Maringer: „Die 500 Millionen Euro müssen zurück nach OÖ“

Albert Maringer
Albert Maringer, Arbeiterbetriebsrat der voestalpine und Landesstellenausschussvorsitzender, fordert die Regionalisierung der Gesundheitskasse.

Albert Maringer ist als Dienstnehmervertreter Landesstellenausschussvorsitzender der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) in Oberösterreich. Zudem ist der 51-Jährige Betriebsratsvorsitzender der rund 5.000 Arbeiter der voestalpine in Linz. Der Sozialdemokrat war vor deren Auflösung auch Obmann der oberösterreichischen Gebietskrankenkasse.

KURIER: Es sind derzeit 47 Kassenarztstellen in Oberösterreich unbesetzt. Die Patienten leiden, die Ärztekammer und Landeshauptmann Thomas Stelzer kritisieren diesen unbefriedigenden Zustand. Warum besetzen Sie die Stellen nicht?

Albert Maringer: Die Nachbesetzung ist schwierig, weil man zu wenig Ärzte findet. Für die Ausbildung der Ärzte sind das Land und die Universitäten zuständig. Darauf haben wir schon lange hingewiesen.

Sowohl viele Ärzte als auch deren Standesvertretung beklagen, dass es aufgrund der Vorgaben der Gesundheitskasse völlig unattraktiv geworden ist, eine Kassenarztstelle anzunehmen.

Man muss hier aufpassen, die Ärztekammer ist oberster Sozialpartner und verhandelt die Verträge. Kürzlich hat mir jemand erzählt, dass seine Bekannte Zahnärztin wird, weil sie am Zahnambulatorium in Österreich ein Einstiegsgehalt von 7.000 Euro erhält und in Deutschland 3.500. Wir zahlen in Oberösterreich nicht schlecht. Im niedergelassenen Bereich gehörten wir zu den Topzahlern in Österreich.

Kritik wird an der Art der Abrechnung der Krankenscheine geübt. Wer mehr Scheine abrechnet, bekommt weniger. Warum? Ein Kassenarzt am Land hat weniger Chancen, viele Scheine abzurechnen. Der Arzt in den Städten tut sich leichter, zu mehr Patienten zu kommen. Deswegen sind die ersten Arztkontakte mehr wert als die letzten.

Der Arzt verfügt über eine Infrastruktur. Wenn mehr Patienten kommen, sind die Fixkosten pro Patient niedriger. Das ist auch ein Hintergrund.

Die Zahl der Wahlärzte explodiert. In Oberösterreich gibt es 1.243 Kassenärzte und 1.519 Wahlärzte. Diese Entwicklung zeigt doch, dass das System nicht stimmt.

Jeder Arzt, der auch nur einen Patienten hat, ist ein Wahlarzt. Wir brauchen aber Ärzte, die Versorgungssicherheit gewährleisten. Das bedeutet, dass sie gewisse Öffnungszeiten garantieren. Wir wollen Vertragspartner haben, die den Patienten Gesundheit sicherstellen. Ein Wahlarzt kann hingegen machen, was er will.

Nicht wenige Patienten klagen darüber, dass sie bei Kassenärzten keine oder sehr späte Termine bekommen. Beim Wahlarzt kommen sie sofort dran. Es entwickelt sich immer stärker ein Zwei-Klassen-System. Die einen können sich einen Wahlarzt leisten, die finanziell Schwächeren nicht. Das muss Sie doch als Sozialdemokrat zutiefst stören.

Ich widerspreche hier nicht. Die Zusammenlegung der Gebietskrankenkassen zur Gesundheitskasse durch ÖVP und FPÖ hat zu keiner Verbesserung geführt. Vorher hat das System besser funktioniert. Wir haben gemeinsam mit der Ärztekammer Lösungen gefunden. 98 Prozent der Kassenarztstellen waren besetzt. Wir haben heute in den Regionen nicht genug Spielraum, um zu guten Lösungen zu gelangen.

Das frühere System war besser?

In dieser Frage auf jeden Fall. Wir sind auch mit dem Land OÖ und den Spitälern zu anderen Versorgungsstrukturen gekommen. Als Beispiel nenne ich das Kinderärztezentrum in Kirchdorf. In Freistadt konnten wir die Probleme im Bereiche der Gynäkologie lösen. Das war doch eine gute Qualität. Schnelle, unkomplizierte Lösungen.

Bei allen Problemen gibt es eine Verantwortung und Sie sind Landesstellenausschussvorsitzender.

Ich habe diese Verantwortung aufgrund der gesetzlichen Änderungen nicht mehr.

Sind Sie nur mehr ein formaler Vorsitzender? Was ist Ihre Aufgabe?

Ich verhandle mit der oberösterreichischen Ärztekammer den Vertrag. Unter Weisung des Verwaltungsrates, der mir sagt, ob ich den Vertrag abschließen darf oder nicht.

Ein Ziel der Gesundheitskasse ist es, österreichweit gleiche Versorgungsstrukturen herbeizuführen. All das, was wir in der Vergangenheit gemacht haben, nämlich regionale Lösungen zu finden, ist so nicht mehr möglich.

