Handelsprofessor Teller: „Der Euro pickt im Taschl, wenn die Angst im Kopf ist“

Christoph Teller
Die Konsumenten sparen, weil sie aus mehrerlei Gründen verunsichert sind, sagt Wirtschaftswissenschafter Christoph Teller.

Christoph Teller ist Wirtschaftswissenschafter. Der 53-jährige gebürtige Wolfsberger (Kärnten) ist seit 2019 Professor an der Johannes Kepler Universität Linz und Vorstand des Instituts für Handel, Absatz und Marketing.

KURIER: Sie diagnostizieren, dass sich das Konsumklima nicht erholt. Warum?

Christoph Teller: Das zieht sich schon über mehrere Jahre hinweg, es folgt eine Krise der anderen. Obwohl das WIFO und das IHS einen leichten Aufschwung prognostizieren, ist er mit 0,9 bis 1,1 Prozent nur minimal. Aber Stimmung macht Wirtschaft.

Man sagt, 50 Prozent sind Psychologie.

Wenn nicht mehr. Der Kopf lenkt unser Tun. Objektiv gesehen sind wir ein reiches Land. Unsere Wirtschaft funktioniert, auch wenn sie ein bisschen schwächelt. Wir haben ein tolles Sozial-, Gesundheits- und Pensionssystem. Es ist irrelevant, wie es ist, es ist relevant, wie es wahrgenommen wird. Wenn über die Arbeitslosenzahlen, Insolvenzen und über den Rückzug vom Unimarkt berichtet wird, sagen die Menschen, um Gottes Willen, mein Markt sperrt zu. Die Märkte wird es aber weiter geben, denn viele Filialen werden übernommen.

Es ist ja nicht nur der Unimarkt. Wenn 600 der 3.000 Mitarbeiter von Lenzing gekündigt werden, dann ist das für die Menschen und die Region ein schwerer Schlag. Im Handel bleibt bei Filialschließungen oft viel erhalten. Menschen und Standorte finden neue Strukturen. In der Industrie, wie zuletzt bei Lenzing, ist das leider viel schwieriger. Dort spürt man den Strukturwandel unmittelbarer.

Wenn die Menschen diese Nachrichten lesen, ist es ganz klar, dass sie verunsichert sind. In der Fachsprache heißt das contagious anxiety. Das ist wie eine Herde, die gemeinschaftlich vor etwas wegläuft.

Die Menschen haben Angst und sparen dann und konsumieren weniger, sie investieren weniger.

Richtig. Es ist Geld im System, aber es wird gespart und nicht ausgegeben. Die Sparquote ist so hoch wie schon lange nicht mehr. Der Euro pickt im Geldtascherl, wenn die Angst im Kopf ist.

Das bedeutet, dass wir kein wirkliches Problem haben, sondern ein Mentalitätsproblem.

Wir sind in keiner Katastrophensituation, aber es könnte besser sein. Die Menschen machen nun das, was grundsätzlich verständlich, nachvollziehbar und zum Teil richtig ist: Sie stecken zurück und kaufen dort weniger, wo sie sparen können. Bei Lebensmitteln ist Sparen schwieriger. Wir sehen ein Verschieben von größeren Investitionen. Bei Produkten des mittel- und langfristigen Bedarfs, zum Beispiel bei Elektrogeräten, Bekleidung oder Baumärkten.

Man muss differenzieren. Die Haushalte mit Einkommen von 4.000 netto plus müssen nicht sparen, sie sparen weniger oder auch nicht. Die Haushalte mit 2.000 netto und weniger spüren die jetzige Situation stark. Für sie macht es einen Unterschied, wenn die Lebensmittelpreise und gleichzeitig das Wohnen teurer werden. Die untersten Einkommensschichten sind stark belastet. 20 Prozent der Konsumenten kaufen jetzt weniger ein.

Im Lebensmittelhandel schauen die Menschen auf die Aktionen. Es ist unsäglich, weil es insgesamt wenig bringt.

Für den Einzelnen?

Es geht immer um den Wert des Warenkorbs. Man kauft am Wochenende vielleicht die billige Kiste Bier, aber sobald man andere Produktkategorien zum Normalpreis kauft, hebt sich die Ersparnis oft auf. Beim Sparen darf man nicht nur auf das einzelne Produkt schauen, sondern auf den Warenkorb. Der Handel schafft durch die Aktionen einen Anreiz, weil die Konsumenten glauben, sie haben sich etwas erspart. Und insgesamt problematisch ist in der Sache, das zeigen Studien, etwa die OECD-PIAAC-Erhebung, wonach rund 20 Prozent Schwierigkeiten mit grundlegender Alltagsmathematik haben.

Wenn man einkauft, sollte man mit der Planung beginnen. Und dann kommt die Disziplin. Man muss wissen, wann man es sich leisten kann, dem Kaufimpuls nachzugeben.

Durch Aktionsangebote.

Wir in Österreich erscheinen mittlerweile so konditioniert wie der pawlowsche Hund. Er sabbert bei einem Glockenklang, weil er denkt, er bekommt etwas zu fressen. In Diskussionen über den Handel wird der Konsument oft als der Pawlowsche, als der Arme dargestellt. Der Handel läutet, der Konsument kauft. Das ist aber nicht so. Wir sind eigenverantwortlich.

Ihre Diagnose lautet, der Einzelhandel ist in der Zwickmühle aus schlechter Konsumstimmung und steigenden Kosten.

