Seit Jahren zeigen die Zahlen, dass die Produktivität in Österreich wie auch in anderen europäischen Kernindustrieländern abnimmt. Nun sieht man die Folgen. Wirtschaft und Industrie haben jahrelang gewarnt, dass die Wettbewerbsfähigkeit leidet. Einmal kommt der Punkt, dass auch die Arbeitsplätze in Gefahr sind. Jetzt müssen alle Alarmglocken läuten. Es ist nicht fünf vor zwölf, es ist fünf nach zwölf. Die Wirtschaftspolitik Österreichs und anderer europäischer Staaten war in die falsche Richtung gelenkt. Es ist möglich, das wir das aufholen, aber das wird Zeit brauchen. Es wird ein harter Weg werden.

Wie kann die Produktivität zurückgewonnen werden?

Produktivität ist der Wert, der pro Arbeitsstunde geleistet wird. Also das Verhältnis zwischen Input, der Arbeitsleistung, und dem Output, das ist Wert des Produkts, das erzeugt wird bzw. der Wert der Dienstleistung. Diese Relation hat sich deutlich verschlechtert. Die Lohnkosten sind massiv gestiegen, der Wert des Produktes ist aber gleich geblieben.

Der Staat hat in den vergangenen Jahren sehr viel Geld ausgegeben, die Schulden sind gewachsen, dennoch hat die Produktivität der Wirtschaft gelitten. Trotz des vielen Geldes haben wir uns verschlechtert. Es ist weder die Innovationskraft noch die Wettbewerbsfähigkeit gestiegen. Es ist uns nicht gelungen, Wachstum zu generieren. Das ist die erschreckende Analyse der Vergangenheit.

Wir unterliegen dem Denkfehler zu glauben, dass man durch Mehrausgaben des Staates Wirtschaftswachstum generieren kann. Das stimmt nicht. Der Staat verteilt sehr stark, aber er kann kein echtes Wachstum generieren. Das kann nur die Wirtschaft, durch Innovation, durch ihre Fähigkeit, ihre Produkte in der ganzen Welt zu verkaufen.

Was ist die Antwort auf die Krise?

Es sind nicht Mehrausgaben des Staates, sondern weniger Förderungen und weniger Staat. Das würde erstens den Staatshaushalt sanieren und zweitens die Freiräume in der Wirtschaft erzeugen, die es braucht. Mehr Freiheit und Selbstverantwortung und weniger Bürokratie.

Haben die Verantwortlichen das erkannt? Ich habe den Eindruck, man glaubt, das ist eine kurzfristige Delle und wir kommen bald wieder zurück zu den Ausgaben der früheren Zeit, sobald das Budget saniert ist.

Die Prognosen sind zurückhaltend, es wird mit einem Wachstum zwischen null und einem Prozent gerechnet.

Das ist alles kein Wachstum, sondern eine Stagnation, die seit mehreren Jahren der Fall ist. Unsere südeuropäischen Nachbarn, Spanien, Italien, Portugal und Griechenland wachsen mit viel höheren Raten und sie reduzieren ihre Staatsverschuldungsquote. Österreich und Deutschland gehen genau den anderen Weg. Sie wachsen nicht und erhöhen ihre Staatsverschuldung.

Man kann sich auch nicht auf äußere Faktoren ausreden. Die Krise in Österreich ist eine hausgemachte. Wir haben eine Stagnation und eine Inflationsentwicklung.

Tragen nicht auch die Unternehmen eine Verantwortung, weil sie zu wenig innovativ waren?

Natürlich müssen die Unternehmen innovativer werden, dazu braucht es attraktive Rahmenbedingungen. Österreich ist für Investitionen und jede Neugründung extrem unattraktiv geworden. Es ist nicht in der Lage, internationales Kapital für Investitionen anzuziehen und hiesige Unternehmen sind gezwungen, im Ausland zu investieren, um konkurrenzfähig zu bleiben.

Die Unternehmen, die da sind, geben unter den gegebenen Rahmenbedingungen ihr Bestes. Wir bräuchten aber eine viel größere Innovationsgründungsleistung, einen steten Zuwachs an jungen Menschen, die sich entscheiden ein Unternehmen zu gründen. Österreich ist hier in den Ranglisten weit abgeschlagen. Wenn Bill Gates ein Österreicher gewesen wäre, hätte er Microsoft dennoch nicht in Österreich gegründet und großgezogen. Es ist nicht attraktiv in Österreich ein Unternehmen oder ein Start-up auf die Beine zu stellen.

Dazu kommt der masochistische Zug, dass man darüber klagt, dass man zu wenig Innovationskraft hat, aber andererseits sehr wirtschaftsunfreundlich agiert. Das ist wie eine gespaltene Persönlichkeit.

Sind die Verhältnisse in Oberösterreich noch einmal verschärft, weil Ihre Analyse des Landes doch sehr kritisch ausgefallen ist?

