Christian Mader: Die Situation ist ernst. Das Problem liegt in der Steigerung der Aufgaben. Die Ausgaben steigen, die Belastungen sind sehr hoch. Das lässt sich an meiner eigenen Gemeinde Schlatt gut ablesen. Auch wir werden nächstes Jahr den Haushalt nicht mehr ausgleichen können. Heuer lösen wir 315.000 Euro aus den Rücklagen auf, das ist hart erspartes Geld, damit wir noch ausgleichen können. Es sind schon viel mehr als die Hälfte der Gemeinden Oberösterreichs, die nicht mehr ausgleichen können.
Die größten Ausgabenpositionen sind jene für die Pflege und die Abdeckung der Spitalsdefizite.
Und die Kinderbetreuung.
Warum? Die Geburten sind stark rückläufig.
Hier geht es um die Erweiterung des Angebots und die Verlängerung der Öffnungszeiten. 96 Prozent der Drei- bis Sechsjährigen sind bereits in der Kinderbetreuung. Früher gab es wesentlich weniger Drei- und Vierjährige im Kindergarten. Die Kleinkindbetreuung (Krabbelstuben) ist ebenfalls stark ausgebaut worden.
Gesetzgeber sind hier der Bund und das Land. Sie haben Erweiterungen beschlossen, die sich in den Gemeindekassen niederschlagen. Es gibt dafür zwar zusätzliche Gelder, aber sie decken nur einen Teil ab. Unsere Kosten steigen.
Wie hoch ist der Anteil des Landes und der Gemeinden?
In etwa 55 (Land) zu 45 Prozent (Gemeinden). Wir bekennen uns dazu, dass die Kinderbetreuung eine Aufgabe der Gemeinde ist, aber die Kostendynamik ist ein Problem. Bei uns in Schlatt beträgt die Steigerung in den vergangenen drei Jahren rund ein Drittel.
Die Kosten für die Pflege generell und speziell für die Altenheime steigen wegen der zunehmend älter werdenden Bevölkerung ebenfalls.
Für die Pflegekräfte hat der Bund beispielsweise einen Bonus beschlossen, er belastet unsere Budgets. Er hat auch den Entfall des Pflegeregress beschlossen.
Der Bund beschließt, die Gemeinden zahlen.
So ist es. Wenn es Gelder dafür gibt, decken sie weitaus nicht unsere Kosten. Die Einnahmen der Gemeinden steigen nicht mit.
Bei den Bezirkssozialhilfeverbänden wird gewöhnlich nur von den Alten- und Pflegeheimplätzen geredet. Dazu kommt noch die mobile Betreuung. Wir zahlen auch beim Chancengleichheitsgesetz (Menschen mit Beeinträchtigungen) und bei der Kinder- und Jugendhilfe mit. Der Aufteilungsschlüssel beträgt 60 (Land) zu 40 (Gemeinden). Hier können wir auch nicht mitreden, wir sind nur Zahler. Die Ausgaben für die Unterstützung von Kindern und Jugendlichen, die aus zerrütteten Familien kommen, steigen extrem. Im Bezirk Vöcklabruck sind sie für das Chancengleichheitsgesetz von acht Millionen 2011 auf 18 Millionen 2024 gestiegen, für die Kinder- und Jugendhilfe von 3,3 auf 6,2 Millionen Euro.
Die Gemeinden müssen für die Abdeckung der Spitalsdefizite zahlen, obwohl sie überhaupt nichts mitzureden haben.
Der Bund und die Sozialversicherungen sind mit ihren Beiträgen gedeckelt. Den Rest müssen sich Länder und Gemeinden mit 60 zu 40 teilen. Wir sind nicht gedeckelt. Den Letzten beißen die Hunde. Wir Gemeinden wollen nicht mehr für die Spitäler mitzahlen.
Wo liegt die Lösung, damit die Gemeinden wieder auf gesunde finanzielle Beine kommen?
Es muss wieder möglich werden, dass die Gemeinden ihre Daseinsvorsorge aufrechterhalten können. Dort, wo die Menschen wohnen, wo sie zu Hause sind, soll alles funktionieren. Der Bund muss schauen, dass die Gemeinden entlastet werden. Die Regierung hat in ihrem Programm den weiteren Ausbau der Kinderbetreuung stehen. Es steht zwar drinnen, dass dafür 80 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. Die haben sie aber aufgrund des Budgetlochs nicht. Wenn die Regierung das beschließen sollte, können wir das nicht mehr leisten. Es geht nicht mehr.
Wie können die Gemeinden entlastet werden?
Es braucht eine große Aufgabenreform. Die Forderung gibt es schon seit vielen Jahren. Im Bildungsbereich gibt es beispielsweise auch ein großes Wirrwarr. Es gibt die Bestimmung, dass der Schulerhalter für den EDV-Raum zuständig ist. Diese gibt es aber nicht mehr, weil die Schüler die Tablets haben. Daraus leitet das Bildungsministerium ab, dass wir für die Software der Tablets aufkommen müssen. Das sei wie ein Lehrmittel.
Der sonderpädagogische Bedarf bleibt bei uns Gemeinden hängen, weil der Bund nicht mehr Geld hergibt. Wir streiten ständig über das administrative Personal in der Schule. Die Gemeinden zahlen für die Sekretärin des Direktors. Das wird sich ab Herbst ändern. Wir sind auch nicht zuständig für den Schülertransport. Der Busunternehmer sagt aber, er fährt nicht mehr, weil er zu wenig bekommt. Dann zahlen halt wir als Gemeinde dazu, damit er wieder fährt, obwohl es Aufgabe des Bundes wäre. Wir zahlen auch für die Transporte der Schülerinnen und Schüler zum Schwimmen ins Hallenbad. Wir zahlen auch die Eintritte.
