Wolfgang Eder: Es gibt immer wieder Versuche auf politischer Ebene, durch Zölle und Abgaben ein faires Verhältnis zu schaffen. Gerade die chinesischen Stahlunternehmen sind hoch subventioniert. Die EU versucht Wettbewerbsgleichheit durch Grenz-Ausgleichsabgaben herzustellen. Dieses Thema haben wir auch bei der Klimadiskussion und beim grünen Stahl. Chinesische, aber auch andere Produzenten haben vielfach nicht den Standard, den wir inzwischen in der EU erreicht haben, d. h. sie produzieren mit weitaus höherer Umweltbelastung, damit aber auch günstiger.
Die Europäer sagen nun, Stahl, der nicht den europäischen Nachhaltigkeitsvorschriften entspricht, wird beaufschlagt. Dieses Modell wird momentan implementiert. Kritiker meinen, es wird nie funktionieren, Befürworter sagen, das ist der einzige Weg, ein einigermaßen global gerechtes System zustande zu bringen. Man wird damit in den nächsten Jahren Erfahrungen sammeln. Ich gehe schon davon aus, dass dieser Grenzausgleich letztlich funktionieren wird. Aber der Weg ist sehr, sehr mühsam.
Die staatliche Subventionierung ist ein Verstoß gegen die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO).
Dieses Problem haben wir immer gehabt, das ist nicht neu. Die europäische Stahlindustrie versucht, sich durch Qualität zu unterscheiden. Siehe Autoindustrie, Bahn oder Luftfahrt. Das sind anspruchsvolle Stähle, für die viele Konkurrenten – noch – nicht das Know-how haben und nicht die Standards erreichen, die man in immer mehr Industriesektoren benötigt. Das geht bis zu Hochregallagern, wie sie Amazon, Ikea oder XXXLutz benötigen. Unser Anspruch „one step ahead“ induziert, dass wir versuchen, immer einen Schritt voraus zu sein.
Diesen Weg geht die voestalpine?
Wir gehen diesen Weg seit dem Zusammenbruch Mitte der 1980er-Jahre ganz konsequent. Ende der 1990er-Jahre hat es eine umfassende Diskussion im Vorstand gegeben, ob die Zukunft in mehr Größe oder in noch höherer Qualität und damit in einer noch anspruchsvolleren Wertschöpfungskette liegt. Am Ende des Prozesses, der rund drei Jahre gedauert hat, waren wir uns einig, dass die Zukunft nicht noch mehr Stahl sein kann, sondern dieses „Mehr-aus-Stahl“. Also eine möglichst hohe Stahlqualität, die zu möglichst noch konkurrenzfähigeren Endprodukten führt. Ein gutes Beispiel sind komplette Bahnstrecken, wo wir heute Weltmarktführer sind. Ähnliches gilt für Flugzeugteile oder Komponenten für die Autokarosserie.
Die voestalpine erzielt rund ein Drittel ihres Umsatzes im Automotive-Geschäft. Nun ist die europäische, speziell auch die deutsche Autoindustrie aufgrund der Offensive chinesischer E-Auto-Produzenten in der Krise. Wie wirkt sich das auf die voestalpine aus?
Die deutsche Autoindustrie ist immer noch der wichtigste Abnehmer. Die voestalpine hat aber bereits vor 40 Jahren begonnen, etwa mit den Koreanern, die damals in Europa Werke gebaut haben, Geschäftsbeziehungen aufzunehmen. Hyundai oder Daewoo sind seit Jahrzehnten Stammkunden. Die Kundenstruktur wurde dann über Europa hinaus ausgedehnt. So gibt es heute etwa in den USA oder China Presswerke, die sowohl lokale als auch europäische Hersteller beliefern, die dort produzieren. Die voestalpine bedient heute ein sehr internationales Portfolio.
Es passt also?
Aus Sicht des Aufsichtsrates ja – der Vorstand geht einen sehr konsequenten Weg.
Europa ist nicht nur unter Druck von China, Indien und anderen Mitbewerbern aus Asien, sondern auch von den USA. Präsident Trump will die Zölle massiv erhöhen. Wie soll Europa reagieren?
Die Gespräche sind mit immer neuen Wendungen im Gang, wir wissen noch nicht, wie stark sie uns betreffen werden. Wir versuchen, mit einer gewissen Ruhe und Gelassenheit abzuwarten, was sich da entwickelt. Wir haben in den USA eine ganze Reihe von Standorten, was sehr hilfreich ist und für eine gewisse Entspannung sorgt. Allein im Eisenbahnbereich haben wir 14 Werke. Alles, was drüben produziert wird, ist nicht von Zöllen betroffen.
