„Brauchen ein Netzwerk an Erster Hilfe für die Seele“

Univ. Doz. Werner Schöny im Brucknerhaus-Park an der Linzer Donaulände
Noch immer herrschen Vorurteile gegenüber psychisch Kranken, sagt Werner Schöny. Es braucht psycho-soziale Zentren in ganz OÖ.

Univ. Doz. Werner Schöny (74) hat nach 50-jähriger Tätigkeit den Vorsitz von Pro mente an seinen bisherigen Stellvertreter Primar Kurosch Yazdi übergeben. Pro mente hilft Menschen mit psychischen und sozialen Problemen und beschäftigt in Oberösterreich rund 1500 Mitarbeiter. Primar Schöny leitete viele Jahre die Landesnervenklinik Wagner-Jauregg.

KURIER: Was ist heute das größte Problem im Bereich der psychischen Erkankungen? Werner Schöny: Es ist immer noch das Stigma und die damit verbundene Diskriminierung. Es ist imme r noch ein wesentlicher Unterschied, ob jemand körperlich oder psychisch krank ist. In der Einstellung der Menschen, in der Beurteilung am Arbeitsplatz. Es gibt immer noch die Vorurteile bei psychisch Kranken, dass es Faulheit ist, dass das nicht heilbar ist, dass die Leute gefährlich sind. Es hat sich zwar viel verändert, aber es ist immer noch ein Problem.

Es gibt zweitens in der Psychiatrie einen Ärztemangel.

Das dritte Problem?

Die Ausstattung der Psychiatrie ist im stationären Bereich mittlerweile gut. Aber generell sind die Angebote nicht ausreichend. Wir spüren seit zehn Jahren die Sparmaßnahmen. Die psychisch Kranken bekommen nicht sofort die Behandlung, die sie benötigen. Sie müssen auf die Psychotherapien warten, wenn sie sich die Therapien nicht selbst leisten können. Das gibt es in den anderen Bereichen nicht. Wenn jemand akut herzkrank ist, kriegt er Gott sei Dank sofort die notwendige Behandlung.

Pro mente verfügt heute über rund 1500 Mitarbeiter. Aber nun stagniert die Entwicklung. Welche Auswirkungen bringt das mit sich?

Es gibt nicht mehr Geld. Es gibt Umstrukturierungen, denn man findet immer etwas, wo man einsparen kann. Das Problem ist aber, dass es immer mehr Betroffene gibt.

Wie hoch ist die Ziffer?

Man sagt, dass ein Drittel der Bevölkerung einmal im Leben psychisch krank ist. Es gibt heute viel mehr Menschen, die sich Hilfe holen, wenn sie psychisch krank sind. Früher haben das viele nicht gemacht. Verallgemeinernd gesagt, haben Männer das Problem mit Alkohol bekämpft und Frauen mit Tabletten. So manche Probleme wie Herzbeschwerden oder Kreuzschmerzen hatten einen psychischen Hintergrund. Heute begeben sich die Menschen in Behandlung. Das klassische Schlagwort ist Burn-out.

Manche Experten bestreiten, dass es ein Burn-out gibt.

In den medizinischen Kategorien ist es nicht als Krankheit definiert. Aber es gibt natürlich den Faktor Überlastung, der zur Krankheit führt. Ich habe noch gelernt, dass es eine Erschöpfungsdepression ist. Wenn die Überlastung zur Krankheit wird, ist es eine schwere Depression oder eine Angstkrankheit.

Die Betroffenen fallen dann meistens mehrere Monate aus.

Das hängt damit zusammen, dass sie sich viel zu spät Hilfe holen bzw. ihre Krankheit wahrnehmen. Sie sagen sich, ich will stark sein. Es ist bei jeder Krankheit dasselbe. Wenn man sich rechtzeitig Hilfe holt, dann kann Hilfe geleistet werden. Die Menschen wollen sich nicht eingestehen, dass sie psychisch etwas haben, sie warten endlos lang. Dann ist die Behandlung viel schwieriger.

