Josef Hochreiter: Es freut mich, dass Europa aufgewacht ist. Es war offensichtlich notwendig, dass die Amerikaner ausposaunen, wie wichtig ihnen das ist. Ich hoffe, dass sich das auch in Österreich rumspricht. Ich habe noch nicht gehört, dass die KI in den Koalitionsverhandlungen eine Rolle spielt.
Es wird zwar immer wieder von Leuchtturmprojekten gesprochen, abergemeint sind Dinge wie die Pensionsfinanzierung.
Es ist vorerst erfreulich, dass das Thema mehr Aufmerksamkeit erfährt, und dass mehr Geld reinfließt. Ich bin aber skeptisch, wo wie viel Geld tatsächlich ankommt und was aus dem Geld gemacht wird. Es hört sich gut an, aber ich habe hier in Linz noch keinen Cent gesehen.
Haben Sie von der EU schon jemals eine Förderung für Ihre Projekte bekommen?
Schon des Öfteren. Wir waren bei einigen Exzellenz-Projekten dabei. Ich mache aber bei diesem EU-Konsortium nicht mehr mit. Beim letzten Projekt gab es 12 Millionen Euro für 30 Universitäten. Da erhält man dann 400.000 Euro für drei Jahre. Da kann ich vielleicht einen Mitarbeiter finanzieren.
Sie haben vor vier Jahren einen Bedarf von 100 Millionen Euro für Ihr KI-Institut und weitere 60 Millionen Euro für Rechner angemeldet. Bekommen haben Sie nichts. Wie ist Ihr aktueller Bedarf?
Es ist ähnlich hoch. Nachdem es kein öffentliches Geld dafür gegeben hat, haben wir das privat zu organisieren versucht. Mit der Firma NXAI. Wir haben gleich einmal zehn Millionen Euro in Rechnerkapazitäten gesteckt, um zu zeigen, dass unser Modell xLSTM (Long Short Term Memory) gut funktioniert. Wir bräuchten dafür noch einmal 100 Millionen Euro. Die Sache hat sich zeitlich verschoben, weil ein Investor ausgefallen ist. Wir haben nun zwei deutsche Investoren und dafür eine neue Firma gegründet.
Ihr Institut wächst. Wie viele Mitarbeiter haben Sie?
40. 38 sind von Firmen finanziert, von denen wir Aufträge bekommen. Fast alles bei uns ist Auftragsforschung.
Ist die Mitarbeiteranzahl zu gering?
Man muss das auch managen können. Ich brauche nicht nur Doktoranden und Projektleiter, sondern auch die Zwischenschicht.
Das sind Assistenten?
Assistenten, Habilitierte. Wenn ich selbst in jedes Projekt reingehen muss, wird mir das zu viel. Momentan sind es zehn. Ich habe aber zu wenige, die bereits in der Lage sind, Gruppen zu leiten. Ich versuche, momentan nicht zu wachsen, weil es mir zu viel wird. Wir haben aktuell ein strukturelles Problem.
Sie sind von Ihrem Modell xLSTM überzeugt und haben gemeint, ChatGPT sei im Vergleich dazu ein Schmarrn. Wie geht es Ihnen mit xLSTM?
Sehr gut. Es hat so gut funktioniert, wie wir gehofft haben. Es gibt bereits Firmen, die es verwenden, es ist schon in Produkten enthalten. Es gibt sehr viele Anfragen. Wir müssen schauen, dass wir genügend Mitarbeiter haben, um die Firmenprojekte abzuarbeiten. Es gibt beispielsweise Automobilfirma, die es als Sprachmodell verwenden wollen. Unser xLSTM ist kleiner und schneller. Apple und Google Translate zeigen Interesse. Wir reden mit Amazon und Microsoft. Ich bin demnächst auch bei einer Konferenz von Nvidia, ich wurde da eingeladen. Viele sagen, wir haben unsere Infrastruktur auf die alte Technologie ausgerichtet, sie müssen alles umstellen. Aber jeder, der nicht auf unsere Technologie umsteigt, handelt unvernünftig, denn er verbraucht durch mehr Rechenzeit mehr Energie.
