„... dann haben wir nur mehr schlecht bezahlte Arbeit“

Gerhard Straßer, Landesgeschäftsführer des Arbeitsmarktservice
Der Verlust gut bezahlter Arbeitsplätze in der Industrie schwächt die gesamte Region, warnt Gerhard Straßer, der Landesgeschäftsführer des Arbeitsmarktservice Oberösterreich.

Gerhard Straßer (62) ist Landesgeschäftsführer des Arbeitsmarktservice (AMS) Oberösterreich.

KURIER: Ein Krisenherd ist die geplante Schließung des MAN-Werks in Steyr und der damit verbundene Verlust von 2.300 Mitarbeitern, der den Verlust von weiteren 2.500 Arbeitsplätzen nach sich zieht. Was kann man tun?

Gerhard Straßer: Zuerst einmal dagegen ankämpfen. Es ist nicht einzusehen, dass ein Konzern, der europaweit Verantwortung für Arbeitsplätze trägt und nicht nur für das Geschäft, einfach zusperrt. Mit dem Hintergrund von VW und mit dem Hintergrund der Standortgarantie für Steyr. Es ist die gesamte Region aufgerufen, für den Standort zu kämpfen. Wenn

man ihn nicht vollständig erhalten kann, sollte wenigstens das Ziel erreicht werden, dass er erhalten bleibt. Ich habe Verständnis dafür, dass man ihn anpassen und restrukturieren muss, aber nicht dafür, dass man ihn einfach zusperrt.

Ein ganz großes Gefahrenpotenzial ist, dass wir gut bezahlte Industriearbeitsplätze verlieren zugunsten von Branchen, in denen das Lohnniveau schlecht ist. Denn wir haben dann Arbeitnehmer, die vorher 2.500 Euro netto verdient haben und die dann nur mehr 1.500 bis 1.700 Euro haben werden. Das heißt, in der Region geht Kaufkraft verloren, das Konsumverhalten ändert sich. Wenn die Industrie Arbeitsplätze abbaut, ist das nicht nur ein Arbeitsplatzverlust, sondern auch ein bedeutender Kaufkraftverlust.

Das gute Lohnniveau von Steyr strahlt nach Niederösterreich hinein aus. Es ist ein Problem, wenn sich die Industrie so reduziert und die Menschen in andere Beruf abwandern müssen. Ein Logistikzentrum hat eine völlig andere Lohnstruktur als ein Industriebetrieb.

Die Kurzarbeit ist Ende September ausgelaufen, derzeit ist die einmonatige Behaltefrist, Anfang November folgt die Stunde der Wahrheit am Arbeitsmarkt.

Wir werden noch viele Stunden der Wahrheit haben. Das ist nun eine davon. Die Kurzarbeit wurde von Oktober bis 31. März verlängert. Wir haben nun eine Zwischenetappe. Wir werden sehen, wie viele Arbeitslose sie bringen wird.

Wie ist Ihre Einschätzung?

Ende September waren 4.500 Firmen mit 67.000 Beschäftigten in Kurzarbeit. Ich schätze, dass etwas mehr als die Hälfte der Betriebe und zwei Drittel der Beschäftigten in Kurzarbeit bleiben werden. Wenn von den 22.000, für die die Kurzarbeit endet, in etwa 2.000 arbeitslos werden, dürfte das alles sein.

Oberösterreich ist unter allen Bundesländern der größte Profiteur der Kurzarbeit. Wir haben jetzt rund 20.000 Personen mehr in Kurzarbeit gehabt als Wien, Niederösterreich oder die Steiermark. Diese Länder haben mehr Menschen in der Arbeitslosigkeit als in der Kurzarbeit. Daher wird Oberösterreich über das gesamte Jahr 2020 mit 6,7 Prozent mit Abstand die niedrigste Arbeitslosenrate haben. Das ist das Erfreuliche.

Dennoch haben wir sehr viele Einzelschicksale, die wirklich hart getroffen sind. Das Kritische ist der Anstieg der Langzeitarbeitslosigkeit. Das Corona-Krisenszenario besteht seit Mitte März. Es sind aber schon viele im September, Oktober 2019 arbeitslos geworden.

