„Ohne wohnortnahe ärztliche Versorgung geht es nicht“
Es war vieles anders, aber von der guten alten Zeit reden sie nicht. Zu Beginn der 1980-er Jahren starteten sie ihre Laufbahn als Hausärzte. Der heute 73-jährige Erwin Kaltseis 1984 in Engelhartszell an der Donau, der 71-jährige Franz Berger 1981 in der Sauwaldgemeinde Kopfing.Hausarzt zu sein bedeutete damals, rund um die Uhr zur Verfügung zu stehen.
"Ich wäre längst tot"
Franz Berger: „Als ich 1981 begonnen habe, war ich mit dem Kollegen von Engelhartszell für den Sprengel Engelhartszell, St. Aegidi, Kopfing, St. Roman und Waldkirchen zuständig. Wenn einer von uns auf Urlaub gegangen ist, hat der andere durchgehend gearbeitet. Einmal bin ich um 22.30 Uhr von den Visiten heimgekommen und musste in der Nacht nochmals ausfahren. Der Bezirk Schärding war einer mit der niedrigsten Ärztedichte in Österreich. Erst 1987 erhielten Waldkirchen, St. Roman, Sigharting, Enzenkirchen und Freinberg einen Hausarzt. Wenn das nicht passiert wäre, würde ich hier nicht mehr sitzen. Ich wäre längst tot. In der Nacht konnte ich kaum durchschlafen. Am nächsten Tag fragt dich keiner, wie die Nacht war, Du musst wieder funktionieren.“
Telefon stand beim Bett
Kaltseis bestätigt: „Das Telefon ist beim Bett gestanden. Wenn etwas war in Nacht, bin ich gefahren.“ Einmal rief ein Asthma-Patient an, er bekomme überhaupt keine Luft mehr. Kaltseis fuhr mit überhöhter Geschwindigkeit zum Patienten, ein Reh sprang ihm in den Wagen, mit dem schwerbeschädigten Auto konnte er das Haus des Patienten gerade noch erreichen. Der saß auf seinem Bett und rauchte.
Mit Auszeichnung
Berger wurde praktischer Arzt, obwohl ihm eine Karriere als Hautspezialist in einem Salzburger Krankenhaus offengestanden wäre. Immerhin hatte der gebürtige Ottnanger Sub Auspiciis in Innsbruck promoviert, doch wegen der damaligen „Ärzteschwemme“ entschied er sich für die Hausarztstelle in Kopfing. Berger und Kaltseis sind befreundet, sie kennen sich seit ihrer Internatszeit im Linzer Gymnasium Petrinum.
Ärzte zieht es in die Spitäler
Heute ist das Interesse an der Übernahme einer Hausarztstelle deutlich geringer. Rund 50 Stellen sind derzeit in Oberösterreich unbesetzt. „Der Sog in das Krankenhaus ist durch die Arbeitszeitbegrenzung auf maximal 48 Wochenstunden massiv größer geworden“, sagt Berger. Die Spitäler würden dadurch beinahe das Doppelte an Ärzten benötigen.
Es braucht bessere Turnus-Ausbildung
Zudem sei die Qualität der Turnusärzte-Ausbildung verbesserungswürdig. Kaltseis: „Wir hatten früher als Turnusärzte relativ freie Hand. Wir haben gegipst, wir haben Extensionen (Streckung des Gelenks) gemacht.“ Berger: „Ich habe zu Beginn meines Turnus’ um Mitternacht einmal eine Lungenpunktion vorgenommen, gemeinsam mit einer Krankenschwester. Ich habe da noch einmal im Buch nachgeschaut, ob das eh richtig ist, was ich im Kopf habe. Wenn man das heute ohne Facharzt macht, fliegt man vom Spital.“
Kürzere Belegungszeiten
Ein weiterer Grund für die mangelnde Ausbildung ist für Berger die weitaus kürzere Belegungszeit in den Krankenhäusern. „Früher ist zum Beispiel ein Patient mit einer Herzinsuffizienz zwei bis drei Wochen im Krankenhaus gewesen. Man hat als Turnausarzt gesehen, was passiert, wenn dieses oder jenes gemacht wird. Das kann man heute nicht mehr. Diese Kontinuität ist unterbrochen.“
Ärztekammer jammert zuviel
Berger äußert bei der mangelnden Besetzung von Hausarztstellen auch Unzufriedenheit mit der Ärztekammer. „Wenn diese immer jammert, dass die Hausärzte so schlecht bezahlt werden, hat das Auswirkungen. Da darf man sich nicht wundern, wenn es keinen Nachwuchs gibt. Man muss hier differenzieren. Es gibt Dinge, die schlecht bezahlt werden, andere wiederum nicht.“