Haben Sie eine Erwartungshaltung gegenüber der neuen Bundesregierung, dass sie mehr Geld für Ihr Institut zur Verfügung stellt?
Ich hoffe, dass sie sich nicht nur mit sich selber beschäftigt, sondern mitbekommen hat, was Trump, Macron und von der Leyen angekündigt haben. Ich habe bisher aber noch nichts gehört. Wissenschaftsminister Polaschek hat uns einmal besucht und gemeint, es sei ein wichtiges Thema.
Sie sagen, der Erfolg von DeepSeek habe Sie nicht überrascht. Warum nicht? Stecken die Chinesen viel Geld in die Forschung?
Es basiert auf dem Basismodell V3. Das ist schon im Dezember rausgekommen. Man hat gewusst, es ist gut, aber es hat nicht diesen Aufruhr gegeben. Sie haben 1,6 Milliarden Euro ausgegeben, um die Rechner einzukaufen. Sie hatten eine Riesen-Rechner-Struktur zur Verfügung, aber noch wichtiger war, dass sie ein Riesenteam von wirklich guten Ingenieuren hatten, die daran gearbeitet haben. Das bringen wir in Europa nicht zusammen. Wir haben auch nicht die Rechnerkapazitäten.
Werden die Europäer in diesem Wettbewerb zwischen den Amerikanern und den Chinesen aufgerieben?
Die Europäer sind ein bisschen hinterher, die Amerikaner sind vornweg. Die Chinesen stecken viel Geld rein, sie haben sowohl die Rechner als auch die Leute. Meine These lautet wie folgt. Es hat bei der KI zuerst die Grundlagenforschung gegeben. Nun gab es die Phase des Scaling Up, des Größermachens. Man hat mehr Daten und größere Modelle verwendet, und man hat mehr Rechner benötigt. Das Resultat waren Projekte wie ChatGPT und Nachfolgemodelle. Jetzt sind alle Daten aufgebraucht, beim Größerwerden ist man ans Ende gekommen.
Nun treten wir in die dritte Phase ein, in der die KI in die Firmen reingebracht wird. Es gibt nun kleinere KI-Modelle, die auch eine gute Leistung haben. Dafür braucht es viel mehr Forscher und Innovation. KI ist noch nicht in den Unternehmen angekommen, es ist außer der Sprachbearbeitung und Filmverarbeitung noch nicht in der Industrie.
Die große Umsetzung von KI wird erst kommen?
Ja, das glaube ich. Das ist eine große Chance für Europa. Für die Ingenieurwissenschaften.
Hier sind die Europäer führend.
Genau. Es kann sein, dass die Karten nochmals neu gemischt werden. Das Hochskalieren haben wir verpasst. Bei den größten Modellen sind die Amerikaner führend. Wenn KI zu den Firmen kommt, kann Europa mitspielen. Es geht nicht mehr um die größten Modelle, sondern darum, die Modelle klug an die Firmen anzupassen. Die Industrialisierung der KI ist die nächste Phase. Das gibt uns die Chance, nochmals mitzuspielen.
Was benötigen Sie in Österreich, in Linz?
Recheninfrastruktur, und ein Institut, in dem Firmen und die Universität zusammenkommen. Ich sehe in Österreich das Problem, dass wir die KI nicht in die Firmen reinbekommen. In Deutschland ist das ähnlich. Abteilungsleiter in den Unternehmen haben Angst, dass etwas Neues kommt, das sie nicht verstehen. Es gibt viel Widerstand.
Es gibt mentale Barrieren?
Ja. Ich erlebe das beispielsweise in Auto- und Pharmafirmen. Plötzlich hat sich das geändert, weil es zu einem Generationenwechsel gekommen ist und die Jungen nachgerückt sind. Ich musste die ältere Generation nicht mehr überzeugen, die Jungen sind dafür völlig offen.
