Jakob Kapeller: In den vergangenen 40, 50 Jahren war die Entwicklung der US-Wirtschaft so, dass sie den unteren 80 Prozent der Bevölkerung zum Nachteil gereicht hat. Viele haben Realeinkommensverluste verzeichnet, sie haben in der Finanzkrise teilweise ihre Häuser verloren. Es gibt bei diesen Menschen eine gewisse Grundunzufriedenheit mit dem System. Donald Trump hat sich diesen Frust über fehlendes inklusives Wachstum zunutze gemacht, um eine Regierung zu installieren, die diese Punkte verschärft. Es wird eine Politik gemacht, die die reicheren Schichten bevorteilt.
Die Menschen wählen ihren eigenen Schlächter?
Bis zu einem gewissen Grad kann man das sagen. Der Frust wird sich wohl noch weiter verstärken, da die geplanten Zölle das Leben in den USA teurer machen. Mittelfristig könnte man zwar einen strukturellen Wandel befördern, also wieder mehr Industrie und mehr Wertschöpfung ins Land bringen. Das würde aber zuerst einmal eine glaubwürdige Politik voraussetzen, die Trump aber nicht liefert. Seine Politik ist chaotisch und unberechenbar. Damit werden andere zentrale Standortvorteile der USA wie das Wissenschaftssystem und der Rechtsstaat beschädigt. So ist diese Politik zum Scheiten verurteilt.
War die Auslagerung eines großen Teils der US-Produktion nach China ein Fehler?
Das ist ein zweischneidiges Schwert, auch für Europa. Ich habe einmal einen Workshop für den Vorstand der Kapsch AG abgehalten. Als ich dort sagte, dass wir in China kurzfristige Vorteile in Form günstiger Preise genießen, zugleich aber langfristige Risken eingehen, da solche Entwicklungen pfadabhängig verlaufen, wusste jeder im Raum, wovon ich spreche. Man verliert die industriellen Kapazitäten in der Grundstoffproduktion, man verliert das notwendige Wissen, der Kapitalstock veraltet und man fällt aus wesentlichen Teilen der Lieferkette heraus. Es ist sehr kostenintensiv und schwierig, diese Teile zurückzubringen.
Wir sehen das in der Entwicklung der Krisen der letzten Jahre. Wir haben zwar die Kostenvorteile durch die internationale Arbeitsteilung, aber die Lieferketten sind fragil. Das war bei der Corona-Krise so, bei den Energiepreisschocks und zeigt, dass die Pfadabhängigkeiten internationaler Arbeitsteilung auch riskant und nachteilig sein können.
Was heißt das?
Es mag für ein armes Land heute ein Vorteil sein, Rohstoffe zu exportieren und Industriegüter zu importieren. Das bedeutet aber auch, dass diese Länder auch morgen nichts anderes haben als Rohstoffe und koloniale Muster reproduziert werden. Gerade einmal eine Handvoll Länder wie Japan, Südkorea, die Tigerstaaten und zuletzt China konnte diese Spirale in den letzten Jahrzehnten durchbrechen und eine Industrialisierung vollziehen.
Wie soll sich Europa bzw. Österreich gegenüber China verhalten?
China hat eine relativ klare Strategie. Es sieht sein Wachstumspotenzial in den industriellen Lieferketten, weil nur dort die ganz großen Produktivitätssteigerungen zu holen sind. Durch Innovationsorientierung, staatliche Unterstützung und geringe Lohnkosten machen sie diesen Sektor gezielt attraktiv. Das ist für die USA aus drei Gründen ein Problem. Erstens verlieren die USA ihre industrielle Basis. Dies hat zweitens auch Folgen für die militärischen Lieferketten, etwas im Bereich von Grundstoffen wie Schießbaumwolle oder Germanium. Der dritte Problembereich der USA sind das Leistungsbilanzdefizit und die damit verbundenen Schulden im Ausland.
Die letzten beiden Aspekte werden vor allem relevant, wenn wir die geopolitischen Konfliktdimensionen mitbetrachten.
Was ist davon für Österreich relevant?
Auch wir sind von der Deindustrialisierung betroffen und müssen im Sinne resilienter Ökonomie überlegen, wie man große Teile relevanter Lieferketten mittelfristig stabilisieren kann. Zugleich werden wir durch die Fragilität dieser globalen Lieferketten wohl ärmer werden, wie etwa im Kontext der höheren Inflation der letzten Jahre.
Das bedeutet höhere Preise, denn die Produktion in Österreich und Europa ist teurer als in Asien.
Ärmer werden wir sowieso. Ob durch knirschende Lieferketten, höhere Zölle oder auch einen höheren Anteil heimischer Produktion sei dahingestellt. Wir müssen uns wirtschaftspolitisch überlegen, wie wir in einer konfliktreicheren Welt als rohstoffarmer Kontinent möglichst resiliente, autonome und faire Lieferketten haben, damit man gerne mit uns handelt und wir es schaffen, eine gemeinsame Entwicklung anzuschieben.
Wir können durch Qualität punkten. Der ökologische Wandel ist ein Win-win-Szenario. Wir könnten vom Gas unabhängiger werden oder unsere Energieresilienz erhöhen. Als Hochlohnkontinent haben wir von den USA, die Freihandel durchsetzen, extrem profitiert. Freihandel nützt vor allem jenen, die in der Entwicklung vorne sind. In einer Zeit einer stärkeren Fragmentierung internationaler Ordnung werden wir davon nicht mehr so stark davon profitieren können.
Aber Europa hat viele Stärken, die manchmal kleingeredet werden. So ist das Einkommen in europäischen Städten oft geringer als in amerikanischen, aber die Lebensqualität ist höher. Das liegt in einer vernünftigen sozialen Infrastruktur wie dem Schulsystem, dem öffentlichen Verkehr, dem Gesundheitssystem. Tatsächlich wird bei manchen Gütern die Kaufkraft zurückgehen, aber wir können dennoch ein vernünftiges Leben mit hoher Lebensqualität organisieren.
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