Sandgruber: „Das Musik- und Festland Österreich ist habsburgisch“

Roman Sandgruber
Österreich ist viel stärker von den Habsburgern geprägt als uns bewusst ist, schreibt der Historiker Roman Sandgruber in seinem neuen Buch.

Roman Sandgruber ist Historiker. Der 78-Jährige war bis zu seiner Emeritierung 2015 Leiter des Instituts für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Johannes Kepler Universität Linz. Er hat mehrere Bücher verfasst. Donnerstagabend hat er in Bad Ischl sein neuestes, 300-seitiges Werk „Habsburg – die wichtigste Dynastie der Welt“ (Molden-Verlag) vorgestellt. Bei Molden erschienen zuletzt „Rothschild. Glanz und Untergang des Wiener Welthauses“ (Wissenschaftsbuch des Jahres 2019), „Hitlers Vater. Wie der Sohn zum Diktator wurde“ (SPIEGEL-Bestseller) und „Pretty Kitty und die Frauen der Rothschilds“, das für den Wissenschaftsbuchpreis des Jahres 2024 nominiert wurde.

Die Habsburger haben rund 750 Jahre regiert. 1282 wurden sie formell mit Österreich belehnt. 2026 jährt sich die Schlacht bei Mohács zum 500. Mal, dadurch fielen Ungarn und Böhmen an die Habsburger.

KURIER: Wer ist besser gefahren, die Schweizer, die die Habsburger losgeworden sind, oder die Österreicher, wo die Habsburger groß geworden sind?

Roman Sandgruber: Österreich gäbe es ohne die Habsburger in der Form gar nicht. Auch die heutige, lang gestreckte Form der Republik erklärt sich nur aus der Brücke, die die Habsburger zwischen (Nieder-)Österreich und der Schweiz geschlagen haben. Dass sie die Schweiz verloren haben, war für sie kein schwerer Verlust. Österreich war durch seine natürlichen Ressourcen viel wertvoller. Die Schweiz war bis ins 19. Jahrhundert ein armes Land. Österreich hat durch die Habsburger an Größe gewonnen und auch wieder verloren. Das imperiale Wien gäbe es ohne die Habsburger nicht.

Welche Spuren haben die Habsburger sonst noch hinterlassen?

Das prunkvolle Wien ist ein sehr schönes Erbe. Das haben nicht die Habsburger bezahlt, sondern die gesamte Bevölkerung. Ich wehre mich immer, wenn jemand sagt, Kaiser Franz Joseph hat die Ringstraße oder Maria Theresia hat das barocke Wien geschaffen. Es haben das die Österreicher geschaffen. Die Habsburger spürt man in Österreich immer noch, im Tourismus, in der Art der Bundesverfassung mit dem Bundespräsidenten. In Wahrheit agiert der heutige Bundespräsident ähnlich wie der späte Kaiser Franz Joseph. Als eine Art Staatsnotar und Unterschriften-August.

Die Habsburg-Nostalgie wird speziell im Tourismus vermarktet, siehe Bad Ischl.

Diese Nostalgie ist schön und nicht abzulehnen. Sie gehört zu Österreich. Es gibt Gott sei Dank nicht mehr diese Habsburger-Vertreibungspolitik. Man hat sich mit ihnen ausgesöhnt. Die Habsburger haben wie alle Regierungen Fehler begangen.

Zum Beispiel?

Sie haben eine Reihe unglücklicher Kriege geführt. Sie waren am Ersten Weltkrieg nicht unschuldig. Die Erbfolgekriege haben ihrer Macht gedient und sind auf dem Rücken der Bevölkerung ausgetragen worden. Der Antisemitismus ist zu einem nicht geringen Teil mit den Habsburgern verknüpft.

Obwohl sie am Schluss tolerant geworden sind.

Kaiser Franz Joseph war nicht mehr antisemitisch, denn er hat sich als Kaiser aller Österreicher gefühlt, auch als Beschützer der Juden. Aber Maria Theresia (1717–1780), Karl VI. (1685–1740) und Leopold I. (1640–1705) waren schwer antisemitisch. Im späten Mittelalter hat man die Verfolgung der Juden von Burgund, Frankreich und Spanien nach Österreich gebracht. Dieser Antisemitismus ist in der Bevölkerung hängen geblieben. Das war verhängnisvoll.

Genauso wie die Religionspolitik generell. Dass Österreich katholisch ist, ist habsburgisch. Obwohl die Habsburger lange geschwankt haben. Karl V. (1500–1558) hat am Ende seiner Regierungszeit sogar das Grab von Martin Luther besucht, getragen von der Überlegung, hat Luther nicht doch recht gehabt? Andererseits hat er gesagt, hätte ich ihn nicht doch in Worms schon hinrichten lassen sollen? Was hätte mehr Unheil erspart?

Als Positivum führen Sie in Ihrem Buch an, es sei den Habsburgern zu verdanken, dass Österreich heute ein Musikland ist.

Es gibt keine Dynastie, die so musikvernarrt war. Das erreichte den Höhepunkt bei Ferdinand III. (1608–1657) und Leopold I., der selbst komponiert hat. Das Musikland Österreich ist habsburgisch. Auch das Festland Österreich. Aber das haben andere Dynastien auch gehabt.

Sie schreiben auch, dass der Name Teebutter auf die Habsburger zurückgeht.

