Hummer: „Europa darf sich nicht abhängen lassen“
Wirtschaftskammerpräsidentin Doris Hummer
Doris Hummer ist Unternehmerin (Domico ist Spezialist für Dach-, Wand- und Fassadensysteme) und seit 2017 Präsidentin der Wirtschaftskammer Oberösterreich. Von 2009 bis 2015 war die 52-Jährige Landesrätin für Frauen und Jugend, Bildung, Forschung und Wissenschaft. In ihren jungen Jahren war sie unter anderem Vorsitzende der Katholischen Hochschulgemeinde und der Jungen Wirtschaft.
KURIER: Wie geht es Ihrer Firma?
Doris Hummer: Ich bin Bauzulieferindustrie und damit abhängig von den Investitionen der Industrie- und der Gewerbebetriebe. In Österreich geht es uns überraschenderweise gut, Deutschland schwächelt nach wie vor gravierend. Dort fehlen die Großinvestitionen. Das spüren wir.
Wie hoch ist die Exportquote für Deutschland?
Normalerweise um die 60 Prozent, momentan sind es 40 Prozent.
Es zeichnet sich eine leichte Verbesserung für das neue Jahr ab, die Wirtschaftsforscher prognostizieren ein Wachstum von 0,9 Prozent.
0,9 Prozent sind mir zu wenig. Ich glaube, dass wir den Turnaround schaffen werden, aber wir brauchen ein stärkeres Wachstum. Unter einem Prozent kann man noch nicht wirklich von Wachstum sprechen, es ist zumindest keine Rezession mehr.
Sie sind nicht zufrieden.
Da kann man nicht zufrieden sein. Wir müssen wieder hin zu einem Wachstum von zwei bis drei Prozent.
Die Prognosen für die nächsten Jahre liegen aber lediglich bei einem Wachstum von jeweils einem Prozent.
Deswegen haben wir in Europa eine große Aufgabenstellung. Ich will das gar nicht auf Österreich allein fokussieren. Europa darf sich nicht abhängen lassen, wir müssen den Binnenmarkt stärken und Regulatorik massiv zurückfahren. Wir brauchen gute Handelsabkommen mit der gesamten Welt, damit die Wirtschaft wieder guten Boden hat.
Ihr Optimismus in Ehren, aber die Lage Europas im weltweiten Wettbewerb ist nicht gut.
Wir haben an Boden verloren, aber es gibt auch große Chancen. Wir stecken in einer Rezession, gerade die Industrie hat große Schwierigkeiten. Aber der Tourismus wächst, es gibt auch in der Industrie und im Handwerk Branchen, die mehr Aufträge haben als sie abarbeiten können.
Zum Beispiel? Die Rüstung?
Nicht nur der Rüstungsbereich. Zum Beispiel auch die dezentrale Energieversorgung. Der Datacenterbereich, die Logistikbranche, der Holzbau, IT-Unternehmen, die mit der Künstlichen Intelligenz (KI) neue Themen entwickeln und auch der ganze Nachhaltigkeitsbereich. Die Chancen sind da, aber wir haben große Herausforderungen auf der Kostenseite. Wir dürfen uns von Ländern wie China technologisch nicht abhängen lassen. Daher der Fokus auf Innovation und neue Märkte.
Bei den Erhöhungen werden stets die Energiepreise und die Lohn- und Gehaltserhöhungen genannt. Die Kollektivvertragsabschlüsse sind sehr moderat und unterhalb der Inflationsrate. Politiker klagen ebenfalls über die hohen Energiepreise, aber die öffentliche Hand könnte zum Beispiel bei den Strompreisen auf ihre Abgaben verzichten, die rund ein Drittel der Preise ausmachen.
Völlig richtig. Das ist eine Forderung, die wir schon seit Langem erheben. Bei den Gebühren hätten wir diesen Hebel. Das ist auch die Idee der 500 Millionen Euro, mit denen die Regierung die Stromkunden entlasten will. Die zehnprozentigen Lohnerhöhungen waren eine Reaktion auf die hohe Inflationsrate und die hohen Energiekosten. Hätten wir die damals nicht gehabt, würden wir heute anders dastehen.
Sie haben die schwarz-grüne Bundesregierung dafür kritisiert.
Wir haben damals unser Cost-Plus-Modell vorgestellt, aber das wollte man nicht machen. Es hätte uns viel Ärger erspart. Darüber hinaus müssen wir die Lohnnebenkosten senken.
Die ÖVP ist Hauptverantwortungsträger für eine desaströse Bilanz: das niedrigste Wachstum und die höchste Inflation in der EU, hohe Schulden und eine leere Staatskasse. Ein schwerer Schaden für die Wirtschaftskompetenz Ihrer Volkspartei.
Es sind in den vergangenen Jahren Fehlentscheidungen getroffen worden. In der Nach-Corona-Phase hatten wir einen Aufschwung, den wir uns nicht hätten erträumen lassen. Der Kardinalfehler war die Reaktion des Staates auf die explorierenden Energiekosten rund um den russischen Angriff auf die Ukraine. Man hat geglaubt, mit Geld wie zum Beispiel dem Energiebonus, die Kosten einfangen zu können. Damit wurde die Inflation angetrieben, das waren Fehlentscheidungen.
