Neuhofer: „Menschen nach Schönheits-OP meist nicht glücklicher“
Johannes Neuhofer, Dermatologe.
Johannes Neuhofer war Spezialist für Hautkrankheiten, er hat auch Schönheitsoperationen durchgeführt. Er war Landes- und Bundessprecher der Dermatologen. zudem war er Vizepräsident der Ärztekammer. Der 70-Jährige ist dabei, einen Weisenrat zu gründen, um die Entwicklung der Medizin und des Gesundheitssystems zu begleiten.
KURIER: Warum unterziehen sich so viele Menschen Schönheitsoperationen?
Johannes Neuhofer: Heute meinen viele, man muss möglichst jugendlich und fesch ausschauen, die äußeren Werte werden über die inneren gestellt. Attraktivität macht es einem in der Gesellschaft leichter. Wenn Menschen älter werden und es in der Beziehung Probleme gibt, will man sich in der besten Erscheinung präsentieren. Da werden die neuen Möglichkeiten wie Botox, Hyaluronsäuren, Laserbehandlungen etc. genutzt.
Man möchte sich verjüngen.
Da gibt es den Spruch, das Schönste an den Menschen sind die alten Fotos. Aber die Alterung schreitet bei allen voran. Der Köper ist der Tempel des Menschen, es schadet nicht, wenn man ihn vernünftigerweise erhält und pflegt. Es ist sinnvoll, auf den Körper und auf die Attraktivität zu schauen. Leider wird dabei oft massiv übertrieben.
Ärzte empfehlen dafür Bewegung und Sport. Manche greifen stattdessen zu Operationen.
Bewegung, Ernährung und ausreichend Schlaf sind absolut prioritär. Wenn man schönheitliche Beeinträchtigungen hat, schaden Eingriffe nicht. Es wird oft übertrieben, manche sehen in Eingriffen die alleinige Möglichkeit. Das ist abzulehnen.
Es lassen sich nicht nur ältere Menschen Eingriffe vornehmen, sondern auch viele junge. Schlauchbootlippen sind in. Wodurch ist dieser Trend verursacht?
Der Gesetzgeber hat hier Gott sei Dank mit einer Altersgrenze von 16 Jahren einen Riegel vorgeschoben. Der Wunsch ist bei Heranwachsenden groß, sich verschönern zu lassen. Die Jugend ist gefährdet, hier zu übertreiben und jede Kleinigkeit als Schädigung der Attraktivität anzusehen. Hier sind wir Ärzte aufgerufen, sie auf den Pfad der Normalität zurückzuholen. Schlauchbootlippen sind in Mode. In Dubai hat fast jede diese aufgeblasenen Lippen. Das ist ein Problem, weil die Dehnung die Haut überfordert.
Sind diese Trends nicht durch das Internet und die sozialen Medien verursacht, weil hier Standardgesichter präsentiert werden, die es in Wahrheit gar nicht gibt, weil sie durch algorithmische Beauty-Filter verändert sind?
Hier steckt eine gewisse psychische Schwäche dahinter, vor allem bei den Jungen, sie reicht aber bis ins höhere Alter. Die übertriebene Schönheitssucht ist oft ein Problem. Es gibt eine Fehlvorstellung davon, was wirklich attraktiv ist. Schönheit kommt von innen, aber es schadet nicht, wenn sie äußerlich sichtbar ist. Eine dezente Verschönerung ist durchaus in Ordnung. Die übertriebene Schönheitssucht ist aber oft ein Problem.
Was ist für Sie eine dezente Verschönerung?
Dass man so aussieht, wie man aussehen soll. Wenn man zum Beispiel eine besonders starke Mimik an der Stirn hat. Die Elastizität der Haut verliert sich. Dinge, die wieder vergehen, wie die Hyaluronsäure, ein Weichzeichner, finde ich nicht negativ. Dinge, die bleiben wie Implantate, sind oft ein Risiko. Ich bin gegenüber der übertriebenen Schönheitssucht sehr zurückhaltend.
Internationale Stars verbergen ihre Eingriffe nicht, sie bekennen sich offen dazu. Viele wären auch gern Stars und äffen sie nach.
Leider ist es so. Der Mensch ist Herdentier, der so sein will wie der Leithammel. Da sind diese Blender, diese Influencer unterwegs, die sagen, was die Menschen essen und trinken sollen.
Sollte man hier stärker eingreifen? Auch bei den Schönheitsoperationen?
Natürlich.
Sollte man sie verbieten?
Nicht verbieten, sondern erklärend eingreifen. Die Ärzte sollen das machen und ihr Verantwortungsbewusstsein wahrnehmen. Sehr oft versteckt sich hinter der gewünschten äußerlichen Veränderung ein psychisches Problem. Die Psyche hat eine große Bedeutung.
Sollte es vorher eine psychische Beratung geben?
Das ist Teil der ärztlichen Beratung. Medizin ohne Psyche ist für mich keine Medizin. Bei kosmetischen Eingriffen sind im Fall einer Auseinandersetzung die Gerichte viel strenger als bei anderen medizinischen Fällen.
Gibt es immer noch den Trend zur Vergrößerung der Brust oder ist er rückläufig?
Er ist rückläufig. Früher war das ganz vorne. Im Trend ist immer noch Botox. Es ist wie die Hyaluronsäure relativ risikoarm. Hyaluron bringt Wasser in die Haut, damit sie prall ist.
Ein Trend ist auch die Vergrößerung des Gesäßmuskels.
Dieser Trend ist hierzulande nicht sehr ausgeprägt. Das geht ins Pornografische. Die Damen des Gewerbes haben den Wunsch, das Erotische zu stimulieren.
