Jesuitenprovinzial: „Der Abschied von Linz ist sehr schmerzlich“
Pater. Bernhard Bürgler ist Provinzial der Jesuiten. Der 63-Jährige stammt aus Lienz in Osttirol. Die Zentraleuropäische Provinz umfasst Österreich, Deutschland, die Schweiz und Litauen-Lettland, die Zentrale ist in München.
KURIER: Heute Sonntag verabschiedet Diözesanbischof Manfred Scheuer mit einer Messe im Alten Dom die Jesuiten aus Linz, wo sie 400 Jahre lang tätig waren. Was bedeutet das für Ihren Orden?
Bernhard Bürgler: Die Abschied von Linz ist für uns sehr schmerzlich. Einerseits, weil wir immer mehr in die Lage kommen, uns überhaupt von Orten und Tätigkeiten zurückziehen zu müssen. Andererseits war Linz ein geschichtsträchtiger Ort für unsere Präsenz für lange, lange Zeit. Wir hatten und haben gute Beziehungen zur Diözese und zum Bischof. Aber wir sahen in der Situation keine andere Möglichkeit.
Wir ziehen uns zwar als Kommunität zurück, aber wir bleiben in der Schule, im Aloisianum, präsent. Sie ist eine sogenannte ignatianische Netzwerkschule. Das sind Schulen im Verband der Jesuitenschulen in Österreich und Deutschland, wo es keine Jesuiten mehr als Lehrer gibt, die aber in der Tradition der ignatianischen Pädagogik stehen und das ganz bewusst wollen.
Der Grund für den Rückzug ist schwindende Mitgliederzahl.
Genau. Wir werden weniger und wir werden älter. Von daher müssen wir uns konzentrieren. Ich beschreibe das mit den Stichworten Profilierung, Konzentration und Innovation.
Wir müssen uns konzentrieren, dadurch hoffen wir, dass wir uns profilieren, in dem, was wir als Orden und als Provinz wollen. Es geht dabei natürlich auch um Rückzug, aber es soll auch Raum eröffnet werden für manches Neue.
Konzentration auf welche Bereiche?
Was uns als Orden und als Provinz in den nächsten Jahren leitet, sind die vier apostolischen Präferenzen: Menschen zu Gott führen, also Exerzitienarbeit im weiteren Sinne, das Unterwegs sein mit den Armen und Ausgegrenzten für mehr soziale Gerechtigkeit, eine besondere Sorge für die Jugend, um ihr eine hoffnungsvolle Zukunft zu ermöglichen. Und die Sorge um die Schöpfung.
Geht es hier um den Klimaschutz?
Genau. Wir haben vor einiger Zeit in Nürnberg ein Zentrum für die sozial-ökologische Transformation eröffnet, das Ukama heißt. Das ist ein Wort aus einer afrikanischen Sprache und bedeutet, dass alles mit allem verbunden ist.
Dort leben einige Mitbrüder, die sich mit anderen Klimaschutz-Gruppen vernetzen und die sich inhaltlich mit diesem Thema auseinandersetzen. Auch von unserer Spiritualität her. Sie wirken nach außen und nach innen in die Provinz.
Sie wollen den ökologischen Wandel auch im Orden umsetzen?
Wir im Orden brauchen eine Transformation, nachhaltiger zu werden. In Innsbruck wird zum Beispiel im Kolleg eine Photovoltaik-Anlage installiert.
Es geht auch um die Verbindung zum globalen Süden, der unter den Klimaveränderungen am meisten zu leiden hat. Wir als Orden haben große Verbindungen zu diesen Ländern. Die Mitbrüder in Nürnberg haben auch Kontakte zu den Mitgliedern der Letzten Generation. Pater Jörg Alt hat an Protesten der Letzten Generation teilgenommen.
Gegen ihn wurde ein Strafprozess wegen Straßenblockade eingeleitet. Wird der Protest von Pater Alt auch vom Orden mitgetragen?