Sollten wir wieder zurück zum früheren System der Bundesländer-Gebietskrankenkasse? Die Befürworter der Zusammenlegung argumentieren, dass die Leistungen nun österreichweit einheitlich sind.

Man kann zwar sagen, wir haben österreichweit alles angeglichen, aber die Zugänge sind nicht mehr gleich. Man hat zwar überall die gleiche Speisekarte, aber man hat da und dort weniger Tische im Lokal. Es wurden zum Beispiel die Zahnspangen in die Leistungen einbezogen, aber es muss eine regionale Umsetzung geben. Wenn es sie nicht gibt, kommen die Menschen nicht zu ihren Leistungen. Es muss vor Ort jemand sein, der das kompetent umsetzen kann. Das sehe ich nicht.

Die Ärztekammer und die Länder und Spitäler sind hingegen regional aufgestellt. Die Gesundheitskasse sollte für die strategische Ausrichtung zuständig sein, die Dinge sollten aber regional umgesetzt werden. Wir brauchen auch wieder einen Wettbewerb zwischen den Bundesländern, einen Wettbewerb der Ideen.

Warum werden nicht die Verträge für die Kassenarztstellen geändert, damit alle Stellen besetzt werden können?

Es geht nicht darum, mehr zu bezahlen. Ein angehender Jungarzt hat kürzlich beim Jungärzteempfang im Gespräch mit mir gemeint, ihm bleiben im Monat nur 900 Euro, von denen er nicht leben könne. Ich habe ihm erklärt, dass ihm im Schnitt 150.000 Euro netto bleiben.

150.000 Euro netto im Jahr verdienen nur wenige in Österreich.

Wir reden hier von einem Mühlviertler Hausarzt, ohne Hausapotheke. Man muss einmal offen über die Verdienste reden und die Mythen beseitigen. Junge Ärzte wollen oft keine Einzelordination haben.

Sie wollen kürzere Arbeitszeiten?

Sie wollen lieber in einer Gruppenpraxis arbeiten. Wir müssen umstellen, darum sind die Primärversorgungszentren wichtig. Dazu benötigen wir noch vor- und nachgeschaltete Versorgungsstrukturen.

Was heißt das konkret?

Das wären Krankenschwestern, die sich zum Beispiel um chronisch Kranke kümmern oder das Wundmanagement betreiben und so die Ärzte entlasten. Es könnten zum Beispiel die Apotheker bei den Impfungen eingebunden werden.

Wie viele Menschen bzw. Patienten sollte ein Primärversorgungszentrum betreuen?

Es hängt von der Größe ab. In Städten und Bezirksstädten macht es sofort Sinn. Wir wollen den Menschen aber auch nicht den Hausarzt wegnehmen. Es geht um ein Netzwerk.

Was ist mit den 500 Millionen Euro passiert, die die oö. Gebietskrankenkasse hinterlassen hat und die von der Gesundheitskasse geschluckt worden sind?

Sie müssen zurück, sie gehören den oberösterreichischen Versicherten.

Was machen Sie mit den 500 Millionen?

Ich würde sie für den Ausbau des niedergelassenen Bereichs einsetzen, vor allem für die Errichtung von Primärversorgungszentren.

Sie sind auch Betriebsratschef. Die Wirtschaft kritisiert, dass Löhne und Gehälter viel zu stark gestiegen sind, was die Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtige. Das ist auch eine Kritik an den Gewerkschaftern.

Das ist eine Kritik am Unvermögen der Politik, die Inflation einzudämmen. Darum ziehe ich mir diesen Schuh nicht an. Es ist meine Aufgabe als Betriebsrat, die Herstellungskosten meiner Mitarbeiter weiterzugeben. Er braucht eine Wohnung, zu essen, er muss einmal auf Urlaub fahren können. Diese Kosten muss er sich leisten können.

Also ein Inflationsausgleich?

Ja, plus ein Anteil am Produktivitätszuwachs. Die Politik hätte zum Beispiel bei den Energiekosten eingreifen müssen.

Die Regierung hat nicht eingegriffen, sondern Geld überwiesen.

Das erwischt uns nun doppelt. Die Unternehmen sind ebenso mit hohen Energiekosten konfrontiert wie die Arbeitnehmer. Es ist wichtig, dass auch die Inlandsnachfrage gegeben ist. Wenn man den Menschen nicht entsprechende Löhne und Gehälter bezahlt, werden sie auch nichts ausgeben können. Jeder Unternehmer gibt seine Herstellungskosten weiter, wir müssen das ebenfalls machen.

Wie kommt die Industrie aus der Krise?

Sie muss einmal ehrlich sagen, dass es Bereiche gibt, wo man eingreifen muss und die man nicht einfach dem Markt überlassen kann. Siehe Energiekosten. Wir müssen bei der Infrastruktur eingreifen. Es ist ein Problem, wenn zum Beispiel ein Bahnsystem wie in Deutschland nicht mehr funktioniert. Der Staat muss Infrastruktur zur Verfügung stellen. Wir müssen schauen, dass die Energienetze funktionieren. Der Staat muss in die Bildung investieren.

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