Volkspartei am Rande des Zerbrechens

Josef Ertl
Es gibt manche, die der ÖVP das Schicksal der italienischen Christdemokraten prognostizieren.

Die Democrazia Christiana hat nach dem Zweiten Weltkrieg fast alle Ministerpräsidenten gestellt und sich 1993 aufgelöst. Diese Prognose mag im ersten Moment übertrieben erscheinen, doch die geplante Koalition mit der FPÖ und die Wahl von Herbert Kickl führt die Schwarzen in eine existenzielle Krise. 

Erste Anzeichen sind bereits da: die Ankündigung von Ex-EU-Kommissar Franz Fischler, in diesem Fall aus der Partei auszutreten. Der ehemalige Wiener Landesparteiobmann und Vizebürgermeister Bernhard Görg überlegt diesen Schritt ebenfalls.

Wie ernst die Lage für die ÖVP ist, zeigen die vergangenen Wahlergebnisse. Bei fast allen Wahlgängen 2024 und 2025 ist die ÖVP hinter die FPÖ zurückgefallen. Es ist Ziel freiheitlichen Politik, dies zu einem Dauerzustand zu machen. Dafür eignet sich die blau-schwarze Koalition mit einem Kanzler Herbert Kickl vorzüglich. Erste Umfragen geben der Volkspartei nur mehr 20 Prozent. Das wird für sie der neue Dauerzustand sein, vermutlich wird sich der Abfall auf 15 bis 20 Prozentpunkte noch verschlimmern. Denn traditionelle Wähler werden sich von der ÖVP verabschieden. Zum einen, weil von christlich-sozialer Politik nicht viel übrig ist, zum anderen, weil sich manche bei den Liberalen oder der FPÖ besser aufgehoben fühlen. Viele fragen sich, wofür steht die ÖVP eigentlich noch?

Was bedeutet „staatstragend“?

Von den Führungsleuten wird argumentiert, die ÖVP sei eine staatstragende Partei. Aber wo war das staatstragende Verhalten, als das Bundesbudget leer geräumt worden ist? Wo ist die viel gepriesene Wirtschaftskompetenz, wenn das Land seit zwei Jahren in der Rezession ist? Wo ist das Versprechen, Kickl nicht zum Kanzler zu machen? Die ÖVP ist sowohl inhaltlich als auch personell in einer Krise. Sie rinnt aus. Es ist zu bezweifeln, ob sie sich davon in der Rolle des kleineren Koalitionspartners erholen wird. Alles zu tun, nur um an der Macht zu bleiben, reicht nicht.

Ein Argument für Kickls blau-schwarze Koalition lautet, dass die ÖVP im Fall einer Neuwahl eine schwere Niederlage erleiden würden. Ist das so? Die 20 Prozent, die sie jetzt in den Umfragen hat, wird sie auch so erreichen. Geht die ÖVP tatsächlich in eine Koalition mit Kickl, könnte es durchaus passieren, dass Sebastian Kurz mit einer eigenen Partei antritt. Das wäre dann definitiv das Ende der ÖVP.

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