Bischof Scheuer: „Der Papst versucht, das Ganze zusammenzuhalten“
Manfred Scheuer war von 2003 bis 2015 Bischof von Innsbruck, bevor der in Haibach ob der Donau (Bez. Eferding) Aufgewachsene zum Bischof von Linz bestellt worden ist. Der 68-Jährige ist auch stellvertretender Vorsitzender der Österreichischen Bischofskonferenz.
KURIER: Die Glaubenskongregation und Papst Franziskus erlauben nun die Segnung homosexueller Paare. Werden Sie solche Segnungen vornehmen?
Manfred Scheuer: Ich begrüße diese Entscheidung sehr. Vor eineinhalb Jahren gab es noch ein negatives Votum der Glaubenskongregation. Ich habe damals Stellung genommen, dass es darum geht, Liebende zu begleiten und zu segnen. Es hat in den vergangenen 30, 40 Jahren doch eine Änderung in der Haltung der Kirche gegeben.
Der Katechismus hat den Respekt hervorgehoben, Papst Franziskus hat gesagt, wer bin ich, dass ich diese Menschen verurteilen könnte? Die Entwicklung hat sich abgezeichnet. Es geht hier um Menschen mit ihrem Schicksal, mit ihrer Verbindlichkeit, mit ihrer Treue, mit ihrer Liebe. Da ist Gottes Segen wichtig.
Die Segnung ist eine eingeschränkte, sie darf nicht im Rahmen einer Messe vorgenommen werden. Zudem wird betont, dass die kirchliche Lehre, dass Sexualität nur innerhalb einer Ehe vollzogen werden darf, weiterhin Gültigkeit hat.
Natürlich ist die Differenzierung zwischen einer Ehe und einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft ein wichtiges Anliegen des Lehramts. Es ist wichtig, zu sehen, was Segen heißt. Das lateinische Wort dafür ist benedicere, das bedeuten gutheißen.
Positiv beurteilen.
Ja dazu zu sagen, dass diese Verbindung auch im Angesicht Gottes leben kann. Es gilt für heterogeschlechtliche Paare und gleichgeschlechtliche Orientierte, dass man in der Ehe und in der Partnerschaft differenzieren muss. Es geht nicht um eine abstrakte Sexualität, sondern eine in Treue, Liebe und Verantwortung gelebte.
Die Kirche meint, Sexualität sollte nur im Rahmen der Ehe stattfinden. Aber die gesellschaftlichen Realitäten sind ja völlig andere. Ist diese Position nicht überholt? Anstelle von genauen Vorgaben könnte die Kirche ja auch von einem verantwortlichen Umgang miteinander reden.
Das ist im Grunde die Position der Kirche. Ich glaube nicht, dass es überholt ist, dass man Sexualität an Verantwortung und Liebe bindet. Es gibt ja innerhalb der Sexualität gestufte Formen der Intensität und Ausdrucksformen.
In manchen Bereichen haben wir gesellschaftlich eine viel rigorosere Sexualmoral als vor 50 Jahren.
Wo zum Beispiel?
Bei sexuellen Belästigungen, die früher ganz anders beurteilt worden sind. Da ist man viel klarer geworden. Es hat eine ganz starke Entwicklung gegeben, was Würde und Unverfügbarkeit bedeuten. Ein Teil der negativen Entwicklung ist in das Internet abgewandert und geistert dort völlig unkontrolliert herum. Sexualität ist ein Bereich der Lust und Freude, aber auch ein höchst vulnerabler, verletzlicher Bereich. Intimität ist höchst verwundbar.
Sie haben vor einer Woche Ihr 20-jähriges Jubiläum als Bischof gefeiert. Sie prägen einerseits das Amt, aber andererseits prägt das Amt auch Sie. Wie haben Sie sich geändert?
Jeder durchlebt Entwicklungen. Ich präge als Bischof das Amt, andererseits bin ich als Bischof auch so etwas wie eine kooperative amtliche Person. Es sind Erwartungen, manchmal auch Projektionen bei Dingen da, die ich zu tun habe. Ich bin sozusagen Kirche am Ort. Das ist einerseits eine Bereicherung, weil ich in Bereichen zu tun habe, was vorher in den anderen Aufgaben nicht möglich war. Ich komme zum Beispiel viel in Gefängnisse. Mit Journalisten hatte ich früher auch nicht so viel zu tun.
Das kann ja durchaus eine zwiespältige Erfahrung sein.
(lacht).
Kalt-warm.
Das habe ich aber nicht gesagt (lacht). Oder der Bereich Kunst und Öffentlichkeit. Das sind auch Bereicherungen. Auf der anderen Seite habe ich bestimmte Formen der intensiveren Auseinandersetzung, wie ich sie früher als Spiritual, als geistlicher Begleiter gehabt habe, oder als Lehrer der Theologie jetzt nicht mehr.
Notwendige Strukturreformen erzeugen keine Lustgefühle. Aber wenn man sie nicht macht, fällt man auf die Nase.
Es gibt Notwendigkeiten, die mit dem Amt verbunden sind.
Natürlich werde ich körperlich älter. Es sind Ermüdungserscheinungen da, in manchen Bereichen bin ich verbraucht. Die Vitalität und Kreativität des Denkens lässt auch schon nach.
