„Wir müssen der Preistreiberei ein Ende setzen“

Andreas Stangl, Präsident der Arbeiterkammer Oberösterreich
Andreas Stangl, der neue Präsident der Arbeiterkammer, plädiert für Preisobergrenzen und verlangt Maßnahmen gegen Konzerne, die mit Spekulation die Gewinne hochtreiben.

Der Gewerkschafter und Sozialdemokrat Andreas Stangl ist seit November 2021 Präsident der Arbeiterkammer. Der 52-Jährige wird am Dienstag zum Landesvorsitzenden des ÖGB gewählt.

KURIER: Wir feiern heute den 1. Mai, den Tag der Arbeit. Was verkünden Sie Ihren Arbeitnehmerinnen?

Andreas Stangl: Die Teuerungswelle stoppen, die Preise runter.

Wie?

Für jene, die von Transferleistungen abhängig sind wie Bezieher von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe, soll es sofort und gleich einen Teuerungsausgleich von 500 Euro geben. Es soll eine echte Preiskommission gebildet und in die Preisbildung eingegriffen werden, sofern der Preis nicht gerechtfertigt ist. So bei den Sprit- und bei den Strompreisen. Die Pendlerpauschale als Absetzbetrag muss kilometerabhängig und einkommensunabhängig sein. Die Preisdynamik nach oben muss gedämpft werden, damit sie sich normalisiert.

Die Mineralölsteuer und -abgaben betragen fast 50 Prozent. Bei einem Literpreis von 1,80 Euro verdient der Staat 90 Cent. Es müssen die exorbitanten Profite der Minerölkonzerne abgeschöpft werden und das Geld zurück zu den Menschen. Die Stromunternehmen sollen den Preis des teuersten Kraftwerks erhalten. Alles, was darüber hinausgeht, ist nicht zu rechtfertigen. Ich kann auch der Forderung von Wolfgang Katzian etwas abgewinnen, die Steuern bei den Lebensmittelpreisen abzuschaffen bzw. zu halbieren. Es kann nicht sein, dass die Menschen arbeiten und zu Empfängern von Heizkostenzuschüssen degradiert werden. Es widerspricht der Würde der Arbeitnehmer, dass er Ansuchen stellen muss, um sein Leben zu bestreiten.

„Wir müssen der Preistreiberei ein Ende setzen“

Andreas Stangl wird am Dienstag zum neuen ÖGB-Landesvorsitzenden gewählt

Ich befürchte, dass die Preisdynamik von der Politik nicht ernst genommen wird. Ich weiß nicht, ob die Politiker den Wocheneinkauf noch selbst erledigen. Früher hat man um 100 Euro ein volles Einkaufswagerl bekommen, jetzt ist der Korb nur mehr gut voll. Es gibt keine Lohn-Preis-Spirale, wie behauptet wird. Es gibt eine Gewinn-Preis-Spirale. Wir müssen schauen, dass die Arbeitnehmer keine Reallohnverluste erleiden. Wir werden bei den Kollektivvertragsverhandlungen entgegenhalten, aber viele Menschen profitieren nicht von diesen Verhandlungen, wie Arbeitslose oder Notstandshilfebezieher. Wir müssen schauen, dass die Arbeitnehmer mit ihren Löhnen und Gehälter auskommen können. Wir haben durch die Wirtschaftskrisen Reallohnverluste gehabt. Viele waren in Kurzarbeit mit um zehn bis 20 Prozent gekürzten Gehältern. Eine unserer Forderungen ist auch, dass wir bei der Kurzarbeit wieder auf 90 Prozent kommen, wie das vorher der Fall war. Arbeitsminister Martin Kocher lehnt das ab. Aber was können die Arbeitnehmer dafür, dass manche Industrien Lieferkettenprobleme haben?

Die Inflation ist nicht vorübergehend, sondern wird uns länger begleiten.Wie kann man sie in den Griff bekommen?

Die Preisexplosionen rühren teilweise daher, dass sich Produzenten zurückhalten, weil sie dadurch höhere Preise erzielen können. Diese Explosionen sind vielfach nicht gerechtfertigt. Mit Sorge sehe ich nach Schanghai, wo die Frachtschiffe nicht ablegen können. Wenn wir nicht die Lehren aus den Lieferschwierigkeiten ziehen, dann bekommen wir im Herbst wieder ein Problem am Arbeitsmarkt. Die Menschen werden in ihrem Konsum- und Kaufverhalten zurückhaltend sein. Die Inlandsnachfrage war aber stets der Stabilisationsfaktor in Krisen. Darum ist diese Inflation sehr gefährlich. Die Menschen werden Abstriche machen. Darum ist es so wichtig, dass die Politik hier nicht zuschaut, sondern handelt. Im Mai müssen die Lösungen am Tisch liegen. Wir haben auch Verwerfungen im Wohnbau. Die Mieten werden steigen.

Quer über alle Branchen erklingt das Klagelied von mangelndem Personal. Gibt es tatsächlich zu wenig Arbeitskräfte?

Derzeit gibt es einen Wettbewerb zwischen guten und den schlechten Arbeitsbedingungen. Die Arbeitnehmer schauen, dass sie auf Arbeitsplätze mit guten Bedingungen wechseln können. Es ist eine Chance für die Arbeitnehmer.

