Soziale Medien für Kinder: "Jede Einschränkung ist gut!"

Social Media-Sucht kann nur behandelt werden, wenn Teenager proaktiv mitmachen.
Ein Zwölfjähriger verweigert den Schulbesuch, weil er durchgehend online sein will. Wenn seine alleinerziehende Mutter eingreift und das Gerät abnimmt, randaliert der Bub aus Zorn in der Wohnung, demoliert Möbelstücke.
Immer häufiger sind Medizinerinnen und Mediziner in der Suchtambulanz des Kepler Uniklinikums in Linz mit Fällen wie diesem konfrontiert. Erschreckend: Die Betroffenen werden immer jünger. "Wir sprechen von Kindern, die 9, 10, 11 Jahre alt sind", sagt der Leiter der Klinik für Psychiatrie am Spital, Kurosch Yazdi-Zorn.
Auch der oberösterreichische Familienbund hat sich nun in die Thematik eingeklinkt und fordert ein Verbot sozialer Medien für alle bis 16 - und zwar schnell. "Wir sehen am Beispiel Griechenland, dass es rein rechtlich und technisch möglich ist", sagt Martin Hajart, Obmann der Institution in Oberösterreich.
"Nur bei uns geht es so langsam. Wir sollten der EU noch maximal ein halbes Jahr Zeit geben. Wenn dann nichts passiert, sollten wir eine gesetzliche Regelung auf nationaler Ebene finden."
Wie bei anderen Suchtmitteln agieren
Experten sind sich einig, dass die Zeit drängt. "Jede Art von Einschränkung ist gut. Uns muss bewusst sein: Je weniger Bildschirmzeit, desto besser", bringt es Yazdi-Zorn auf den Punkt. Wir würden es in Österreich mit anderen Suchtmitteln ja auch so machen: "Wir schränken Alkohol und Nikotin altersmäßig ein, nur beim Smartphone sehen wir zu."
Allgemein müsse es unter Kindern und Jugendlichen das Verständnis geben, dass das Gerät nicht ihnen gehöre: "Eltern können das etwa so kommunizieren: Ich habe das Handy gekauft und borge es dir zu den Bedingungen, die ich festlege."

Primar Kurosch Yazdi-Zorn
Anders als bei anderen Süchten lasse sich an der Handysucht nichts mit Medikamenten verbessern. "Das macht die Sache natürlich schwierig. In der Gesprächs- und Gruppentherapie sind wir davon abhängig, dass die Kinder und Jugendlichen proaktiv mitmachen", weiß der Experte. Das sei oft nicht der Fall: "Die Kinder haben keinen Leidensdruck. Den haben die Eltern, weil sie sehen, wie viele Stunden pro Tag ihre Kinder vor den Bildschirmen verbringen."
Wann?
Am 21. Oktober um 19 Uhr informiert Experte Kurosch Yazdi-Zorn im Rahmen der Elternbildungsreihe "Erziehungsimpulse" über Online-Sucht, im Anschluss ist eine Diskussion möglich.
Anmeldung
Vor Ort gibt es nur wenige Plätze, Interessierte können sich aber online unter www.erziehungsimpulse.at anmelden und die Veranstaltung live miterleben.
Die Alarmglocken sollten dann läuten, wenn keine handyfreien Zeiten mehr möglich seien: "Wenn das Gerät nicht mehr freiwillig aus der Hand gelegt wird, ist es bereits problematisch." Gemeinsame Mahlzeiten ohne Handy am Tisch bieten sich dafür an, "sowas muss möglich sein".
Direkt ins Belohnungszentrum des Gehirns
Viele Jugendliche hätte wirklich Panik, Wichtiges zu verpassen, wenn sie ein, zwei Stunden nicht online sind. FOMO, fear of missing out, nennt sich dieses Phänomen in der Fachsprache. Aber warum ist diese Online-Verfügbarkeit so schlecht, was passiert dabei im Hirn? Die Inhalte sprechen gezielt das Belohnungs- und Beruhigungssystem an.
Kinder und Jugendliche greifen darauf zurück, um sich besser zu fühlen, innere Anspannungen zu dämpfen, sich abzulenken - ähnlich wie bei anderen Suchtmitteln. Mit dem Unterschied, dass in diesem Fall Konzerne dahinterstecken, die die Anwendungen bewusst so programmieren, dass sie süchtig nach diesen Effekten machen. Das kann sogar zu "brain rot" führen, ein Begriff aus der Wissenschaft. Er beschreibt den nachweisbaren, kognitiven Leistungsabfall bei Kindern und Jugendlichen, die viele Stunden online verbringen - ganz unabhängig, welche Inhalte sie konsumieren.
"Es gibt ja noch immer Eltern, die sagen: Mein Kind schaut sich ja nur gescheite Sachen im Internet an. Gescheite Sachen auf Bildschirmen machen nicht gescheiter. Was Kinder in diesem Alter lernen müssen, ist soziale Intelligenz. Die lernen sie am Spielplatz, in der Schule, bei Aktivitäten, mit Freunden", stellt Sucht-Experte Yazdi klar.
"Digi-Detox" lautet das Zauberwort, also bewusste Zeiten ohne Bildschirme. Der Mediziner weiß: "Das verlangt Eltern viel Kraft und Energie ab. Aber es gehört heutzutage zur Erziehung dazu."
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