Erzherzog Albrecht (1817–1895), in dessen Palais die heutige Albertina untergebracht ist, hatte große Grundbesitzungen in Mähren und Schlesien (Teschen) und dominierte den Wiener Milch- und Buttermarkt. Er war der reichste Habsburger. Milch und Butter mussten rasch nach Wien gebracht werden. Die Aufschrift auf den Butterfässern lautete (T)eschen (E)rzherzog (A)lbrecht. Das TEA hat man auch als englisches tea lesen können. Die Butter ist wegen ihrer Qualität auch an den englischen Königshof geliefert worden. Daraus ist die Interpretation Teebutter entstanden.

Die Habsburger verstanden Vermählungen als Instrumente ihrer Politik. Oft wurde innerhalb der Familie und der Verwandtschaft geheiratet, die Inzucht war ein Problem. Thronfolger Franz Ferdinand hat gemeint, die Hälfte der Habsburger-Nachkommen seien Trotteln und Epileptiker.

Er wollte seine Ehe verteidigen, die in den Augen von Kaiser Franz Joseph nicht standesgemäß war. Die Regeln des Hofs waren noch einmal verschärft, es ging nicht nur um Adelige, sondern es mussten regierende, katholische Häuser sein, die als Frauen infrage kamen. Davon hat es gar nicht so viele gegeben. Sie sollten auch bündnispolitisch etwas bringen. Franz Ferdinand argumentierte, er bringe neues Blut rein. Mit einer Gräfin, die aber nicht aus einem regierenden Haus kommt.

Die sehr vielen Missbildungen, Krankheiten und die Abfolge von Todesfällen im habsburgischen Haus waren eine tragische Geschichte. Kaiser

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Ferdinand war zum Beispiel epileptisch, seine Krankheit wurde benutzt, um ihn 1848 in einer Hausintrige wegzubringen. Er war nicht so schlimm krank, dass er regierungsunfähig gewesen wäre. Er hat eher wie ein konstitutioneller Monarch regiert, indem er alles unterschrieben hat. Man hat dann Kaiser Franz Joseph installiert, der sich anfänglich diktatorisch verhalten hat. So hat er gegenüber den Ungarn mit dem Blutgericht von Arad eine Politik der Rache betrieben. Ich habe seine Biografie in zwei Kapitel geteilt. Der junge Kaiser Franz Joseph als Autokrat und der alte Kaiser als Automat, der nur mehr unterschreibt.

Gemäß seinem Motto, es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut.

Das war sein Standardsatz bei Festen.

Und dann hat er gemeint, wenn die Monarchie schon untergeht, soll sie wenigstens anständig zugrunde gehen.

Das ist dieses verhängnisvolle Ehrgefühl. Lieber gehe ich zugrunde, bevor ich Kompromisse schließe. Das hat in den Ersten Weltkrieg geführt. Das war aus österreichischer Sicht kein Eroberungskrieg, sondern dazu gedacht, das Reich im Inneren durch Siege zu stabilisieren.

Kaiser Josef II. (1741– 1790) war eine markante Persönlichkeit. Er propagierte Arbeit statt Askese, er hat zum Beispiel die Diözese Linz gegründet.

Seine Religionsreformen waren sehr sinnvoll und mutig. Er war ein Aufklärer. Er hat Beter für unnütz gehalten, sie sollten arbeiten. Die rein betenden Orden hat er aufgelöst und sie in die Pfarren geschickt. Seine Verdienste waren die Aufhebung der Leibeigenschaft der Bauern, das Toleranzedikt für die Protestanten, auch für die Juden. Er war ein moderner Herrscher.

Wieso ist er so selbstkritisch gestorben? Er wollte am Grab die Inschrift anbringen lassen, „hier liegt Josef II., der in allem versagte, was er unternahm“.

Er hat gesehen, dass alle gegen ihn waren: die Kirche, der Adel, nicht einmal die Bauern waren zufrieden. Das hat er ausgelegt, es mag mich eh niemand. Privat ist er gescheitert. Mit seinen zwei Ehen, und er hatte keine Kinder.

Ihr Buch enthält auch interessante Details der Habsburger, die bisher kaum bekannt waren.

Ich habe versucht, einige Facetten ins Buch hineinzubringen, wie diese Zwergin aus Steyr, die am Spanischen Königshof gelebt hat und reich geworden ist. Die Gattin von Philipp IV. (1605–1665) hat sich eine Zwergin, eine kleinwüchsige Person als Gespielin für die Tochter, die Infantin, geholt. Die Zwergin stammte aus Steyr. Sie hieß Maria Barbola, österreichisch Marie Baberl oder Maria Barbara Hansin, auf Spanisch Hausin. Sie hat am Spanischen Hof eine einflussreiche Stellung innegehabt. Ihre Erbschaft wurde vom Kardinal persönlich nach Österreich gebracht und an die Verwandten übergeben. Ihre Eltern waren Bauern aus der Umgebung von Steyr. Die Dokumente der Geldübergabe sind im Landesarchiv.

War sie Millionärin?

Das nicht. Aber man konnte sich um das Geld schon ein Haus kaufen. Bekannt wurde sie durch das Gemälde Las Meninas (die Infantinnen) von Diego Velazquez (siehe Seite 1). Es ist eines der berühmtesten Gemälde der Kunstgeschichte, es hängt im Prado in Madrid. Ich habe es im Buch auch abgebildet. Während das Königspaar nur im Hintergrund in einem Spiegel zu sehen ist, ist die Zwergin als wahres Zentrum stark im Mittelpunkt. Die Infantin hat sie sehr geliebt. Man hat damals eine Freude mit missgebildeten oder anders aussehenden Personen gehabt. Fast jeder Königshof hatte seine Hofzwerge. Man gestand ihnen Narrenfunktion zu und man zeigte etwas her, was anders war. Sie waren nicht verachtet, sondern angesehen.

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