„Jörg hat das Zwei-Parteien-System aufgebrochen“

Ursula Hauber ist als BZÖ-Gemeinderätin noch immer aktiv.
Ursula Haubner. Jörg Haider, aufgewachsen in Bad Goisern, Landeshauptmann von Kärnten, Obmann der FPÖ und Gründer des BZÖ, starb vor zehn Jahren 58-jährig bei einem Verkehrsunfall. Seine Schwester Ursula Haubner ist von seinen Ideen nach wie vor überzeugt und zweifelt an der Todesursache.

Ursula Haubner ist die Schwester von Jörg Haider. Die 72-Jährige war von 1997 bis 2003 Landesrätin in der oberösterreichischen Landesregierung, von 2003 bis 2005 Staatssekretärin im Sozialministerium und von 2005 bis 2007 Sozialministerin. Sie lebt in Bad Hall und koordiniert als ehrenamtliche Mitarbeiterin das Tagesbetreuungszentrum für Senioren des Roten Kreuzes. Sie ist auch Gemeinderätin für das BZÖ, das sich heute Bündnis für Österreich nennt.

KURIER: Sie kommen gerade von einem Termin im Tagesbetreuungszentrum des Roten Kreuzes.

Ursula Haubner: Das ist mir ein Anliegen. Pflege war auch in der Politik mein Thema. Von der derzeitigen Regierung vermisse ich hier klare Ansagen. Wir brauchen auch etwas für die Älteren. Jeder möchte zu Hause alt werden, aber die Angehörigen sind oft überlastet. Wir bieten seit kurzem auch Besuchsdienste an.

Eine Rückkehr vom BZÖ zur FPÖ ist für Sie nicht vorstellbar?

Nein, warum? Das brauche ich nicht. Ich hab e meine Gesinnung nicht gewechselt und bleibe politisch ein kritischer Mensch.

In der Nacht vom 10. auf den 11. Oktober jährt sich der Unfalltod ihres Bruders Jörg Haider zum zehnten Mal. Was geht Ihnen da durch den Kopf?

Er fehlt mir und er fehlt auch der gesamten Familie. Er hätte heute einige Enkelkinder und würde das sehr genießen. Unsere Mutter ist auch vor zwei Jahren gestorben. Ich hätte meinen Bruder gern an meiner Seite.

Politisch wäre es spannend, wie er die heutige Situation beurteilen würde, denn er hat in den 1980-er Jahren viele Dinge, die von der neuen Regierung begonnen werden, schon auf seiner Agenda gehabt. Zum Beispiel die Zusammenlegung der Sozialversicherungsanstalten, eine geordnete Zuwanderungspolitik oder den Abbau von Privilegien. Bei der Abschaffung der Zwangsmitgliedschaft der Kammern sind wir noch nicht so weit. Jörg war ein Ungeduldiger, es würde ihm vieles zu wenig schnell gehen.

Ihr Bruder hat auch Ihr Leben stark geprägt. Sie sind durch ihn in Regierungspositionen gekommen, die Sie vermutlich nicht so schnell erreicht hätten.

Wir haben uns sehr gut ergänzt, trotz unterschiedliche Charaktere.

Wie sehen Sie ihn?

Er war seiner Zeit immer voraus. Er hatte Ideen und Visionen, die absolut richtig waren. Er ging auf die Menschen zu, er hörte zu und nahm sie ernst. Er hat erkannt, was die Menschen brauchen. Und er hat die Dinge auch umgesetzt. Als Geschwister haben wir uns in der Familienpolitik und in sozialpolitischen Fragen ergänzt und gestärkt. Er war der Erste, der den Kinderbetreuungsscheck in Kärnten umgesetzt hat. Das ist das jetzige Kinderbetreuungsgeld, das inzwischen viele Änderungen erfahren hat.

Wie sehen Sie sich selbst im Vergleich zu Ihrem Bruder?

Ich bin eine, die länger überlegt. Ich bin auch nicht so gern in der ersten Reihe gestanden. Der Jörg war ja ein Medienstar. Er hat die Bühne geliebt und die Medien haben ihn gebraucht. Das war seine Stärke. In seiner Gymnasialzeit hat er gesagt, er wird Schauspieler. Und als Politiker hat er die Bühne der Öffentlichkeit genützt. Dadurch ist er auch gehört worden.

„Jörg hat das Zwei-Parteien-System aufgebrochen“

 Jörg Haider bei der Starnacht am Wörthersee

Was bleibt politisch von ihm?

Er ist nach wie vor in den Herzen vieler Menschen. Wenn ich Leute treffe, sagen sie mir, der Jörg Haider hat mir da und da geholfen und mir hat das und das gefallen. Aufgrund seiner Politik, die sehr mutig war. Ich habe ihm immer gesagt, Du bist am besten, wenn Du gefordert bist. Das Ruhige war nicht das Seine. Manche haben es als Provokation gesehen. Durch sein pointiertes Auftreten hat er auf Ungerechtigkeiten aufmerksam gemacht, die geändert gehörten.

Er bleibt auch als einer in Erinnerung, der viele Themen schon den 80-er Jahren vehement vertreten hat. Dafür wurde er angefeindet. Nun wird Schritt für Schritt versucht, sie umzusetzen. Von einer Generation von Politikern, die nicht mehr seine ist.

Er hat die Demokratie sehr ernst genommen. Er hat Volksbegehren initiiert, er hat gesagt, die Leute sollen sich aktiv an demokratischen Prozessen beteiligen. Er hat das Zwei-Parteien-System aufgebrochen. Heute gibt es im Nationalrat viele Parteien, vor 40 Jahren war das unvorstellbar. Er hat in Kärnten als Erster die Bürgermeisterdirektwahl eingeführt. Heute kann sich niemand mehr vorstellen, dass man die Bürgermeister nicht direkt wählt.