Ich habe ungefähr 50.000 Menschen persönlich behandelt. Manchmal reichen ganz leichte Interventionen, damit die Menschen wieder in die Spur kommen. Das gilt nicht, wenn sie endlos lange warten. Das ist bei jeder Krankheit so.

Nimmt die Einsamkeit der Menschen zu?

Natürlich haben sich die Lebensumstände in unseren Breiten sehr verändert. Es gibt viele Menschen, die alleine leben, was nicht bedeutet, dass sie einsam sind. Man kann das Gefühl der Einsamkeit auch dann haben, wenn man nicht alleine lebt.

Das Gefühl der Einsamkeit befördert viele Krankheiten. Die Einsamen sterben früher, weil sie vermehrt erkranken. Das zeigen Untersuchungen. Wenn man keinen Optimismus hat, wirkt sich das auf das Leben aus. Hier kommt wieder der soziale Aspekt zum Tragen.

Wie sehen Sie die sozialen Netzwerke?

Es gibt die Internetabhängigkeit, zum Beispiel von Spielen. Es gibt das Pseudo-Gefühl, dass man so viele Freunde hat, obwohl die Betroffenen einsam sind. Das erleben wir immer wieder auf der Jugendpsychiatrie. Die Wahrheitsfindung ist schwierig geworden.

Der bayerische Kabarettist Gerhard Polt bezeichnet die sozialen Medien als Killerdrohne der kleinen Mannes.

Man muss lernen, mit den sozialen Medien umzugehen. Das war bei allen großen Entwicklungen so.

Was ist aus Ihrer Sicht heute generell notwendig?

Die Psychotherapie ist nicht nur ein ärztliches Phänomen, sondern sie betrifft mehrere Berufsgruppen: Psychotherapeuten, Psychologen, Sozialarbeit, Pflege. Die Politik sollte helfen, Vernetzungsmodelle zu entwickeln. Es braucht psychosoziale Zentren. Mindestens 25 bis 30 Prozent der Patienten, die einen allgemeinen Arzt aufsuchen, haben eigentlich einen Psycho-Hintergrund.

Wie viele solche Zentren soll es geben? Eines pro Bezirk?

Das wäre ideal. Ich fände es gut, wenn sie vorerst einmal in den größeren Regionen entstehen. Sie könnten auch im Kontext von Ärztezentren entstehen. Entscheidend ist, dass sie schnell zugänglich und fachbezogen sind. Und dass die Menschen lernen, das anzunehmen.

Wichtig ist auch, dass die Menschen über Erste Hilfe für die Seele Bescheid wissen. Was tue ich, wenn jemand psychisch erkrankt? Die Menschen wissen nicht, was sie tun sollen, wenn jemand psychische Beschwerden hat. Als ich vor 65 Jahren Medizin zu studieren begonnen habe, habe ich Erste-Hilfe-Kurse im Sportbereich abgehalten. Kein Mensch hat damals gewusst, wie man einen Bewusstlosen lagert. Mittlerweile gibt es hier ein Basiswissen.

Im Psycho-Bereich fehlt das noch.

Wie soll diese Erste Hilfe aussehen?

Es gibt von Pro mente Kärtchen, wo die wichtigsten Punkte draufstehen. Es gibt einstündige Vorträge, 12-Stunden-Seminare und längere Ausbildungen. Es wäre ein ganz wesentlicher Schritt, dass jeder einmal gehört, was zu tun ist. Wegschauen ist immer das Schlechteste, wie in der Ersten Hilfe auch. Man kann helfen. Man darf zum Beispiel einen Suizidgefährdeten nicht allein lassen.

Oft ist nur das Dasein allein schon wichtig und eine Hilfe. Zuhören, Hoffnung geben, nicht werten und keine Ratschläge erteilen. Bei schwereren Fällen überzeugen, dass professionelle Hilfe sinnvoll ist. Hier verspreche ich mir sehr viel von der Professionalisierung des Psychisch-Krank-Seins.

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