Ich trage das mit als eine Form des Engagements. Es ist mir natürlich wichtig, dass das gewaltlos ist und nichts und niemanden beschädigt. Im Orden gibt es natürlich unterschiedliche Zugänge zu diesem Thema und nicht alle sind einer Meinung.
Alle befürworten das Anliegen, bei den Methoden gibt es unterschiedliche Positionen. Wir sind hier in der Diskussion genau wie die gesamte Gesellschaft. Ich finde, dass ein Orden wie die Jesuiten solche Propheten wie Jörg Alt verträgt, der etwas einbringt, was andere nicht einbringen.
Wie viele Mitglieder hat die Österreichische Region?
Rund 50. Die Schwerpunkte sind Innsbruck und Wien, vier Mitbrüder sind in Graz.
Wie viele sind es in der Gesamtprovinz?
384.
Sowohl die römisch-katholische Kirche generell als auch die Orden leiden unter dem massiven Rückgang an Mitgliedern. Was sind die Gründe für den Rückgang bei den Jesuiten?
Das ist nicht so einfach zu beantworten. Die Kirche ist in unseren Breiten in einer Krise. Es ist nicht so einfach, sich in einer Institution zu engagieren, die in einer solchen Situation ist.
Ich habe den Eindruck, dass man sich heute schwertut, sich für etwas lebenslang zu engagieren. Es gibt gerne Leute, die in unseren Institutionen arbeiten, die unsere Spiritualität und unsere Zugänge schätzen.
Aber der Schritt, sich lebenslang zu binden, bereit zu sein, an verschiedene Orte der Welt zu gehen und Verschiedenes zu tun, die Gelübde Armut, Ehelosigkeit, Keuschheit und Gehorsam zu leben, ist für Jüngere möglicherweise schwieriger, als es früher war. In einer Welt, wo es viele Möglichkeiten und Freiheiten gibt. Das ist für viele fremd.
Wie sieht die Antwort des Ordens aus?
Ich weiß gar nicht, ob wir eine richtige Antwort haben. Es sind Versuche und Richtungen, in die wir gehen. Es ist unser Engagement, die Jugend und junge Erwachsene zu stärken, also wirklich präsent zu sein. Wir haben in Frankfurt und in Innsbruck zwei sogenannte Zukunftswerkstätten eröffnet, wo junge Menschen einfach kommen können, die auf der Suche nach ihrem Lebensweg sind.
Ich sage immer, wir werden weniger, aber gleichzeitig werden wir mehr. Als Jesuiten werden wir weniger, zumindest in unseren Breiten, in anderen Gegenden ist das anders. Aber in vielen unserer Institutionen arbeiten viele Nicht-Jesuiten, Frauen und Männer in unserem Geist. Ohne Jesuiten vor Ort.
Sodass das Ignatianische auch über Ordensmitglieder hinaus wirkt. Das fördern wir, indem wir die Menschen, die mit uns arbeiten, formen, indem wir ihnen unsere Spiritualität und unsere Zugänge zu vermitteln versuchen.
Was ist das speziell Ignatianische?
Sich einzusetzen für die vier Bereiche, die ich schon genannt haben. Man könnte auch sagen, Bildung, Spiritualität und Soziales. Wir Jesuiten haben einen positiven Zugang zur Welt. Ignatius hat gesagt: Gott suchen in allen Dingen. Gott ist im Leben gegenwärtig.
Wir gehen in die Welt und lassen uns auf sie ein. Säkularisierung ist nicht nur negativ, sondern hat positive Elemente. Auch nicht kirchliche Leute haben uns und der Welt etwas zu sagen.
Mit Franziskus ist das erste Mal in der Kirchengeschichte ein Jesuit Papst geworden. Jesuiten sollten keine Ämter wie Bischof, Erzbischof oder Kardinal anstreben. Wo kommt das Ignatianische bei Papst Franziskus zum Ausdruck?
Er hat ein positives Verhältnis zur Welt. Er geht an die Ränder der Welt. Er hat ein besonderes Herz für Arme, Flüchtlinge, für Leute, die es schwer haben. Da will er die Kirche hintreiben.