Wir sollten uns bei der Aufgabenreform ein Beispiel am Schweizer Modell nehmen, das dafür eine Übergangszeit von 14 Jahren vorsieht, denn hier geht es um eine Neu- und Umverteilung.
Staatssekretär Josef Schellhorn fordert die Gemeinden auf, einen wesentlich stärkeren Beitrag zur Budgetsanierung zu leisten.
Wie ich das gelesen habe, ist mir fast schlecht geworden. Das ist ein Wahnsinn. Jene, die kein Geld haben, sollen mehr leisten. Er soll die Reform der Aufgabenverteilung angehen.
Rudolf Hoscher, Direktor 75 des Landesrechnungshofes, sieht Einsparungspotenzial bei den Gemeinden und propagiert die Zusammenlegung von kleineren Gemeinden.
Das ist ein Irrglaube. Ich war ein Lehrling, ein Schlosser, ein Landwirt, ich habe nicht studiert, aber wenn man eins und eins zusammenrechnet, sieht man, dass das nicht funktionieren kann. Wenn zwei Bettler heiraten, kommt kein König heraus. Unsere Probleme sind die Ausgaben, was ändert sich dadurch? Die Kosten bleiben dieselben. Die Zusammenlegungen in der Steiermark haben keine Einsparungseffekte gebracht. Ich verstehe auch nicht, wieso der Herr Direktor die Kooperationen von Gemeinden verteufelt. Wir bauen beispielsweise einen neuen Kindergarten, der eine Kooperation von acht Gemeinden ist. Dafür braucht es nur zwei Verträge: einen für die Aufteilung der Kosten und einen für die Caritas, unseren Rechtsträger.
Die Neos wollen den Gemeinden die Kompetenz für die Umwidmung von Grundstücken nehmen, weil hier Freundschaftsdiensten Tür und Tor geöffnet seien und es zu keiner objektiven Beurteilung komme, argumentieren sie. Sind die Gemeinden korrupt?
Wer kann besser wissen als die Gemeindebürger, welches Gebiet sich besser entwickeln kann? Die Menschen vor Ort sind am nächsten. Es gibt im Raumordnungsgesetz eine Grundlage, an die sich alle halten müssen. Anträge auf Umwidmung werden im Bauausschuss des Gemeinderats beraten, dann wird im Gemeinderat darüber abgestimmt. Umwidmungen dürfen nur im öffentlichen Interesse erfolgen. Und jedes Widmungsverfahren wird von der Aufsichtsbehörde beim Land geprüft.
Die Bautätigkeit in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten war enorm, es sind in den Gemeinden zahlreiche neue Siedlungen und Betriebsbaugebiete entstanden. Gernot Stöglehner, Professor für Raumplanung an der Universität für Bodenkultur, sieht im Bodenverbrauch ein nicht mehr tolerierbares Ausmaß erreicht. Er sagt, dass Österreich mit seinen 1,6 Millionen Einfamilienhäusern auch bei wachsender Bevölkerung das Auslangen findet. Hat er recht?
Dort, wo es anders nicht möglich ist, muss man Familien und Betrieben das Bauen ermöglichen. Die Bauparzellen sind heute schon wesentlich kleiner, 750 statt 1500 Quadratmeter, wie es früher war. Wir müssen gleichzeitig schauen, wie wir das Bauen verdichten können. Wir brauchen zum Beispiel auch die Änderung, dass in aufgelösten Bauernhöfen mehr als drei Wohneinheiten entstehen dürfen. Wir als Gemeinden benötigen mehr Möglichkeiten, um leer stehende Betriebsflächen reaktivieren zu können. Wir müssen die Dorfzentren aktivieren, statt nach außen zu bauen.
Der Altbestand muss aktiviert werden?
Ja, da sind auch die unbebauten Grundstücke dabei. Auch da brauchen wir eine stärkere Handhabe. Mit den bereits gewidmeten Flächen kommen wir noch 40 Jahre aus. Aber sie sind nicht verfügbar, weil sie in Privatbesitz sind. Sie werden von einer Generation zur nächsten als eine Art Sparbuch weitergegeben. Das geht nicht.
Wollen Sie sie enteignen?
Nein, man soll Anreize bieten. Wir haben zum Beispiel die Erhaltungsbeiträge für Straßen, Kanal- und Wasseranschlüsse verdoppelt. Diese müssen saniert werden. Die Wertsteigerung des Grundstückes ist aber eine viel höhere. Es werden auch Rückwidmungen diskutiert.
Halten Sie Rückwidmungen für notwendig?
Ich habe in meiner Gemeinde zwei, drei Grundstücke, die sofort in Grünland zurückgewidmet gehören. Was mache ich mit einem Garagenpark mitten im Grünen?
Zur finanziellen Entlastung der Gemeinden wird von manchen die Abschaffung der Landesumlage gefordert.
Das ist Populismus. Die reicheren Gemeinden müssen mehr zahlen, ihre Beiträge kommen den Finanzschwachen am Land zugute. Keine einzige Gemeinde würde aus dem Härteausgleich rauskommen, müsste sie die Landesumlage nicht zahlen. Die Gemeinden am Land müssen auch einen Kindergarten und eine Volksschule bauen können. Nur so verhindern wir das Entstehen von Bürgern zweiter Klasse.
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