Chigozie Nnebedum: „Der Wohlstand hat euch Europäer müde gemacht“

Chigozie Nnebedum
Chigozie Nnebedum ist Nigerianer und seit 20 Jahren Priester in oberösterreichischen Pfarren. Während die Priesterseminare hiezulande leer sind, treten in Nigeria Zehntausende ein. Nnebedum war einer von ihnen.

Chigozie Nnebedum ist seit 1. September Pfarrvikar in Pregarten. Im Juni hat er sein Silbernes Priesterjubiläum in der Linzer Herz-Jesu-Kirche gefeiert, an dem 56 Priester und rund 500 Gläubige teilgenommen haben. Der 54-Jährige ist in Nigeria geboren, wo er mit sechs Geschwistern aufgewachsen ist. Er hat in Rom Theologie studiert. 2005 ist er nach Oberösterreich gekommen und hat an der Katholischen Privatuniversität mit dem Doktorat abgeschlossen. Er hat zudem Soziologie an der Kepler Universität studiert, hier hat er ebenfalls dissertiert.

Seit 2005 ist er in verschiedensten Pfarren tätig. Unter anderem in Naarn, Mitterkirchen, Arbing, Baumgartenberg, Hellmonsödt und Kirchschlag. Für die afrikanische Community feiert er jeden Sonntag um 15.30 Uhr in der Linzer Herz-Jesu-Kirche die Messe.

KURIER: Sie sind nun 20 Jahre in Oberösterreich. Warum sind Sie hierhergekommen?

Chigozie Nnebedum: Mein Bischof hat mit Bischof Maximilian Aichern vereinbart, dass ein Priester hierherkommt. Ich habe den Aufenthalt zur Fortbildung und für die Arbeit in Pfarren genutzt. Ursprünglich wollte ich nach dem Studium nach Nigeria zurückkehren. Der Linzer Bischof hat meinen Bischof aber gebeten, mich hier weiter arbeiten zu lassen. Deswegen bin ich geblieben.

Es hat Ihnen gefallen?

Ja. Ich bin Priester. Ich muss dort sein, wo meine Arbeit gebraucht wird.

Wo auch immer Sie hinversetzt werden?

Es ist mir total egal, wo ich arbeite.

Also Gehorsam?

Bei der Priesterweihe leisten wir einen Eid, dass wir dem Bischof gegenüber gehorsam sind.

Gehorsam zu sein ist hierzulande gesellschaftlich out.

Ich mag es, gehorsam zu sein, weil ich das bei der Weihe versprochen habe. Und es gefällt mir, hier zu arbeiten.

Wie sind Ihre Erfahrungen hier in der Diözese?

Sehr gute. Die Menschen sind sehr hilfsbereit und sie wollen, dass es Priester gibt. Österreich ist katholisch geprägt.

Die Unterschiede zu Ihrem Heimatland Nigeria sind ganz große.

Nigeria hat 200 Millionen Einwohner. Die Kirche dort ist noch sehr jung. Deshalb ist sie mit voller Lebendigkeit und Kraft unterwegs. Die Messen werden voller Freude gefeiert, es wird gesungen und getanzt, sie dauern zwei bis drei Stunden.

Hier feiert man in aller Ruhe, die Messe wird gelesen, bei uns wird sie gefeiert.

Wie sind die Nigerianer? Die Österreicher sind tendenziell konservativ und angepasst, sie sind ordentlich und eher zurückhaltend.

Nigerianer sind lebendiger, sie machen die Dinge mit mehr Gelassenheit. Sie jammern nicht, obwohl sie jammern könnten. Die Leute sind großteils arm und trotzdem freundlich. Sie nehmen sich Zeit.

Was heißt das?

Wenn man sagt, wir beginnen um 13 Uhr, ist es kein Problem, wenn sie um 13.30 Uhr kommen. Stress erlebt man selten. Ich komme aus dem Süden Nigerias, meine Muttersprache ist Igbo. In unserer Sprache gibt es kein Wort für Stress, weil wir das nicht kennen.

Ihre Ethnie ist katholisch?

Im Norden Nigerias dominieren die Muslime, im Süden sind überwiegend Christen. Unter den Christen sind 60 bis 70 Prozent römisch-katholisch. Die Ethnie der Igbo umfasst rund 20 Millionen Menschen.

Die europäischen Kirchen sind mit vielen Austritten konfrontiert. Es gibt kaum Nachwuchs bei den Priester und den Orden. Was sind die Gründe?

Vielleicht der Wohlstand.

Geht es den Menschen zu gut?

Zu gut kann man nicht sagen, es geht den Menschen gut. Es tut mir sehr leid, dass es keinen Nachwuchs gibt. Ich bete regelmäßig für Berufungen und rede mit jungen Menschen darüber, ob sie sich nicht für den Priesterberuf interessieren.

Die Kirche betet schon seit Jahrzehnten für Priesternachwuchs, ohne Erfolg.

So kann man das nicht sagen. Es gibt drei Möglichkeiten. Gott kann sagen, die Wünsche werden gleich erfüllt. Er kann Nein sagen, weil das für den Betreffenden nicht gut ist. Und er kann drittens sagen, bitte noch warten. Viele Menschen wollen das Nein und das Warten nicht hören, sie wollen die Wünsche sofort erfüllt haben.