Diese tun sich bei der Arbeitssuche noch viel schwerer.

Die Langzeitarbeitslosen sind jetzt sehr viel mehr geworden. Es gibt hier sehr viele individuelle Schicksale, die große Probleme haben. Arbeitslose erhalten nur 55 Prozent ihres Lohns/Gehalts, jene in der Kurzarbeit 80 oder 90 Prozent. Diese Menschen sind verunsichert, haben Angst um den Arbeitsplatz und haben eher ein psychisches Problem. Die Langzeitarbeitslosen haben ein doppeltes Problem, nämlich ein finanzielles und ein psychisches.

Mit einem Arbeitslosengeld von 55 Prozent kommt man kaum durch.

Und die Einmalzahlungen machen das Kraut auch nicht wirklich fett. Wenn Kosten wie Miete, Strom, Versicherungen, Raten für das Leasingauto etc. anfallen, dann kommt man mit 55 Prozent nicht weit. Deshalb war die Kurzarbeit ein Segen. Und sie war auch für die Betriebe interessant, weil sie mit der Arbeitszeit je nach Auftragslage rauf- und runtergehen konnten.

Wie hoch ist die Langzeitarbeitslosigkeit in Zahlen?

Es sind rund 11.000, das sind um 41 Prozent mehr als im Vorjahr. 2019 lief die Wirtschaft auf vollen Touren. Wir haben damals viele Leute, die schwer zu integrieren waren, wegen ihres Alters, wegen gesundheitlicher Probleme, wegen ihrer geringen Ausbildung, trotzdem untergebracht.

Sollte man für die Langzeitarbeitslosen nicht spezielle Maßnahmen ergreifen?

Wir haben viel Geld für Qualifizierung ausgegeben, damit sie Kurse machen können, damit sie vor allem den Lehrabschluss machen. Der Lehrabschluss ist das Maß der Dinge. Mit ihm sinkt die Betroffenheit von Arbeitslosigkeit auf ein Viertel.

Wichtig ist weiters, dass die Wirtschaft brummt. Wenn sie nicht floriert, hilft die Qualifizierung nur bedingt, denn dann nehmen die Betriebe kaum Beschäftigte auf. Die Unternehmen brauchen Wachstum und Aufträge, damit sie investieren und Beschäftigte einstellen können.

Bei der Kurzarbeit gibt es seit dem 1. Oktober die Möglichkeiten der Qualifizierung ebenfalls. Die Zeit, in der nicht gearbeitet wird, kann dafür genutzt werden. Der Betrieb erhält neben den Lohnkosten noch 60 Prozent der Bildungskosten von uns bezahlt. Wir hoffen, dass das viele in Anspruch nehmen.

Sie prognostizieren für den Winter eine Arbeitslosenrate von acht bis zehn Prozent.

Sie wird wahrscheinlich knapp über neun Prozent liegen. Das ist das Höchste, was wir seit 1945 gehabt haben. Wichtig wäre, dass die Bauwirtschaft im Frühjahr Anschlussaufträge hat. Es ist wichtig, dass die öffentliche Hand investiert. Der Investitionszuschuss, den es gibt, wird von den Unternehmen sehr gut angenommen, davon profitieren die Bauwirtschaft und das Baunebengewerbe.

Am Dienstag öffnet die Berufsinformationsmesse ihre Pforten. In welchen Berufsfeldern gibt es für die Jungen gute Chancen?

Sie sollen das machen, was sie interessiert. Wenn man sie wo hineinzwingt, hören sie früher oder später auf, das ist verlorene Zeit. Alles, was mit Technik und IT zu tun hat, ist gut. Handwerk hat nach wie vor goldenen Boden. Installateur, Elektriker, etc. sind Berufe, die gesucht sind. Sie werden auch durch die Digitalisierung nicht verschwinden. Viele Handwerker wechseln auch oft in die Industrie.

Gastronomie und andere Dienstleistungsberufe fallen auch nicht weg. Der Pflege- und Sozialbereich bietet auch Perspektive. Der Handel ist ebenso ein Thema, beim Onlinehandel hat sich die Logistik stark entwickelt und ist ein Zukunftsszenario.

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