Er ist gegen den Klerikalismus. Die Ämter sind bei den Jesuiten auf Zeit, außer dem Jesuitengeneral, der auf Lebenszeit gewählt ist. Nach einem Amt gehen wir wieder ganz normal einer anderen Arbeit nach. Wir haben kein Positionendenken. Das ist ein Dienst, dem wir nachgehen. Das ist ein ganz anderer Zugang zum kirchlichen Arbeiten.
Und auch eine gewisse Einfachheit.
Franziskus wohnt im Gästehaus Santa Marta.
Diese ignatianischen Dinge merkt man an ihm. Auch gewisse theologische Positionen.
Jesuiten sind Reformer. Papst Franziskus hat zweifellos für einen positiven Stimmungsumschwung in der Kirche gesorgt, viele haben sich aber mehr Reformen erwartet, zum Beispiel die Zulassung von Frauen zum Diakonat. Er sendet zwar positive Signale aus, aber die tatsächlichen Schritte sind bis heute nicht erfolgt.
Somit sendet er unterschiedliche Signale. Möglicherweise ist er in theologischen Positionen nicht so fortschrittlich, wie man zuerst gedacht hat oder wie man ihn gerne hätte.
Das andere ist, dass die Kirche ein riesengroßes Schiff ist, sie ist viel bunter, als man denkt. Es ist ihm ein Anliegen, möglichst alle mitzunehmen. Er scheint wohl auch die Sorge um eine Spaltung zu haben. Von daher kann er möglicherweise auch nicht alles sofort tun, was er gerne täte. Natürlich hat er auch mit viel Widerstand zu kämpfen, in Rom und darüber hinaus. Das bremst alles.
Was ich an ihm schätze, ist, dass er die Veränderungen über Prozesse macht. Da wird einfach einmal darüber geredet. Er öffnet Räume. Das ist auch etwas sehr Jesuitisches, die Unterscheidung der Geister, das miteinander Reden und Suchen, Ertasten, Probieren, Erfahrungen Sammeln und Auswerten.
Ich glaube , er hat dadurch die Hoffnung etwas anzustoßen, das nicht mehr aufzuhalten ist und das in die gewünschte Richtung geht. Mir geht es auch manchmal zu langsam. Möglicherweise geht es nicht schneller, ohne Brüche zu vermeiden.
In der Diskussion um strukturelle Reformen in der Kirche wird häufig darauf verwiesen, dass es doch um den Glauben an Gott gehe. Reden die beiden Gruppen hier nicht aneinander vorbei?
Ich habe manchmal und bei manchen den Eindruck, dass sie das gegenseitig ausspielen. Die Strukturveränderungen wie Zölibat, Diakonat der Frauen, mehr Beteiligung und die Frage des Glaubens und der Glaubensvermittlung.
Kirchliche Kreise sind versucht zu sagen, es geht nicht um strukturelle Fragen, es fehlen die Gläubigen, es fehlt der Glaube, da muss man etwas tun. Da haben sie recht. Aber sie schieben die anderen ein bisschen auf die Seite.
Die anderen sind bestrebt, nur auf die strukturellen Dinge zu schauen. Ich glaube, das gehört zusammen. Ich glaube auch, dass es darum geht, neue Formen, eine neue Sprache und neue Weisen zu finden, um den Glauben zu verkünden und lebendiger zu machen. Das heißt aber nicht, dass man die anderen Dinge nicht angehen soll.
Ich glaube nicht, dass alle Probleme gelöst sind, wenn zum Beispiel der Zölibat aufgelöst wird. Ich glaube auch nicht, dass dadurch sehr viel mehr Priester kommen. Steht es aber in der heutigen Zeit nicht an, Frauen Positionen zu ermöglichen, die ihnen bisher verwehrt blieben? Weil sich die Zeiten geändert haben und nicht, weil ich mir dadurch die Lösung aller Fragen erwarte.
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