Andrea Taschl-Erber: Maria von Magdala, ihr habe ich sehr viel Forschungszeit gewidmet.
Warum?
Sie ist die erste Zeugin des Auferstandenen. Sie ist eine wichtige Figur für die Entstehung des Christentums. Sie kommt in allen vier Evangelien vor, das ist sonst nur bei Maria, der Mutter Jesu, der Fall. Sie ist beim Kreuz, sie ist die Erste, die am Ostermorgen zum Grab kommt, sie ist die Erste, die die Auferstehung bezeugt. Sie ist eine wichtige Figur, hat dann aber eine besondere Auslegungsgeschichte erfahren, denn sie ist im allgemeinen Bewusstsein nicht die erste Apostelin geblieben, sondern zur Sünderin abgestempelt worden, was im Widerspruch zur biblischen Biografie steht.
Was ist ihre tatsächliche biblische Biografie?
Eine tatsächliche Biografie in dem Sinn gibt es keine, denn im Zentrum der Evangelien steht Jesus. Ihre wichtigste Rolle erhält sie am Ostermorgen. Im Johannesevangelium ist sie die Erste, die dem Auferstandenen begegnet. Sie ist eine der Jüngerinnen, die Jesus von Anfang an begleiten, wie das Lukasevangelium auch im Erzählverlauf hervorhebt.
Wie darf man das Naheverhältnis zu Jesus beschreiben?
Eine Nachfolgerin, die von Anfang an dabei ist. Wir wissen nicht sehr viel. Sie hat den Beinamen Magdalena, dieser dürfte von der Stadt Magdala stammen. Sie wird interessanterweise über den Herkunftsort vorgestellt, aber nicht über einen Mann, der sie in der antiken patriarchalen Gesellschaft öffentlich-rechtlich vertreten hätte.
Warum wurde sie zur Sünderin abgestempelt?
Es gibt mehrere Faktoren. Sie wird mit dem Salbgefäß dargestellt. Die Frauen kommen am Ostermorgen zum Grab, um Jesus zu salben. Dann gibt es im Lukasevangelium eine Sünderin, die Jesus gesalbt hat. Diese Sünderin hat keinen Namen, taucht auf in Lukas 7, in Lukas 8 ist die Rede von Maria Magdalena, insbesondere wegen ihrer sieben Dämonen, von denen Lukas erzählt, werden die beiden Frauen fälschlicherweise in eins gesetzt.
Dann gibt es im Johannesevangelium auch eine Maria, die Jesus salbt. Wenn man das alles zusammentut, eine Maria, eine Sünderin, Maria Magdalena, die auch eine Salbende ist, dann kommt es zu dieser Vermischung.
Warum wird ausgerechnet sie zur Sünderin?
Die Rolle als Erstbeauftragte ist natürlich in der damaligen Zeit schon eine subversive Frauenrolle. Sie erhält als Erste einen Verkündigungsauftrag und das ist es, was eine Apostelin ausmacht. Sie ist die erste österliche Gesandte. Sie bekommt in der Tradition auch den Titel apostola apostolorum.
Gibt es neben Maria von Magdala auch noch anderen Frauen?
Sie steht im Vordergrund einer Jüngerinnengruppe. Sie ist in fast allen Listen die Erste. Wenn man in den Römerbrief des Paulus schaut, finden wir am Ende eine Grußliste. Hier tauchen zu 30 Prozent Frauen auf. Die Erste, die da genannt wird, ist Phöbe. Sie wird als „diakonos“ vorgestellt.
Als Diakonin.
Eigentlich kann man das griechische Wort als Diakonin übersetzen. Viele Übersetzungen haben aber einfach nur „Dienerin“. Der männliche Begriff diakonos sieht nach einer Funktions- oder Amtsbezeichnung aus, dass sie in der Gemeinde Kenchreä bei Korinth eine Leitungsfunktion gehabt hat. Phöbe ist mit dem Brief von Paulus nach Rom gereist und hat ihn überbracht.
Jene, die sich für das Frauendiakonat aussprechen, können sich auf diese Diakonin berufen?
Ja. Wir wissen aber nicht genau, was in den 50-er Jahren des ersten Jahrhunderts „diakonos“ genau bedeutet. Es gibt noch nicht diese Weihen und Ämter, die wir heute kennen. Wir wissen aber, dass Frauen Leitungsfunktionen gehabt haben.
Jene, die Frauen Führungsfunktionen verweigern, berufen sich darauf, dass Jesus nur Männer zu Aposteln berufen hat.
Maria von Magdala hat die Rolle einer Gesandten, einer Apostelin. Aber sie wird in den Evangelien nicht als Apostelin bezeichnet, diesen Titel bekommt sie in der Tradition. Allerdings haben wir mit Junia eine Frau, die Apostelin genannt wird. Sie ist in der Auslegungsgeschichte zu einem Mann geworden, dem Junias, weil man sich im Mittelalter nicht mehr vorstellen konnte, dass eine Frau als Apostelin tituliert wird. In der Grußliste des Römerbriefs wird ein Andronikus und eine Junia genannt, möglicherweise ist das ein missionierendes Ehepaar, die als „hervorragend unter den Aposteln“ bezeichnet werden.
In meinem Beitrag im kürzlich erschienenen Band „Ist die Bibel frauenfeindlich?“, herausgegeben von Agnethe Siquans und Sigrid Eder, haben die Frage „Nur männliche Apostel?“ negativ beantwortet. Es gibt auch Frauen als Apostelinnen im frühen Christentum.
Die Gesellschaft vor 2000 Jahren war wesentlich patriarchaler als heute.
Das heißt aber nicht, dass Frauen nicht Leitungsfunktionen übernehmen konnten, insbesondere wenn sie über Häuser und Vermögen verfügt haben. Sie haben ihre Häuser für sich versammelnde Gemeinden zur Verfügung gestellt. Und sie haben so eine Hausgemeinde auch geleitet. Hier kann man zum Beispiel an Lydia in der Apostelgeschichte denken. Auch auch Prisca, ebenfalls unter den Gegrüßten im Römerbrief, hat mehrere Hausgemeinden gegründet.
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