Pierer: „Klimadiskussion treibt die Innovationen voran“

Stefan Pierer
Der Hersteller von Motorrädern setzt auf Elektromobilität und sieht im Klimaschutz eine Chance für Innovation und Wachstum.

Stefan Pierer ist Vorstandsvorsitzender der Pierer Mobility AG, deren wesentlicher Teil die KTM AG ist. Der 63-Jährige ist auch Vizepräsident der Industriellenvereinigung Oberösterreich.

KURIER: Die Motohall wurde im Frühjahr eröffnet. Damals haben Sie gemeint, Sie freuen sich über 40.000 Besucher bis zum Jahresende, jetzt sind es doch deutlich mehr.

Stefan Pierer: Vor drei Wochen waren es bereits 50.000. Es freut mich sehr, dass so viele Kinder und Jugendliche kommen, die unsere Zielgruppe sind. Sie sollen Technik erleben, nicht nur virtuell, sondern auch im Praktischen. In Kooperation mit der Ars Electronica haben wir eine Innovationswerkstatt eingerichtet, wo sie löten, 3-D-Drucken und andere Dingen machen können. Bis 14 Jahren ist der Eintritt frei, was viele Familien anzieht. Für Mattighofen ist das eine wunderbare Sache.

Es gab politische Diskussionen um die Landesförderungen für die Motohall. Wie haben Sie sie erlebt?

Ich bin eine exponierte Person, nachdem ich vor zwei Jahren Sebastian Kurz öffentlich unterstützt habe. Das Thema wird immer wieder hervorgeholt, wenn es Diskussionen darüber gibt, ob man Wahlen beeinflussen kann. Die Förderung war ein Thema des Nationalratswahlkampfes. Das Ergebnis spricht Bände. Das Innviertel ist Türkis geworden, Mattighofen ebenso. In Braunau hatte Türkis die stärksten Zugewinne von ganz Oberösterreich. Die Menschen in der Region waren sauer über die Diskussion.

Haben Sie sich persönlich angegriffen gefühlt? Sie haben sich dazu nicht geäußert.

Weil mich die Diskussion nicht berührt hat. Entweder man steht darüber oder man ist inmitten eines Wahlkampfes. Ich lasse Fakten sprechen. Es ist alles sauber und korrekt. Die Motohall ist das Infrastrukturprojekt schlechthin in der Region.

Die Braunauer Unternehmen beklagen die schlechte Verkehrsanbindung nach Linz.

Man muss das historisch sehen. Die letzte Trassenplanung Linz-München stammt aus dem Zweiten Weltkrieg. Sie wurde nicht realisiert. In den Nachkriegsjahren wurden Niederbayern von München und die Region hinter dem Kobernaußernwald von Linz aus zu wenig einbezogen. Niederbayern wurde nun mit der Autobahn angebunden, was dazu führt, dass man von Braunau schneller in München als in Linz ist.

Türkis und Grün verhandeln über die Bildung einer Koalitionsregierung. Ein schwieriges Unterfangen. Die beiden Parteien haben teilweise völlig konträre Positionen. Die Grünen sehen den Individualverkehr skeptisch und lehnen den Straßenausbau ab. Wie soll das funktionieren?

Aufgrund des Wahlergebnisses ist das eine der wenigen Möglichkeiten. Beide Parteien versuchen ihr Bestes. Es gehört sicher viel Geduld dazu. Es gibt Dinge, wo es eine totale Überlappung gibt und auch wieder unverrückbare Steine. Beide werden versuchen ihre Wähler zufriedenzustellen. Schauen wir, was rauskommt.

Was soll Kurz machen, wenn die Verhandlungen mit den Grünen scheitern?

In Portugal gibt es bereits die zweite Periode eine sehr erfolgreiche Minderheitsregierung. Es gibt für alles Beispiele. Es kann nicht sein, dass wir wieder einen Stillstand bekommen. Ich sehe das ganz pragmatisch.

Kommissionspräsidentin Ursula van der Leyen hat einen Green Deal ausgerufen, Europa soll bis 2050 CO2-neutral sein. Ist das realistisch?

Das Problem in der politischen Diskussion ist, dass über Schlagzeilen Dinge wie eine Religion ausgerufen werden. Sehr viele Leute wissen gar nicht, was - neutral überhaupt bedeutet. Es ist eine Tatsache, dass der Mensch zum Klimawandel beiträgt. Wir werden es schaffen, das Problem durch Innovationen und durch Verhaltensänderungen zu lösen. Ein Beispiel ist die bessere Wärmedämmung der Häuser. Nichts gegen den Flugverkehr, aber wie kann es sein, dass man für 48 Euro nach Mallorca und retour fliegen kann? Wir müssen es durch Anreizsysteme schaffen, dass sich die Menschen anders verhalten. Mit relativ einfachen Mitteln ist viel möglich. Aber nicht mit Verboten und Demonstration.