Aber Gott ist kein Automat, in den man eine Münze hineinwirft, die Taste drückt und das Gewünschte sofort herauskommt. Auch wenn die Berufungen noch nicht gekommen sind, sollen wir weiter dafür beten.

Die europäischen Kirchen sind attraktiv für Priester aus Afrika. So gibt es zum Beispiel mehrere Bewerbungen für oberösterreichische Klöster. Warum?

Ich würde das Wort attraktiv nicht verwenden. Es gibt das Bedürfnis in Afrika, Priester zu werden. Da es dort viele Priester gibt, sind sie bereit nach Österreich zu kommen.

Früher haben die Europäer Afrika missioniert, und jetzt missionieren die Afrikaner Europa.

So ist das. Ihr Europäer habt uns das Evangelium gebracht und jetzt seid ihr müde. Wir kommen und bringen das Evangelium zu euch.

Warum sind wir müde?

Wie bereits gesagt, vielleicht ist es der Wohlstand.

Chigozie Nnebedum

Chigozie Nnebedum bei einer Messfeier in Hellmonsödt

Die Afrikaner gelten in der innerkatholischen Diskussion als konservativ. Es gab Widerspruch zur Erlaubnis von Papst Franziskus, homosexuelle Paare zu weihen. Ähnlich ist es in der Frage der Frauenpriesterweihe. Stimmt dieses Bild so?

Ich bin seit 20 Jahren in Österreich. Ich habe diese Diskussionen nicht im Detail verfolgt. Einige haben es falsch verstanden, was der Papst gemeint hat, und einige haben es falsch verstanden, was in Afrika passiert ist.

Sie haben sich in Ihren Universitätsstudien mit Fragen der Migration und des Menschenhandels auseinandergesetzt. Wie sehen Sie die Flüchtlingswellen von Afrika nach Europa?

Das ist eine Frage für Politiker. Ich habe mein zweites Doktoratsstudium an der Linzer Johannes-Kepler-Universität in empirischer Soziologie absolviert.

Es gibt viele Nigerianer, die nach Europa kommen. Was treibt sie an?

Armut und Verfolgung. Einige müssen vor der Verfolgung flüchten. Und einige flüchten, weil es ihnen sehr, sehr schlecht geht.

Gibt es für die Nigerianer zu wenig Entwicklungsmöglichkeiten im eigenen Land?

Ich würde nicht sagen zu wenig, sondern es gibt nicht die richtigen Wege. Die Regierung macht, was sie machen kann, die Leute machen, was sie machen können, aber Nigeria ist sehr groß. Es kann nie genug sein.

Was nehmen Sie sich für Ihre Arbeit als Priester und Pfarrer weiter vor?

Ich will das Evangelium verkünden und für die Menschen da sein. Und ich möchte mich noch verbessern.

Wie ist Ihr Kontakt zu Nigeria? Fahren Sie regelmäßig nach Hause?

Manchmal fliege ich zweimal jährlich nach Hause. Ich bin noch Professor für empirische Soziologie an einer Universität. Den Urlaub verwende ich für meine Vorlesungen. Ich bin auch in regelmäßigem Kontakt mit meiner Familie. Ich bin meinen Eltern, die schon verstorben sind, sehr dankbar, dass ich Priester werden konnte. Sie haben dafür gesorgt, dass alle sieben Kinder studieren konnten. Als ich ins Priesterseminar eingetreten bin, gab es 450 Seminaristen. Jetzt sind es noch mehr.

Ist das das einzige Priesterseminar?

Nein, es gibt viele, mehr als 15. Alle sind voll. Das größte Priesterseminar der Welt ist mit über 800 Kandidaten das Bigard Memorial Seminary in Enugu.

Sie haben mehr Priester als Gläubige?

(lacht). Viele, die Priester werden möchten, werden nicht zugelassen, weil es zu wenig Plätze gibt. Der Glaube ist so lebendig.

Ist mit dem Priesterberuf auch ein gesellschaftlicher Aufstieg verbunden?

Nicht wirklich. Die Kirche ist noch jung und lebendig. Viele junge Leute interessieren sich dafür. Es gibt auch eine große Nachfrage nach Ordensberufen.

Liegt die Zukunft der römisch-katholischen Kirche in Afrika?

Momentan ja. Wie es in 200 oder 300 Jahren aussehen wird, weiß man nicht.

Sie betreuen auch die afrikanische Community in Linz. Wie viele gehören ihr an?

Ungefähr 140 besuchen regelmäßig die Sonntagsmesse. Ich bin seit 2011 auch zuständig für die englisch-afrikanische Gemeinde. Bei den Messen wird viel gesungen und getanzt. Eine Gospel-Band spielt.

Sie unterstützen Schulprojekte in Ihrer Heimat. Was ist der Hintergrund?

Die Schulbildung ist sehr wichtig. Es ist für die Menschen eine Möglichkeit, sich zu befreien Sie lernen, sich gegen die Unterdrückung zu wehren.

Mithilfe einer Familie aus Naarn habe ich eine Volksschule gebaut. Viele Menschen helfen und spenden. Das Land Oberösterreich hat uns auch unterstützt. Manche Schüler besuchen andere Schulen, ich zahle ihnen die Schulbeiträge. Auch für Universitätsstudenten. Wir haben auch eine Wasseraufbereitungsanlage in unserer Diözese gebaut. Sie wurde ebenfalls von der oberösterreichischen Landesregierung unterstützt.

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