Der Modeschöpfer Wolfgang Joop hat einmal gemeint, dass die Ästhetik von der Pornoindustrie beeinflusst ist. Hat er recht?
Ja. Das erinnert mich an die Lederbekleidung. Sie ist ursprünglich von den Damen des Gewerbes getragen worden. Heute ist Lederbekleidung etwas ganz Normales.
Es gibt noch zwei weitere Trends. Männer lassen sich den Penis vergrößern, Frauen lassen sich die Schamlippen beschneiden.
Die Penisvergrößerung funktioniert eh nicht, Die Schamlippenverkleinerung ist verständlich. Es gibt bei manchen Frauen die Verlängerung der kleinen Schamlippen, die Schmerzen verursachen können.
Sogenannte Schlauchbootlippen
Aber es ist auch ein Trend, ausgelöst durch die Pornoindustrie.
Manche machen jeden Unsinn nach, sie meinen, was sie in den sozialen Medien und im Internet sehen, das ist es. Das sind furchtbare Trends. Als Arzt muss man immer langfristig denken. Vor allem bei Dingen, die man dann kaum mehr verändern kann. Das gilt auch für das Tätowieren.
Sind die Menschen nach Schönheitsoperationen glücklicher?
Meistens nicht. Sehr häufig ist die äußere Veränderung bedingt durch die psychische Belastung. Wenn man sich äußerlich verschönert, sich aber die Psyche nicht ändert, ist man meistens enttäuscht, weil es für die Seele nicht das gebracht hat, was man haben möchte. In den USA werden die meisten Ärztemorde an Schönheitschirurgen begangen.
Eine extreme Reaktion enttäuschter Patienten?
Ja. Wenn man sich nur auf das Äußere konzentriert, entsteht eine ungeheure Erwartung. Psyche und Körper sind eine untrennbare Einheit. Es gibt den Spruch mens sana in corpore sano (ein gesunder Geist in einem gesunden Körper). Ich würde ihn umdrehen. Corpus sano in mens sana (ein gesunder Körper in einem gesunden Geist). Der Geist ist voran.
Schönheitsoperationen sind teuer. Man kann sie sich erst dann leisten, wenn man gut verdient. Sieht man den Operierten billige Eingriffe an?
Viele fahren ins Ausland. Zum Beispiel nach Ungarn, Tschechien oder in die Türkei. Es gibt Rankings für Schönheitschirurgen. Es gibt unterschiedlich Qualifizierte. Es ist ein Riesenproblem. In Wien hat es gefakte Schönheitsordinationen in Hinterhöfen gegeben. Das waren keine wirklich qualifizierten Ärzte. Ich plädiere dafür, genau zu überlegen, wo und welche Eingriffe man machen lässt.
Die Falten entfernen, die Haut straffen
Junge Menschen quälen oft die Eltern, dass sie die Operationen zahlen. Eingriffe hinterlassen Spuren. Es kommt zu Vernarbungen. Man soll sie nur dann machen, wenn es einen vernünftigen Grund gibt.
Die Schauspielerin Jamie Lee Curtis spricht von einem Genozid an Frauen. Durch das Filtergesicht wird ihnen die Natürlichkeit geraubt.
Es ist ein Thema der sozialen Medien. Viele sind wenig fundiert, sie sind schwächere Persönlichkeiten, sie lassen sich ungebremst beeinflussen. Es steckt der Wunsch dahinter, begehrt zu werden und dadurch in eine sozial höhere Ebene zu gelangen.
Ist körperliche Attraktivität heute der größte Faktor für soziale Ungleichheit?
Es ist ein sehr großer Faktor.
Menschen, die gut aussehen, tun sich im Leben leichter.
So ist es. Hier liegt der Urgrund für den Wunsch der körperlichen Veränderung, die weit übertrieben wird. Es ist eine Frage der Balance, der Dosis. Die ärztliche Kunst besteht darin, das in die machbare Dimension zu bringen, die noch natürlich aussieht. Maskengesichter und Vereinheitlichungen lehne ich ab, denn damit verliert sich die Persönlichkeit.
Es gab einen berühmten deutschen Schönheitschirurgen, der allen Damen ums teure Geld immer die ganz gleiche Nase verpasst hat. Die Nase war sicherlich schön, aber es ist nicht erstrebenswert, dass jede die gleiche Nase hat.
Dabei ist eine leicht gekrümmte Nase schön und individuell.
Die Individualität ist ganz wichtig, man sollte sie bewahren. Dass man sich zum Beispiel nach einem Unfall korrigieren lässt, ist normal. Aber sich in eine Maskeneinheit zu begeben, dass man wie 1.000 andere Menschen ausschaut, finde ich nicht gut. Der Wunsch, der dahintersteckt, ist noch attraktiver zu sein. Hier gibt es Fehlleitungen durch die sozialen Medien mit ihren Influencern. Die Gesichter und die Menschen, die dort präsentiert werden, sind alle durch den Fotoshop verändern.
Die Menschen, die von Werbeplakaten runterlächeln, sind ebenfalls retuschiert, sie sind auch nicht echt.
So ist es. Ähnliches spielt sich auch auf den Dating-Plattformen ab. Die Menschen schauen in der Realität oft völlig anders aus als virtuell. Heute wird man durch Fotos oft getäuscht. Kommt man in ein Hotel, ist es oft ganz anders, als auf den Fotos dargestellt.
Ist es für viele nicht wichtiger, im Internet besser auszusehen als in der Realität?
Man möchte auf den Bildern gut aussehen. Aber die persönliche Ausstrahlung kommt nicht rüber.
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