Wird Österreich ohne - Steuern auskommen?

Wir haben in Österreich die höchsten -Steuern. Nur heißen sie anders, zum Beispiel Nova. Sie werden nicht für Umweltmaßnahmen verwendet, sondern für die Deckung des Budgetabgangs. Beim Tanken haben wir die dritthöchste Verbrauchsbesteuerung Europas. Das ist uns gar nicht mehr bewusst. Wir sind ein Hochsteuerland.

Sie produzieren Motorräder. Was machen Sie in Ihrem Bereich?

Wir sind Lösungsbringer. Die Elektromobilität findet tatsächlich bei leichten Fahrzeugen auf der kurzen Strecke statt. Dafür ist das Zweirad prädestiniert. Ob das nun das Elektrofahrrad, das Mofa, das Moped oder der Roller ist. Bis zu 15 PS wird das zu einem hohen Anteil elektrisch werden. Das kann man mit Niedrigvoltkonzepten machen. Das ist völlig ungefährlich. Wir sind in diesem Bereich einer der Pioniere und werden in den nächsten Jahren eine Vielzahl von solchen Produkten rausbringen.

Wie hoch ist der Anteil der Elektromobilität derzeit und wo wollen Sie in einigen Jahren stehen?

Wir setzen heuer rund 280.000 Einheiten weltweit ab. Davon sind gute 4000 Einheiten elektrisch. Das sind zum Beispiel Sportmotorräder für Kinder. Sie erzeugen keinen Lärm, das Produkt ist sicherer, weil es mehrere verschiedene Einstellmodi gibt, und das Produkt ist nicht wartungsintensiv. Mit solchen Produkten erzielt man denselben Deckungsbeitrag wie mit einem Verbrenner.

Wir werden bereits Ende 2019 die E-Bike Aktivitäten der Pexo zu hundert Prozent in die Pierer Mobility AG übernehmen. 2020 rechnen wir in diesem Bereich mit den Marken Husqvarna E-Bicycles und Raymon mit einem Umsatz von rund 100 Millionen Euro. In Deutschland werden insgesamt 1,1 Millionen E-Bikes verkauft.

Sie haben kürzlich Ihr Unternehmen von KTM Industries in Pierer Mobility umbenannt. Warum?

Wir haben mittlerweile so viele verschiedene Marken. Ausgehend von KTM haben wir vor sechs Jahren Husqvarna dazu genommen. Das Unternehmen macht schon beinahe 400 Millionen Euro Umsatz. Heuer kam die spanische Gasgas dazu. Ich schließe nicht aus, dass andere Dinge dazu kommen. Wenn da KTM drübersteht, erdrückt es die anderen Marken.

KTM ist in die Moto GP ein gestiegen, um damit den Verkauf der Straßenmotorräder anzutreiben. Ist das aufgegangen?

Es geht voll auf. Wir haben im Absatz das neunte Rekordjahr. Rund 180.000 der 280.000 abgesetzten Stück sind Straßenmotorräder. 100.000 sind Geländemaschinen.

Wo soll die Entwicklung hingehen?

Bei den Verbrennermotoren geht es in den nächsten zwei, drei Jahren in Richtung 400.000 Stück.

Der Absatz ist hauptsächlich in Asien?

Es geht quer durch. In Deutschland sind wir hinter BMW bereits die Nummer zwei, in Österreich sind wir sowieso Nummer eins. Wenn das Tempo so weitergeht, können wir in vier, fünf Jahren die Nummer eins in der Zulassung in Europa werden. Unter den Herstellern sind wir es bereits. In Indien wachsen wir durch die Zusammenarbeit mit unserem Partner Bajaj überproportional. Wir werden heuer rund 68.000 Motorräder in Indien verkaufen. Auf den Philippinen haben wir mit einem lokalen Partner eine einfache Assemblierung (Zusammenbau von Komponenten, Red.), dies ist aufgrund der Zollproblematik notwendig. Asien ist im Wachstum. Lateinamerika ist sehr volatil, Nordamerika ist für uns ein stabiler Wachstumsmarkt. 55 Prozent unseres Absatzes erzielen wir außerhalb Europas.

Sind größere Investitionen geplant?

Wir sind durchinvestiert. Wir haben in den vergangenen sieben Jahren mehr als eine halbe Milliarde Euro am Standort Mattighofen/Munderfing investiert. Wir beschäftigen dort 3600 Mitarbeiter. Wir sind für die nächsten fünf Jahre aufgestellt. Jetzt heißt es produzieren und verkaufen. Wir haben die guten Zeiten genutzt und sind gerüstet für herausforderndere Zeiten.

Glauben Sie, dass schwierige Zeiten kommen werden?