Es ist eine mehrdimensionale Zwickmühle. Auf der Konsumentenebene herrscht die Kaufzurückhaltung, auf der Handelsebene ist starker Wettbewerb. Es ist kein Oligopol, wo sich die Konkurrenten abreden, sondern sie fahren sich ständig stark in die Parade.

Das Image der Handelskonzerne ist ein anderes. Vier Konzerne beherrschen mehr als 90 Prozent des Marktes. Sie verdienen Milliarden und drücken nach Darstellung der Bauern die Preise der kleinen Zulieferer nach unten.

So ist das Image, aber die Realität ist eine andere. Die Margen im Lebensmittelhandel sind so gering, dass man nur über die Menge überleben kann. Im Lebensmittelhandel gibt es seit fünf Jahren real kaum Wachstum. Nominell ja, aber man muss die Inflation rausrechnen.

Sie verdienen Gott sei Dank etwas. Denn wenn sie keinen Gewinn machen, können sie nicht investieren, sie können nicht besser werden und nicht konkurrenzfähig bleiben. Kurzfristig kann man einmal durchtauchen, mittel- und langfristig wird man sich aus dem Markt zurückziehen. Beim Unimarkt hat genau das stattgefunden. Er hatte mehr als 90 Filialen. Die Führung hat verantwortungsvoll gehandelt und nicht gewartet, bis die Firma in die Insolvenz schlittert.

Es ist eine vollkommenverquere Sichtweise, dass ein Unternehmen nicht gut wirtschaften und Gewinne machen darf. Es ist wichtig, dass wir gesunde Unternehmen haben, die gegenüber den Konsumenten und Lieferanten fair agieren. Das tun sie, weil sie sich etwas anderes nicht leisten können. Der Herrgott verzeiht, der Wettbewerb nicht.

Das Image des Lebensmittelhandels ist vollkommen ungerechtfertigt, es werden kleine Dinge aufgebauscht und jeder sagt, groß ist böse. Große Handelskonzerne müssen in Österreich verantwortungsvoll agieren, weil sie unter intensiver Beobachtung stehen. Das tun sie in der Regel auch. Wegen der Handelskonzerne können wir in Österreich zum Beispiel flächendeckend Bio-Produkte kaufen.

Gibt es in Österreich zu viele Filialen?

Wir sind in der privilegierten Lage, eine funktionierende Einzelhandelsstruktur zu haben. Im Bekleidungsbereich wird die Nahversorgung immer weniger. Ein dichtes Netz, eine funktionierende Handelsstruktur ist eine Errungenschaft einer Volkswirtschaft. Bei der Online-Konzentration sind wir in Europa im Mittelfeld. Die Briten, die Skandinavier und die Niederländer haben viel höhere Penetrationsraten. In Italien, im Süden bricht das total weg.

Sie haben die Kleinstruktur im Handel noch. Einkaufen ist Teil der nationalen Kultur, online macht dort vergleichsweise zum Norden nur wenige Meter. Bei uns ist es ähnlich. Neun von zehn Euro gehen immer noch in den stationären Handel. Diese Dichte ist zwar teuer, manchmal auch nicht notwendig, wenn ein Standort in einem hoch konzentrierten Markt sehr belegt ist, aber eine Filiale zu viel ist besser als eine zu wenig. Im ländlichen Bereich ist die mangelnde Dichte zwar manchmal ein Problem, aber ein geringeres im Vergleich zu anderen Ländern.

Völlig überraschend ist auch die Meldung gekommen, dass die Hofer-Zentrale in Sattledt Teile ihrer Verwaltung nach Indien auslagert.

Das passiert tagtäglich, nur in dem Fall sieht man es, weil es ein stationärer und ein großer Händler ist. Ein großer Teil der Österreicher bestellt bei Amazon oder Temu oder Shein. Wo sind dort die Arbeitsplätze? Es muss einem Unternehmen belassen sein, seine Kostenstrukturen so aufzustellen, dass er wettbewerbsfähig bleibt. Es hilft uns nichts, wenn es Hofer bzw. Aldi Süd schlecht geht. Das Prinzip des Discounters besteht aus Kostenführerschaft, Serviceminimierung, Prozessoptimierung und Preisführerschaft. Deren tagtägliches Geschäft besteht in der Reduzierung der Kosten, damit er die günstigen Preise anbieten kann. Hofer ist immer noch einer der großen Arbeitgeber in Österreich.

Zum Image der Handelsketten. Zu Corona waren sie die Helden der Nation und jetzt werden sie stetig an den Pranger gestellt. Die vier Großen in Österreich können es sich nicht leisten, am Markt unethisch zu agieren, weil sie im Wettbewerb am Standort sofort verlieren würden. Und ja, Retailing is a people business. Wo Menschen am Werk sind, passieren auch manchmal Fehler.

Die Innenstädte entleeren sich, an den Orts- und Stadträndern sind die Supermärkte gewachsen.

Es kann viele Gründe haben, warum Betriebe zusperren. Der Strukturwandel gehört zum Handel so wie die Geburt zum Leben. Das ist schmerzhaft, aber Teil der ökonomischen Realität. Es treten rund gleich viele Unternehmen aus dem Markt aus, wie neue in den Markt kommen. Aber das, was wir kennen, verändert sich. Veränderung ist für den Konsumenten zumeist etwas Negatives. Die B- und C-Lagen haben, so wie die Entwicklung läuft, kaum eine Chance. Eher noch für Dienstleistungen, Gastronomie, Automatenshops etc. Eine komplexe und problematische Entwicklung.

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