Bezahlung ist nicht schlecht
Die Bezahlung sei nicht so schlecht. „Es sind Regulative aufgehoben werden, wonach es ab einer bestimmten Anzahl von Krankenscheinen keine Bezahlung mehr gibt.“ Kaltseis: „Ich habe mich nie an die Regelung gehalten, dass pro Krankenschein nur eine bestimmte Anzahl von EKG (Elektrokardiogramm für die Messung der Herzströme) gemacht werden dürfen. Ich habe die EKG gemacht, wenn ich sie für notwendig erachtet habe, unabhängig davon, ob sie bezahlt werden oder nicht.“
Es liegt nicht am Geld
Die beiden ehemaligen Hausärzte sind sich einig, dass es nicht das Geld ist, das Jungärzte von der Übernahme einer Hausarztstelle abhält. Kaltseis: „Es fehlt nicht am Geld. Ich traue mir laut zu sagen, dass ich als Praktiker am Land mehr verdient habe als jeder Arzt im Spital. Ich hätte mir sonst kein Haus bauen können. Finanziell ist uns Praktikern nichts abgegangen. Ich habe später noch eine Hausapotheke dazubekommen, was ein weiterer Vorteil war.“
Hausapotheke für alle
Sollte man allen praktischen Ärzten eine Hausapotheke geben? „Meiner Meinung nach ja“, antwortet Kaltseis. „Sicher“, stimmt Berger zu. Kaltseis: „Bis 2002 habe ich keine Hausapotheke gehabt. Vorher hatte ich schon immer den Kofferraum voll mit Medikamenten. Ich habe immer eine kleine Apotheke im Auto mitgeführt. Ich habe die Medikamente den Patienten kostenlos überlassen, ich habe hier oft draufgezahlt.“
Wahlärzte verdienen besser
Die Anzahl der Wahlärzte steigt rapid an. Warum? Beide nennen finanzielle Gründe als eine Hauptursache. Wahlärzte hätten zudem einen deutlich geringeren Aufwand und sie machten keine Visiten. Berger: „Wahlärzte unterliegen deutlich weniger Zwängen, die einem Kassenvertragarzt auferlegt werden. Sie haben vollkommen freie Gestaltungsmöglichkeiten.“
Keine vollen Wartezimmer
Kaltseis: „Die Wahlärzte können freier agieren und sie verdienen auch besser. Beim Gynäkologen geht man unter einem Honorar von 130 bis 150 Euro nicht raus. Wenn der Kassenarzt gynäkologisch tätig ist, bekommt er 88 Euro.“ Berger: „Der Wahlarzt hat kein volles Wartezimmer, er hat maximal eine Angestellte oder er macht sich das Bürokratische selbst. Er kann um 12 Uhr mittags zusperren. Das kann ein praktischer Arzt nicht. Zu uns sind die Patienten einfach gekommen, ohne Termine, sie sind alle drangekommen.“
Niedrige Barriere
Wo besteht in der gesundheitlichen Versorgung der größte Bedarf?
„Ohne die wohnortnahe Versorgung wird es nicht gehen. Sie war und ist die günstigste, sie ist die mit der niedrigsten Barriere. Der Patient kann zum Arzt gehen und sagen, ich habe dieses und jenes. Auch mit Sachen, mit denen er sich woanders nicht hingehen traut“, plädiert Kaltseis für eine gute Hausarzt-Versorgung.
Hebamme und Antibiotika senkten Sterblichkeit
Berger hat sich die Entwicklung der Lebenserwartung in Kopfing seit 1770 angesehen. Zwei Faktoren haben sie deutlich erhöht. Zum einen die Ansiedlung einer Hebamme, die die Kindersterblichkeit nach unten gedrückt hat. Das Zweite war die Einführung der Antibiotika und der Impfungen nach dem Zweiten Weltkrieg.
Berger: „Wir haben die Lebenserwartung nun noch weiter nach oben getrieben, aber ich glaube wir nähern uns einem Plateau. Das Triagieren, ob man noch operieren soll, wird aus Kostengründen kommen, dazu kommt die Frage der Medikamentenzugänglichkeit.“
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