Wir in Europa werden eine ähnliche Entwicklung wie Japan nehmen. Die Parallelen in der demografischen Entwicklung sind unübersehbar, nur sind die Japaner in der Alterung fünf bis zehn Jahre vor uns. Wie Japan werden wir in eine Stagnation hineingehen.

In der Vergangenheit haben wir es in Österreich verabsäumt, qualifizierte Zuwanderung zu fördern, so wie es beispielsweise die Kanadier machen.

Stagnation ist Stillstand. Es könnte zum Beispiel auch ein Wachstum auf niedrigem Niveau geben.

In der europäischen Politik herrscht reinste Stagnation. Schauen Sie nach Deutschland. Das ist ein Desaster und wir in Österreich sind zu einem gewissen Maß von Deutschland abhängig. Dennoch sehe ich eine positive Entwicklung, denn aus der Klimakatastrophendiskussion heraus besteht sehr wohl die Chance, dass sich neue Geschäftsfelder entwickeln. Die Klimadiskussion zwingt uns zu Innovationen. Ich bin da optimistisch. Die Menschheit hat das immer noch hinbekommen. Die Welt geht nicht unter, sie wird sich verändern. Veränderung ist für einen Großteil der Menschen mit Unsicherheit verbunden und selten positiv besetzt. Das ist auch das Problem, weil in der Politik die Veränderung nur für eine Periode reicht. Denn wenn man wirkliche Maßnahmen setzt, ist die Gefahr groß abgewählt zu werden. Ich freue mich auf das neue Jahr 2020. Wenn man auf Veränderungen richtig reagiert, hat man Erfolg.

Die Klimadiskussion sehen Sie gar nicht negativ?

Nein. Sie muss unaufgeregt, mit Hausverstand, mit Fakten und ganzheitlich geführt werden, nicht in Form von Religionskämpfen. Die Schritte, die man schnell machen kann, soll man schnell machen, die langsamen langsam. Eine substanzielle Verbesserung kann nur über Innovation gehen. Ich sehe das pragmatisch.

Die europäische Industrie ist dafür aufgestellt. Wir sind die Vorreiter bei der Nachhaltigkeit. Hier können die anderen lernen. Ich bin viel in China und Indien unterwegs. Wenn Sie das den Menschen dort erklären, bekommt man als Antwort, dass sie Wachstum wollen, um der Armut zu entrinnen.

Wir in Europa sind der klassische Fall einer Hochkultur, die zu degenerieren beginnt.

Das ist pessimistisch.

Nein, das ist eine Analyse. Man muss bestmöglich damit umgehen.

Wir haben ein relativ starkes Bevölkerungswachstum. Österreich wird 2060 zehn Millionen Einwohner haben. Trotz allem gibt es eine Dynamik.

Schauen Sie sich das Durchschnittsalter an. Wir in Österreich haben im Vergleich zu den anderen europäischen Ländern noch relativ gute Möglichkeiten, das ist auch der Grund, warum ich für dieses Land kämpfe. Die Ostöffnung hat uns viel gebracht. Die qualifizierte Einwanderung, die wir bekommen haben, haben wir auch aus Osteuropa bekommen. Nur kann ein so kleines Land die Welt nicht verändern.

Sie sind doch mit Ihrem Unternehmen ein Beispiel, dass man das erfolgreich bewältigen kann.

Die Elektromobilität ist für uns eine Riesenchance. In den Städten wird der elektrisierte Verkehr wichtig. Kleine Autos mit Reichweiten bis zu 200 Kilometern haben ihr Anrecht. Die Zustellung von im Internet bestellten Produkten durch Klein-Lkw sollte nur elektrisch erfolgen. Hier sollte die Politik aktiv werden. Das würde einen Schub von Investitionen auslösen. Es sind so viele Chancen drinnen. Demonstrationen am Freitag emotionalisieren zwar und erzeugen Fronten, lösen aber das Problem nicht.

Zurück zum Thema Überalterung. Sie sind jetzt 63 und Sie können noch 20 Jahre arbeiten.

20 Jahre nicht, aber für mich als Unternehmer ist es keine Alternative in die Pension zu gehen. Ich mache das, was mir Freude macht. Und wenn Sie Freude haben, sind Sie bereit, über den Durchschnitt zu gehen. Auch wenn es manchmal mühsam ist. In meinem Alter ist der durchschnittliche Österreicher schon in Pension. Die Menschen sind aber noch wirklich gut beisammen. Wer freiwillig bereit ist, länger zu arbeiten, sollte dies tun können und es soll sich für sie oder ihn und für die Firma lohnen. Unsere Philosophie bei KTM ist ready to race. Das heißt, sich jederzeit dem Wettbewerb zu stellen. Auch wenn es ein großer Wettbewerber ist. Das ist auch ein emotionaler Kitt für die Mitarbeiter. Wenn man gemeinsam erfolgreich ist, dann bindet das.

Kommentare