Österreich ist europaweit beim Wirtschaftswachstum Schlusslicht. Die Industrie ist in der Rezession. Wie kommt Österreich wieder auf die Beine?
Ich würde mir wünschen, dass Maßnahmen nicht nur jahrelang diskutiert, sondern auch umgesetzt werden. Sie scheitern zu häufig aus parteipolitischen Gründen. Man müsste das tun, was in der Wirtschaft gang und gäbe ist, nämlich sich die besten internationalen Beispiele anzusehen und sich an ihnen zu orientieren. Ob das das Pensionssystem betrifft, den Gesundheitsbereich oder die Bildung. Die Themen eskalieren meist politisch, bevor man in eine Sachdiskussion kommt, und enden im Stillstand. Es hat ja schon der Österreich-Konvent (2003–2005) versucht, Ansätze zu finden, vergeblich.
Es fehlt also an der Umsetzung?
Das ist das eine. Das andere ist unsere Verfassung. Sie wurde 1920 verabschiedet. Die Sozialdemokraten, die in Wien traditionell stark waren, wollten eine relativ starke Zentralgewalt. Die Christlich-Sozialen, die in den Ländern regierten, wollten möglichst viele Entscheidungen auf der Landesebene. Wir haben als Konsequenz mit dem Bund, den Ländern und den Gemeinden drei teilweise konkurrierende Ebenen.
Heute als weitere Ebene oben darüber noch die EU. Damit haben wir ein extrem komplexes System mit vielen Reibungsflächen. Man müsste es straffen und die eine oder andere Ebene rausnehmen. Damit würden die Entscheidungsabläufe schneller und effizienter werden, das Potenzial, sich gegenseitig zu blockieren, würde reduziert.
Sie gehören der voestalpine mehr als 45 Jahre an. Sind Sie stolz auf die Entwicklung?
Stolz auf die vielen Menschen, die das – nicht nur in Österreich – gemeinsam geschafft haben. Ich bin hier in einer Zeit sozialisiert worden, als die voestalpine am Boden gelegen ist und man nicht gewusst hat, wie es weitergeht. 1985 waren wir mehr als 80.000 Mitarbeitende, zehn Jahre später gerade noch 15.000. Wir sind von über 20 Milliarden Euro Umsatz auf 1,5 Milliarden gefallen.
Das Ganze ist in einem Prozess abgelaufen, der in dieser Phase recht einfach war: Es hat ein Team von vier Leuten gegeben, das geprüft hat, was kann man halten, was kann man verkaufen, was muss man zusperren. Da sind wir ein halbes Jahr lang halbe Nächte gesessen. Es hat mich sehr beschäftigt, dass so viele Menschen ihren Arbeitsplatz verloren haben, dass ihr Schicksal ungewiss war.
Die größte Befriedigung für mich ist daher, dass wir heute wieder 50.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit einem soliden Arbeitsplatz haben, geführt von einem Vorstand, der nur dem Unternehmen und sonst niemandem verantwortlich ist. Das Unternehmen ist auch unter reinen Finanzaspekten, sehr solide aufgestellt und die Menschen, die hier arbeiten, sind mit Begeisterung dabei.
Voestler sind mit Überzeugung Voestler.
Inzwischen wieder und das nicht nur hier. Auch in den USA, China und anderswo. Das ist wichtig, neben der rein fachlichen Kompetenz. Zur positiven Stimmung trägt auch die sichere und stabile Eigentümerstruktur bei. Es gibt keine Diskussionen darüber, ob Eigentümer ein- oder aussteigen, wie das bei vielen Konkurrenten heute der Fall ist.
Die voestalpine ist ein Beispiel dafür, wie in Österreich und Europa ganz anders auf die Krise wichtiger Industrien reagiert wurde als in den USA, wo die betroffenen Regionen völlig verarmt sind.
Der Weg, den Europa eingeschlagen hat, ist der einzig richtige, auch wenn man diskutieren kann, dass das letztlich dem Staat relativ viel kostet. Anders kann die Finanzierung einer Krise aber schwer erfolgen. Das europäische Sozialverständnis ist ein anderes als das in Amerika, wo es heißt, „mache Dein Ding“. Diejenigen, die nicht über die nötige Energie, das Wissen und die finanziellen Voraussetzungen verfügen, bleiben über. Das europäische Gesellschaftsmodell ist das bessere, auch wenn es teuer ist, und Diskussionen über die Grenzen der Unterstützung unvermeidlich sind.
Man kann aber auch nicht alles auf den Staat abwälzen, die Grenzen spüren wir derzeit schmerzlich. Er ist wichtig, dass man das Überleben ermöglicht, dann muss der unternehmerische Organismus aber wieder fähig sein, aus eigenem zu existieren – und er zahlt ja über die Steuern die Unterstützung zurück.
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