„Chance für Erlernen eines zweiten Berufes geben“

Iris Schmidt und Gerhard Straßer
Die Beschäftigung ist so hoch wie nie zuvor. Das AMS möchte Arbeitnehmern die Chance geben, einen neuen Beruf zu ergreifen.

Gerhard Straßer (61) ist Landesgeschäftsführer des Arbeitmarktservice (AMS) Oberösterreich, Iris Schmidt (46) ist seine Stellvertreterin.

KURIER: Sie haben mit der Quereinsteigerin Christine Aschbacher eine neue Ministerin. Was braucht das AMS von seiner neuen Chefin?

Gerhard Straßer: 2019 war ein sehr erfolgreiches Jahr. Die Arbeitslosigkeit ist auf 4,8 Prozentpunkte gesunken. Das ist insofern bemerkenswert, weil die Steiermark als Industriebundesland eine Arbeitslosenrate von sechs Prozentpunkten verzeichnet hat.

Iris Schmidt: Wir hatten 2019 mit 666.000 Personen ein Allzeithoch bei den Beschäftigten. Allein in den drei Jahren 2015 bis 2018 verzeichneten wir ein Beschäftigten-Plus von 5,8 Prozent, das 36.600 Stellen mehr.

Straßer: Die Konjunktur schwächelt derzeit da und dort, wir rechnen 2020 mit einem leichten Anstieg der Arbeitslosigkeit und nochmals mit einem ganzen leichten Anstieg der Beschäftigung. Warum gibt es beides? Es gibt mehr Frauen und mehr Ältere am Markt, dazu kommen einige über die Rot-Weiß-Rot-Karte, über die Asylschiene und über die EU.

Wir als AMS brauchen mehr Personal und mehr Budget, denn unsere Aufgabe wird immer wichtiger. Die Arbeitslosigkeit steigt und der Arbeitsmarkt benötigen mehr qualifizierte Menschen.

Wie viel Geld und Personal benötigen Sie?

Straßer: Wir würden uns einen fünfprozentigen Anstieg sowohl beim Personal als auch beim Budget wünschen. Wir haben derzeit 730 Mitarbeiter, das Budget beträgt rund 160 Millionen Euro.

Die Qualifikation der Arbeitnehmer wird immer wichtiger. Wir müssen es schaffen, dass die Arbeitslosen eine Ausbildung absolvieren. Das Maß der Dinge ist der Lehrabschluss, denn mit dem Lehrabschluss reduziert sich die Arbeitslosigkeit auf ein Viertel. Qualifikation ist die Versicherung gegen Arbeitslosigkeit.

Schmidt: Die Menschen, die zu uns kommen, bringen oft mehr Probleme mit als auf den ersten Blick sichtbar ist und die eine intensivere Beratung brauchen.

Mit welcher Steigerungsrate bei der Arbeitslosigkeit rechnen Sie? Straßer: Von 4,8 auf fünf Prozent. Aber 57-Jährige sind leichter untergebracht, wenn die Wirtschaft brummt. Es gibt Personengruppen, die bei allem Erfolg ein Problem am Markt haben. Sie brauchen unsere Unterstützung.

Es ist uns gelungen, die Langzeitarbeitslosigkeit von 5800 Personen (2017) auf 4700 Personen im Jahr 2018 und auf 3800 Personen im vergangenen Jahr herunter zu bringen. Da wollen wir bleiben.

Es gab die Aktion 20.000 für ältere Arbeitslose. Die türkis-blaue Regierung hat die Aktion eingestellt, Sie haben sie befürwortet. Soll sie wieder eingeführt werden? Straßer: Wir brauchen die Aktion nicht in der alten Form, sondern wir brauchen Anreize für ältere Menschen im gemeinnützigen Bereich und gleichzeitig in der Wirtschaft. Wenn die Arbeitslosen eine Arbeit in der Wirtschaft finden, ist das nachhaltiger. Denn wenn er gut ist und gebraucht wird, kann er bleiben. Im gemeinnützigen Bereich haben dann Organisationen oder Institutionen oft das Geld nicht, ihn nach Ablauf der Aktion weiter zu beschäftigen.

Schmidt: In Oberösterreich gehen die Personen im Alter zwischen 50 und 54 in den Arbeitsmarkt und das funktioniert sehr, sehr gut. Ab 55 wird es ein Problem.

Straßer: Deshalb würden wir gerne die Aktion mit 55 Jahren starten und nicht wie bisher mit 50 Jahren.