Er hat es auch als Oppositionspolitiker 1979 im Nationalrat durchgebracht, dass die Bauern einen Krankenschein bekommen. Auch die Neuregelung der Abfertigung in der Regierung Schüssel I geht auf ihn zurück. Oder die ursprüngliche Hacklerregelung sowie die für Schwerarbeiter.

War der Preis, den er sein Engagement bezahlte, zu hoch?

Wenn Sie mich als Schwester fragen, antworte ich mit ja. Wenn Sie mich als Politikerin fragen, sage ich nein. Weil es sich für das Land und die Bevölkerung ausgezahlt hat.

Es war zum Beispiel auch seine letzte Nationalratswahl 2008 mit mehr als zehn Prozent für das BZÖ ein großer Erfolg.

Die FPÖ ist unter seiner Führung bei der Nationalratswahl 1999 mit rund 27 Prozent zweitstärkste Partei geworden. Es folgte die schwarz-blaue Regierung. Er ist aber selbst nicht in die Regierung gegangen. Er und die freiheitliche Ministerriege haben sich entfremdet, was ihn zur Gründung des BZÖ bewogen hat. War es nicht ein Fehler, nicht in die Regierung zu gehen und als Landeshauptmann in Kärnten zu bleiben?

Es wäre natürlich gut gewesen, wenn er in die Regierung gegangen wäre. Aber der größte Fehler war, dass er den FPÖ-Parteivorsitz zurückgelegt hat. Es waren dann auch in Partei starke Strömungen, die wollten, dass wir in der Opposition bleiben sollen. Sie meinten, wir haben vor der Wahl 100 Prozent versprochen, jetzt müssen wir 100 Prozent umsetzen. Das geht aber nicht in einer Koalitionsregierung. Man kann nicht regieren, wenn es Kräfte in der eigenen Partei gibt, die sagen, ihr lässt euch über den Tisch ziehen.

War die Gründung des BZÖ 2005 ein Fehler?

Aus der damaligen Sicht sicher nicht. Jörg hat gesagt, wir wollen zeigen, dass wir regieren und etwas umsetzen können. Er war auch der Meinung, dass es die klassischen Parteien bald nicht mehr geben wird. Das BZÖ sollte eine offene Bürgerbewegung sein. Er war auch hier seiner Zeit voraus. Einige Jahre später sind auch Macron in Frankreich und Kurz drauf gekommen, dass das nicht schlecht ist.

Wenn so eine Galionsfigur wie Haider wegfällt, wird es schwierig.

Derzeit läuft der Buwog-Prozess. Haiders Buberlpartie Karl-Heinz Grasser und Walter Meischberger stehen  vor Gericht, bereits verurteilt wurden  Gernot Rumpold und Peter Westenthaler.

Sie sind mit Jörg groß geworden, aber sie haben sich alle mit Ausnahme von Westenthaler von ihm entfremdet.  Grasser wurde von der ÖVP abgeworben. Meischberger hatte mit dem BZÖ überhaupt nichts zu tun.

Der Skandal um die Hypo Vereinsbank hat die Steuerzahler viele Milliarden gekostet. Die Kärntner Landesregierung hat mit 20 Milliarden für die Bank gehaftet. Wie sehen Sie die Verantwortung Ihres Bruders, der damals Landeshauptmann war?

Er hat die Bank zum richtigen Zeitpunkt an die Bayern verkauft. Das Dilemma hat angefangen, als die damalige Bundesregierung mit Finanzminister Josef Pröll die Bank wieder zurückgenommen hat. Dann ging es los. Der Jörg war nicht mehr da,  und man hat ihm alles in die Schuhe geschoben. Er konnte nicht mehr Stellung beziehen.

Sie sind der Meinung, dass es beim Unfalltod Ihres Bruders nicht mit rechten Dingen zugegangen ist. Woraus schließen Sie das?

Der Alkoholgehalt von 1,8 Promille ist für mich nicht nachvollziehbar. Auch nicht für jene, die ihn gut kannten. Der Alkoholgehalt im Magen war ein anderer als im Blut. Jörg  war ein Sportler, er war Bergsteiger, Marathonläufer, er schaute auf seine Kondition.

Jeden Tag wurde eine andere Behauptung aufgestellt. Am ersten Tag hieß es, er ist betrunken gefahren, am zweiten Tag, er ist zu schnell gefahren.

Was ist aus Ihrer Sicht damals passiert?

Ich weiß es nicht, ich war nicht dabei. Ich könnte mir vorstellen, dass ihm irgendwas ins Getränk gegeben wurde, seien es K.o.-Tropfen oder eine andere Sub stanz. Und dass er dadurch ein Blackout hatte, sodass es zu diesem Unfall gekommen ist.

Das ist meine Meinung.

Die FPÖ ist sowohl in der Bundes- als auch in der Landesregierung  vertreten. Wie erleben Sie sie, womit sind Sie nicht einverstanden?

Dass man für die Nachmittagsbetreuung in den oberösterreichischen Kindergärten etwas bezahlen muss.  Die FPÖ nimmt ja für sich in Anspruch, die Partei des  kleinen Mannes und der Familien  zu sein. Es gefällt mir demokratiepolitisch nicht, dass wir immer noch eine  Proporzregierung in Oberösterreich haben und gerade die Freiheitlichen starke Befürworter sind.

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