Sie sind sehr selbstkritisch.
Ich weiß, wovon ich spreche. Ich stecke in der Arbeit drinnen. Das ist manchmal nicht gesund. Bei der Psychohygiene des Amtes braucht es sicher ein starkes Einlassen und Engagement, es bräuchte aber sicher auch Freiräume und Distanz, ein sich Herausnehmen.
Die Zeit dafür werden Sie nicht haben.
Dafür habe ich zu wenig Zeit. Die Regenerationsphasen, die ich habe, benötige ich für das Ausschlafen. Es ist oft ein defensives Abarbeiten von dem, was daherkommt. Und weniger das Proaktive.
Sind Sie gütiger und nachsichtiger geworden?
Ich merke, dass es viele Kompromisse braucht, viele Gespräche und dass es oft trotzdem nicht mehr geht. Ich habe den Eindruck, dass die Bereitschaft aufeinander zu hören, und die Fähigkeit, etwas Gutes in der Position des anderen zu entdecken, ausbaufähig ist.
Sind Sie mit sich selbst zufrieden?
Zufriedenheit heißt, mit den ganzen Konstellationen zufrieden zu sein. Nein, das bin ich nicht immer. Ich hoffe schon, dass ich wieder eine innere Freiheit gewinne, und damit auch einen Frieden. Das bewahrt mich aber nicht davor, dass mich die Dinge auch in die Nacht hinein verfolgen und beschäftigen.
Bis Sie eine Lösung finden.
Eine Lösung, die es dann nicht gibt. Wir sind in vielen Bereichen zu sehr lösungsorientiert. Das funktioniert in der Mathematik ab und zu, im wirklichen Leben nicht ganz so. (lacht)
Man muss manche Dinge einfach akzeptieren und damit leben lernen.
Sie verändern sich dann schon auch. Bei meinem ersten Gespräch mit dem damaligen Kardinal Joseph Ratzinger hat er mir vor 20 Jahren klare Aufträge als neu ernannter Bischof von Tirol mitgegeben. Zwei Jahre später hat er als Papst mich beim Ad-limina-Besuch gefragt, wie ich das gelöst habe. Er hatte ein sagenhaftes Gedächtnis.
Aber die Dinge lassen sich oft nicht so einfach regeln. Man kann Entscheidungen treffen, aber damit sind die Dinge nicht aus der Welt. Es ist keine einfache Lösung, wie etwa Versöhnung geschieht. Oder wie Heilung von Verletzungen erfolgt. Wie kommt es zu einem Aufbruch? Man muss sich fragen, wie viele bleiben bei Lösungen zurück? Insofern bin ich beim Wort Lösung skeptisch.
Die Weltsynode hat zu allen möglichen Themen drei Wochen im Vatikan getagt. Es war erstmalig, dass die Teilnehmer in Form von Zwölfer-Tischen diskutiert haben und dass Frauen und Laien eingeladen waren. Im Herbst 2024 soll es eine Fortsetzung geben. Die Erwartungshaltungen waren sehr groß, dass es in manchen Bereichen zu Entscheidungen kommt, zum Beispiel in der Frauenfrage. Wie beurteilen Sie die Synode?
Die Synode war der Versuch, Synodalität als Grundhaltung als Weg der Kirche auf allen Ebenen einzuüben. Es war der Auftrag, sich auf allen Ebenen zu beteiligen und auf einander zu hören. Auch miteinander zu unterscheiden.
Das Prinzip Synodalität allein ist noch nicht Kirche. In der gegenwärtigen Phase, wo in der Kirche viel den Bach runtergeht, ist das mit einem Neuanfang, mit einem Aufbruch, mit Geburt zu verbinden. Wozu ist Kirche da? Nicht für sich selber, nicht für die eigenen Strukturen. Das ist das zentrale Anliegen von Franziskus seit seinem Amtsantritt 2013.
Nicht im eigenen Brei zu schmoren, nicht narzisstisch das eigene Spiegelbild zu sehen, nicht die eigenen Probleme anzubeten, sondern den Weg Jesu zu gehen, dass die Menschen mehr zu Gott finden und liebender miteinander umgehen. Das ist die Kurzzusammenfassung des Anliegens des II. Vatikanischen Konzils. Dass mehr Hoffnung und Liebe in die Welt kommt. Dazu wären wir da.
Da gibt es nach wie vor eine große Ungleichzeitigkeit, was die Erwartungen betrifft und was man selbst einzubringen bereit ist. Das ist teilweise ein Spiegelbild dessen, was sich in der Gesellschaft tut. Das Bild ist vielfältig, heterogen, widersprüchlich, man lebt aneinander vorbei, man kann oder will nicht mehr miteinander.
Man muss dem Papst zugutehalten, dass er versucht, das Ganze zusammenzuhalten. Auch wenn die Bereitschaft einzelner Flügel, die anderen mitzunehmen, oft sehr beschränkt ist. Die einen sagen, das ist nicht mehr katholisch, die anderen sagen, mit denen geht das überhaupt nicht mehr.
Es zeigen sich zurzeit sehr unterschiedliche Entwicklungen. Das zusammenzubringen, wird uns beschränkt gelingen. Ich kann nicht sagen, dass das bei der Synode 2024 ganz super wird, aber ich hoffe schon auf sehr konkrete Ergebnisse.
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