Es ist auch wichtig, dass sich die Firmen untereinander über ihre Erfahrungen mit KI austauschen. Die Firmen dürfen nicht warten, was am Markt daher kommt, sondern sie sollten aktiv schauen, was es gibt. Die Firmen sollten mit den Forschern zusammenarbeiten und Ideen einbringen.
Die Möglichkeiten der KI sind einerseits großartig, andererseits gibt es Stimmen, die warnen. Zum Beispiel MIT-Professor und Nobelpreisträger Daron Acemoglu. Er verweist in seinem Buch „Macht und Fortschritt“ unter anderem auf das Problem der Manipulation durch soziale Medien.
Es gibt Gefahren, man muss aber auf die richtigen Gefahren schauen. Nicht, dass die KI die gesamte Menschheit ausrottet, wie manche befürchten, sondern dass die KI in den sozialen Medien in manipulativer Weise eingesetzt wird. Die KI kann derartig gute Text produzieren, dass man nicht mehr weiß, ob sie von ihr oder von einem Menschen ist. Sie kann auch Bilder produzieren, bei denen man nicht mehr erkennt, ob das ein tatsächliches Bild ist oder von der KI hergestellt worden ist. Es besteht die Gefahr, dass sie eingesetzt wird, um die Menschen in eine bestimmte Richtung zu drängen.
Wie kann man dem vorbeugen?
Das ist schwierig. Am besten ist es, eine KI herzustellen, die erkennen kann, ob das Produkt von einer anderen KI ist.
Die KI kontrolliert die KI?
Genau. Die KI kann bei Bildern Dinge sehen, die wir Menschen nicht mehr sehen können. Bei Texten ist es schwieriger. Bei einem Text wird es die KI vielleicht nicht bemerken, aber bei mehreren Texten schon. Es gibt an der Universität Programme, die erkennen, ob Texte von ChatGPT generiert wurden oder nicht. Wie können wir uns wehren? Indem man selbst KI verwendet.
Wer installiert die Kontroll-KI? Sind das staatliche Stellen, oder vom Staat beauftragte Institute?
Es könnten zum Beispiel auf einer Kontroll-Plattform zertifizierte Programme draufkommen.
Es braucht eine Zertifizierung.
Genau. Nur KI-Programme mit einer Zertifizierung sollten zugelassen werden. In diesem Bereich tut sich derzeit sehr viel. Wir arbeiten gerade für Trustify und TÜF an einem Zertifizierungsprojekt; diese zertifizieren KI-Systeme. Hier wird bestätigt, dass die KI-Methoden richtig gemacht werden. Die österreichische Regierung könnte zum Beispiel sagen, es darf nur mehr zertifizierte KI eingesetzt werden.
Wie geht es bei Ihnen persönlich weiter?
Mein Steckenpferd ist das xLSTM. Es war einmal die Frage, ob ich weggehe, aber das hat sich konsolidiert.
Sie bleiben?
Es gibt immer wieder Probleme, bei denen man aber keinem böse sein kann. Ich hoffe noch immer auf das Land Oberösterreich, dass es das Artificial Intelligence LAB weiterfinanziert. Auch wenn der Bund nicht viel macht, das Land finanziert das LAB.
In jedem europäischen Land gibt es ein KI-Forschungszentrum. Nur ein Land hat keines, das ist Österreich.
Das fehlt. Wenn jetzt so viel Geld von der EU kommt, könnte man hier so ein Forschungszentrum installieren. Sollte man es tatsächlich machen, sollte man die Firmen mitnehmen. Sonst bekommen wir die KI nicht in die Firmen rein. Man muss sie zwingen, an die Universität zu kommen und sich anzuschauen, was sie umsetzten können und was nicht. Nicht nur für einen Workshop, sondern für längere Zeit, damit sie sehen, was sie in ihren Unternehmen umsetzen könnten.
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