Oberösterreich ist die Industrie- und Wirtschaftslokomotive Österreichs. Deshalb sind diese Entwicklungen besonders relevant. Oberösterreichs Exportindustrie ist stark betroffen von dem, was in Wien an Rahmenbedingungen geschaffen wird. Die wirtschaftsfeindlichen Maßnahmen, die in Wien beschlossen werden, haben auf kein anderes Bundesland so massive Auswirkungen.

Laut Statistik Austria sind Oberösterreichs Exporte im vergangenen Jahr um sechs Milliarden Euro gesunken.

Oberösterreichs Unternehmen kämpfen so gut es geht, aber es haben sich die Rahmenbedingungen verschlechtert, bzw. die anderen Länder machen viel mehr, um die eigenen Rahmenbedingungen zu verbessern. Wirtschaft ist nun mal kein nationaler Wettkampf, sondern ein globaler. Das vergisst man hierzulande zu oft.

Landeshauptmann Thomas Stelzer und 56 Landesrat Markus Achleitner setzen nun alles auf Künstlichen Intelligenz (KI). Sind die 2.700 Studenten, die bei Josef Hochreiter KI studieren, wirklich die Lösung?

Ja, das ist eine wichtige Karte, die es auszuspielen gilt. Es gibt wenige Wettbewerbsvorteile, die Oberösterreich als Region hat. Andere beneiden uns darum. Wir kombinieren die beiden Stärken, die wir haben: KI plus Industrie. Es muss gelingen, die beiden Dinge zusammenzubringen.

Wie schafft man das?

Es soll eine engere Zusammenarbeit zwischen der Industrie und dem Talentepool der KI-Leute ermöglicht werden. Die Studierenden sollen während ihres Studiums schon mit der Industrie verzahnt sein, damit sie sehen, welche Probleme anfallen. Dadurch soll ermöglicht werden, dass die Leute Start-ups gründen oder Kooperationsprojekte mit der Industrie eingehen. Es soll eine Innovationsspirale entstehen, damit die Leute auf Ebene des Bundeslandes eingesetzt werden. Die Anwendung in den industriellen Prozessen würde unsere Industrie auf den nächsten Level bringen. Oberösterreichs Industrie braucht einen Schub, um die Produktivität zu erhöhen. KI wird der Treiber dieser Entwicklung sein.

Ist Oberösterreichs Industrie überhaupt in der Lage bzw. willens, diese 2.700 KI-Studenten aufzunehmen?

Die Nachfrage ist auf jeden Fall vorhanden. Ein Teil wird in die Industrie gehen, die KI-Kompetenz kann man auch in der Verwaltung im Handel oder der Landwirtschaft einsetzen. Der nächste große Schritt im weltweiten Wettbewerb wird sein, wem gelingt es, die KI effektiv umzusetzen. Das wird entscheidend.

Das Ziel wäre, so viele Studenten wie möglich für das Bundesland zu nutzen. Wenn wir zehn bis 20 Prozent hier halten können, hätten wir schon sehr viel erreicht.

KI-Professor Sepp Hochreiter berichtet von Widerständen im mittleren Management gegen die Installierung von KI in den Unternehmen, weil es wesentliche Veränderungen befürchtet.

 Es gibt zwei Wege. Es gibt die mutigeren Unternehmen, die die KI-Spezialisten anstellen und ihnen gewissen Freiräume geben. Die andere Variante sind die Start-ups, also jene Leute, die ihr eigenes Unternehmen gründen. Wir brauchen die Start-up-Schiene, um den Innovationsprozess schneller in Gang zu setzen, als das womöglich in etablierten Unternehmen der Fall ist, wo die Kultur hemmend sein kann. Das ist der große Vorteil der Start-up-Szene. Silicon Valley ist so entstanden. Nicht in den etablierten Unternehmen wie IBM, sondern als kleine Unternehmen. Es müsste möglich sein, diese Geisteshaltung, diesen Spirit in Oberösterreich zu erzeugen. Wir haben den Grundrohstoff, das sind die KI-Talente.

Sie haben angeführt, dass es Bill Gates nicht gelungen wäre, Microsoft in Oberösterreich zu gründen. Mit diesen unzureichenden Rahmenbedingungen sind die Start-ups auch konfrontiert.

Die Rahmenbedingungen für die Gründung eines Start-ups hat mit Geld vorerst einmal wenig zu tun. Es geht um den bürokratischen Aufwand. Das kann man vereinfachen und es wäre leicht umsetzbar.

Warum gelingt das in Österreich nicht? Das verstehe ich nicht. Weniger Regeln heißt weniger Kontrolle und mehr Freiräume. Da muss man bereit sein, zu akzeptieren, dass es dann so ist. Diese Freiräume sind der Nährboden für Innovationen.

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