Ich merke in den Gesprächen mit den Managern und Unternehmern, dass sie viel stärker zuhören. Wir sagen ihnen, dass die Entlohnung eine Grundvoraussetzung ist, dass aber die Arbeitszeiten wie zum Beispiel die Vier-Tage-Woche oder die sechste Urlaubswoche wichtig sind. Ich höre aus vielen Betrieben, dass man sich wieder mehr um die Ausbildung und um die Lehrlinge kümmern will. Ein Industrieller hat gemeint, eine eigene Lehrlingsausbildung ist wie eine Booster-Impfung, mit der man später viel stärker rauskommt. Die Betriebe wollen auch wieder Praktikanten, damit sie frühzeitig die Bindung an das Unternehmen fördern. In unserer Arbeitsrechtsberatung schlägt sich der Arbeitskräftemangel noch nicht nieder. Die Streitfälle werden nicht weniger, Überstunden werden nicht bezahlt etc.

Die Arbeitsmarktsituation ist für den Arbeitnehmer günstig.

Aus arbeitsmarktpolitischer Sicht ist sie günstig. Ich verstehe aber, dass bei manchem die Wechselbereitschaft nicht da ist, wenn er mit dem kollektivvertraglichen Grundgehalt anfangen müsste. Ich verstehe auch, dass manche Betriebe Schwierigkeiten bei der Personalsuche haben, wenn diese es nicht zulassen, dass die Neuen zur Stammbelegschaft gehören, sondern sie zuerst beim Arbeitskräfteüberlasser arbeiten müssen.

Manche Experten prognostizieren für den Herbst eine wirtschaftliche Rezession. Sehen Sie diese kommen?

Ich sehe dafür keine Indikationen. Ich bin für die Industriebeschäftigung wirklich optimistisch. In den vergangenen Wochen habe ich 36 Betriebsbesuche absolviert. Alle suchen Fachkräfte und Arbeitskräfte und propagieren ein Branding mit Werthaltungen. Angst besteht vor einem Gasembargo. Wenn wir die ökologische Transformation realisieren wollen, brauchen wir Stromleitungen. Ich weiß von Betrieben, die sich im Mühlviertel ansiedeln wollten, aber das nicht machen können, weil nicht genügend Strom zur Verfügung steht.

Ich begrüße auch die neue Technische Universität in Oberösterreich. Das ist sehr gut. Umso attraktiver unser Universitätsstandort wird, umso mehr junge Menschen werden hierbleiben. Wir sind Industrieland Nummer eins. Das ist eine Stärke, von der alle anderen Wirtschaftsbereiche profitieren. Wir müssen schauen, dass wir die Wertschöpfung erhalten. Es muss gelingen, die ökologische Transformation so zu gestalten, dass die Betriebe erhalten werden. Hier müssen wir zusammenhelfen. das ist mit der Sozialpartnerschaft möglich. Wir haben ein korrektes Arbeitsklima und eine korrekte Zusammenarbeit. Damit es allen in Oberösterreich gut geht. Es hilft nichts, wenn es nur der Wirtschaft gut geht, und die Arbeitnehmer haben nichts davon.

Die Europäische Zentralbank (EZB) will beginnen, die Zinsen zu erhöhen. Sie macht das sehr vorsichtig, manche meinen, zu vorsichtig, um im Kampf gegen die Inflation erfolgreich zu sein. Für alle, die verschuldet sind, ist das keine gute Nachricht.

Ich bin dagegen, dass die EZB den Zinssatz erhöht. Die Inflationsursache liegt in der Preisspekulation. Es wäre viel wichtiger, hier einzugreifen. Die EU haben den Staaten Maßnahmen zur Inflationsbekämpfung empfohlen. Unsere Bundesregierung setzt hier keine Maßnahmen, teilweise aus finanztechnischen und teilweise aus ideologischen Gründen. Andere Länder sind hier weiter, indem sie zum Beispiel Preisobergrenzen festlegen. Bei denen fällt der Eingriff in Märkte viel stärker aus, die nicht funktionieren. Das ist desselbe Europa mit demselben Zinssatz und derselben EZB. Da hilft uns der Zinssatz nicht. Es braucht die richtige Medizin für die richtige Krankheit. Mit der Erhöhung der Zinsen erhöhen sich auch die Kosten, die für die Umsetzung der ökologischen und sozial gerechten Transformation notwendig sind.

Durch die Pandemie hat sich Homeoffice etabliert. Besteht hier nicht die Gefahr, dass die Arbeitnehmer mehr und länger arbeiten?

Es gibt negative und positive Seiten des Homeoffice. Es sind viele Berufsgruppen vom Homeoffice ausgeschlossen: Arbeiter, Produktion, Handel, etc. Unsere Mitglieder sagen, sie würden gern ein bis zwei Tage im Homeoffice sein. Mehr nicht. Homeoffice funktioniert nur dort, wo die sozialen Beziehungen im Betrieb funktionieren. Viele unserer Mitglieder geben an, dass sie zu Hause nicht die notwendigen Büroinfrastruktur haben. Und dass es mit Kindern im Homeoffice schwierig ist. Ein Faktor ist auch die Größe der Wohnung. In den Betrieben haben wir das mit der Arbeitsevaluierung gut im Griff gehabt. Viele finden sich zu Hause in Arbeitssituationen wieder, die wir ihnen im Betrieb nicht zubilligen würden. Zu Hause darf nicht kontrolliert werden. Bei der Entgrenzung der Arbeitszeit haben wir dasselbe Problem im Betrieb wie zu Hause. Der eine ist schneller, der andere langsamer. Die Gefahr der Entgrenzung ist gegeben, es sind hier die Betriebsrätinnen und Betriebsräte gefragt, eine funktionierende Homeofficevereinbarung zu schaffen.

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