Wir haben einen weiteren Wunsch an die Regierung. Es gibt sehr viele Menschen, die sagen, ich möchte mich im Laufe meiner Lebenszeit beruflich verändern. Die Antwort unseres AMS ist, nicht mit uns, denn du hast ja im Laufe deines Lebens schon einmal etwas gelernt. Im neuen Regierungsprogramm gibt es den Gedanken, eine Art Bildungskonto einzurichten. Wir würden es befürworten, dass man während der Berufslaufbahn ein zweites Mal die Chance erhält umzulernen.

Wie soll das konkret ausschauen? Straßer: Es kommt zum Beispiel ein 40-jähriger Maurer drauf, er möchte nicht als Maurer in Pension gehen, sondern einen neuen Beruf ergreifen. Wir sagen derzeit arbeitsmarktpolitisch, Maurer schulen wir nicht um, denn der Maurerberuf ist ein gefragter. Es wäre gut, wenn wir rechtlich die Möglichkeit hätten, ihn umzuqualifizieren. Es gibt derzeit zwar die Möglichkeiten der Bildungskarenz und des Fachkräftestipendiums, aber nur für bestimmte Richtungen. Das sollte offener werden, damit die Menschen die Chance für das Erlernen eines zweiten Berufes haben, den sie wirklich möchten. Das wäre sowohl für die Arbeitnehmer als auch für die Firmen attraktiv, denn damit hätten sie begeisterte Mitarbeiter.

Die öffentliche Hand soll den Auszubildenden in dieser Phase bezahlen? Straßer: Das kommt darauf an. Wenn er eine Lehre macht, verdient er ja. Unser Ansinnen ist, dass die Menschen die Chance bekommen, eine zweite Berufsbildung zu machen. Nicht finanziert vom AMS, aber mit Unterstützung des AMS. So manche Ausbildung dauert ein Jahr, andere wiederum drei Jahre. Man sieht das gut im Bereich der Pflege. Hier kann man Heimhelferin werden, das dauert sechs Monate.

Schmidt: Wenn jemand in einer Region Koch/Kellner ist und Pfleger/in werden will, dann können wir nicht sofort sagen, er soll das machen. Pflege ist zwar auch ein nachgefragter Beruf, aber gleichzeitig sagt die Gastronomie, wir suchen dringend Mitarbeiter und ihr schult sie um. Das ist schwierig, aber auf der anderen Seite muss man sagen, auf Zukunft gesehen ist es wahrscheinlich effektiver, wenn der Arbeitnehmer in einen Beruf wechseln kann, den er bis zur Pension ausüben will. Es ist vermutlich auch günstiger und nachhaltiger, weil die Person andernfalls aufgrund fehlender Motivation immer wieder aus dem Arbeitsmarkt rausfällt.

Straßer: Der Unterschied zur momentanen Situation ist, dass jetzt die Umschulungen aus der Not her aus passieren. Künftig soll der Arbeitnehmer das machen können, weil er in andere Richtung will, nachdem er im bisherigen Beruf 20 Jahre gearbeitet hat.

Wir haben momentan auch die Situation, dass Arbeitnehmer von den Unternehmen im AMS geparkt werden.

Schmidt: Dieses Parken der Arbeitnehmer ist nicht so verträglich, denn es kostet der Allgemeinheit Geld. Es gibt inzwischen viele Baubetriebe, die den Winter durcharbeiten. Dieses Thema hatten wir auch in der Gastronomie, wo die Angestellten zwischen den Saisonen beim AMS geparkt werden. Diese Zwischenparken wird auf andere Branchen ausgeweitet. So wird zum Beispiel in Betrieben die Produktion in die Weihnachtszeit stillgelegt und die Mitarbeiter werden für zwei, drei Wochen zum AMS geschickt. Das ist überhaupt nicht in unserem Sinn.

Straßer: Wir wollen, dass die Phase, in der Bauarbeiter bei uns arbeitslos gemeldet sind, auf einen maximalen Zeitraum von drei Monaten beschränkt ist. Wenn die Witterung gut ist, sollen sie wieder arbeiten gehen. Wir wollen auch nicht, dass andere Betriebe ihre Mitarbeiter bei uns parken. Die Arbeitnehmer haben die Möglichkeit, dass sie in anderen Unternehmen arbeiten. Wir werden die Wiedereinstellungszusagen ganz hart überprüfen und, wenn der Bedarf da ist, sie an andere Betriebe vermitteln.

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