Was waren die Ursachen für die heftige Kritik am zurückgetretenen Präsidenten Mahrer und an der Wirtschaftskammer?
Die Heftigkeit hatte mit der Gesamtsituation zu tun. Wir stecken seit drei Jahren in einer Rezession. Da verliert man die Geduld. Da hatte man auch kein offenes Ohr mehr, wenn es um Erklärungen gegangen wäre.
Die Unternehmer sind unter Druck.
Genau. Das spürt man, das erlebe ich jeden Tag bei meinen Gesprächen mit den Unternehmern. Es macht keinen Spaß, wenn man läuft, läuft, läuft und am Ende des Tages kommt nichts heraus. Dieser Druck ist da und er hat sich an der Person Harald Mahrer entladen. Teils zu Unrecht, aber es waren auch hausgemachte Fehler. Es wäre nicht mehr gegangen, ohne Mahrer aus dem Spiel zu nehmen. In dieser aufgeheizten Stimmung war es nicht mehr möglich, die berechtigen Kritikpunkte sachlich aufzuklären. Deswegen die Neuaufstellung. Martha Schulz (die neue Präsidentin, Anm. der Red.) macht einen sehr guten Job, ich kenne sie schon lange und schätze sie ungemein.
Das WIFI ist das Vorzeigeunternehmen der Kammer: Doris Cuturi-Stern, Hummer, Harald Wolfslehner (v. li.)
Was wird nun in der Wirtschaftskammer anders?
Die Unternehmer wollen eine starke Vertretung, die schlank und effizient aufgestellt ist. Diesen Beweis müssen wir nun erbringen. Ich sehe darin eine große Chance, über ganz Österreich hinweg viele Dinge zu hinterfragen.
Zum Beispiel?
Thema Rücklagen. Ich habe in der WK-Haushaltsordnung die Vorgabe, dass wir ein ganzes Jahresbudget als Rücklage halten sollen. Das Kontrollamt prüft, ob wir genug Rücklagen haben. Die Ausgleichsrücklage macht bei uns aktuell 14 Millionen Euro aus, sie sollte 114 Millionen betragen. Wenn ich meine zweckgebundenen Rücklagen dazuzähle, sind es 70 Millionen und damit komme ich beim Kontrollamt durch.
Diese Dinge müssen wir ändern. Wir haben auch keine Steuerungsmöglichkeit bei den vielen selbstständigen Teilorganisationen. Jede Fachorganisation ist eine selbstständige Körperschaft. Wir sollen auch die Doppelgleisigkeiten von Landes- und Bundeskammer wie zum Beispiel bei der Begutachtung von Gesetzen beseitigen. Andere Dinge wie ein dezentrales WIFI mit 100.000 Teilnehmern in Oberösterreich halte ich für ganz wichtig.
Die Wirtschaftskammer hat schon viele Reformen durchgeführt. Es gibt kaum eine Organisation in Österreich, die das so häufig gemacht hat. Seit ich Präsidentin bin, haben wir um 20 Prozent mehr Mitglieder, aber die Umlage um elf Prozent reduziert.
Wir haben nun in Oberösterreich mit allen Fraktionen eine Taskforce eingerichtet, die alle Bereiche durchleuchtet.
Werden die Umlagen gesenkt?
Sicher. Wir haben das in Oberösterreich erst vor Kurzem gemacht. Ohne Not und ohne Vorgabe, weil es meine Grundeinstellung ist, das Haus schlank zu führen. Das werden wir weiter tun.
In der Diskussion um Mahrer ist auch aufgetaucht, dass Sie eine 42-prozentige Erhöhung ihrer Entschädigung hätten bekommen sollen. Warum diese exorbitante Erhöhung?
Bei der Funktionärsentschädigung ist ein neues, österreichweites System erstellt worden. Von allen Fraktionen beschlossen. Zu diesem System stehe ich. Wir in Oberösterreich haben entschieden, 30 Prozent unter den vorgegebenen Richtsätzen zu bleiben. Das neue System ist nun ausgesetzt worden und wird vom Rechnungshof analysiert.
Seit ich Präsidentin geworden bin, beträgt die Inflation über 50 Prozent. Diesen Inflationsausgleich hat es bei den Funktionärsentschädigungen über 30 Jahre lang nicht gegeben.
Wie hoch ist Ihre bisherige Entschädigung?
Umgelegt auf 14 Gehälter sind es 5.980 Euro brutto.
Deckt sie Ihren Aufwand?
Wir sind nicht wegen der Entschädigung in der Kammer aktiv. Und wollen wir in der Kammer nur Funktionäre, die sich das leisten können? Damit in meiner Firma durch die Arbeit in der Kammer keine Lücke entsteht, habe ich unter anderem einen Prokuristen und einen zweiten Geschäftsführer ernannt.
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