Dem Fußball auf dem Land geht die Luft aus
Groß war der Jubel bei den Fußballern von St. Georgen an der Gusen, fast so überschäumend, als hätten sie soeben die Champions League gewonnen. Dabei hatten sie gegen Niederneukirchen gerade einmal ein 2:2 geschafft. Weil es jedoch das erste Remis war, steht der Verein nicht mehr als einziger im ganzen Land mit null Punkten da. Davor und danach gab es nur Niederlagen, 17 an der Zahl. Den letzten Platz in der 2. Klasse Nordost dürften die Blau-Weißen nicht mehr los werden.
„Die Tabelle ist mir nicht so wichtig“, sagt Hans-Peter Steiniger, „wir sind in der letzten Klasse und können nicht absteigen“. Wichtig ist dem Funktionär vielmehr, dass in der Kampfmannschaft wieder ausschließlich Akteure aus der 4.300-Einwohner-Gemeinde im Bezirk Perg stehen. Ergänzt durch zwei Luftenberger und zwei Asylwerber.
Erfolg teuer erkauft
Soviel Bodenhaftung war nicht immer. Vor einigen Jahren setzte der TSV zu einem wahren Höhenflug an, marschierte von der letzten Klasse in die Bezirksliga durch. Eine Spielzeit lang wurde sogar in der Landesliga Ost gekickt. Der Erfolg war freilich teuer erkauft und wenig nachhaltig. Als der Coach und ein Großteil der Mannschaft den Klub verließen, musste der Spielbetrieb eingestellt werden. Vergangenen Herbst, nach einjähriger Pause, ist St. Georgen ganz unten wieder neu eingestiegen.
Verschiebung
Der Mühlviertler Verein steht für die generelle Entwicklung: Immer mehr Klubs auf dem Land tun sich schwer, genug Spieler zu finden. „Wir stellen eine geografische Verschiebung fest, von der Peripherie in die Ballungszentren“, sagt Raphael Koch, Direktor im OÖ. Fußballverband (siehe Interview). 363 Teams sind im Herbst in die Meisterschaft gestartet, um fünf weniger als im Jahr zuvor. Im Winter hat sich der SC Rottenegg aufgrund akuter Personalprobleme aus der 2. Klasse Mitte-Ost zurückgezogen. Die Zahl der gemeldeten Kicker ist zwar stabil, doch verläuft sich über die Jahre viel Nachwuchs. Die Gründe dafür sind vielfältig: vermehrte Freizeitangebote, zunehmende Bewegungsarmut, steigende Anforderungen im Job, Abwanderung …
Reservemannschaft oder nicht?
Wer dennoch aufsteigen will, muss zukaufen. Der Ehrgeiz von Funktionären und Sponsoren treibt die Preise nach oben. Wieviel gezahlt wird, bleibt zumeist im Dunklen. Verbandsdirektor Koch stellt jedoch eine Änderung in der Vereinsphilosophie fest: Eigenbau statt Gastkicker. Eine Last könnte der Verband den Vereinen nach Ansicht von Fußballkoordinator Steiniger aus St. Georgen abnehmen: die Verpflichtung, eine Reservemannschaft zu stellen. „Das Thema wird kontrovers diskutiert“, erwidert Koch. Es gebe auch die Meinung, dass dank Reserve ältere Spieler an den Verein gebunden und junge an den Erwachsenenfußball herangeführt werden können. „Wir sind derzeit noch in der Position mehr Nutzen als Schaden zu haben“, sagt Koch.
Doch nicht nur auf dem Platz dünnen die Klubs aus, es finden sich auch immer weniger Betreuer und Funktionäre. Das von der Politik viel gepriesene „Ehrenamt“ wird von einem gesellschaftlichen Trend – vom Gemeinschafts- zum Eigensinn – konterkariert. „Häufig gibt es einen Schlüsselfunktionär, an dem alles hängt“, sagt Koch. „Und wenn der nicht mehr da ist, gibt es ein Problem.“
Das Personaldilemma lässt Gemeindegrenzen überwinden. Was in der Kommunalpolitik nach wie vor weitgehend tabu ist, wird im Fußball notgedrungen bereits gelebt: Anstatt eigenständig vor sich hin zu dümpeln, wird fusioniert. Elf Spielgemeinschaften gibt es mittlerweile, Tendenz steigend. Im Nachwuchsbereich sind es sogar wesentlich mehr. Seitens des Verbandes werden Zusammenschlüsse laut Koch nicht finanziell gefördert, aber „emotional unterstützt“.
Autor: Gerhard Marschall
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