Anneliese Ratzenöck: „Es ist mir sehr schwergefallen, Hilfe anzunehmen“

Anneliese und Josef Ratzenböck in ihrem Haus in Neukirchen
Anneliese Ratzenböck hat am Freitag ihren 91. Geburtstag gefeiert. Sie sorgt sich um ihren Mann Josef „Pepi“, Ratzenböck, der inzwischen 96 Jahre alt ist und in seinen Jahren als Landeshauptmann (1977 bis 1995) das Land geprägt hat. Anneliese Ratzenböck hat die Kopftuch- und Goldhaubengruppe zu neuer Blüte geführt. Sie war sozial engagiert, unter anderem als Obfrau der Freunde der Caritas. Das Gespräch wurde im Gartenhaus der Ratzenböcks in Neukirchen am Wald geführt, wo sich die beiden in den drei Sommermonaten aufhalten. Beide sind Neukirchner, haben zwei Kinder, vier Enkel- und vier Urenkelkinder.
KURIER: Wie geht es Ihnen?
Anneliese Ratzenböck: Mir geht es gut. Ich bin sehr zufrieden, auch mit unserer derzeitigen Lebenssituation. Sie ist sehr konträr zu der früheren. Die sozialen Kontakte reißen ab, obwohl wir sehr gute Freunde haben, die nach wie vor kommen. Auch die Kinder schauen sich sehr um uns um. Ein sehr gutes Gefühl ist auch, dass wir eine angeheiratete Enkelin als Hausärztin haben. So wundern wir uns selber wieder, dass wir so ungeheuer alt geworden sind. Ohne dass wir es gewünscht oder bemerkt haben. Auf einmal sind wir uralt geworden.
Wie macht sich das bei Ihnen bemerkbar?
Im Nachlassen der Beweglichkeit und der Kraft. Ich kann verschiedene Dinge nicht mehr heben oder tragen, oder eine Mineralwasserflasche ohne Hilfe mehr aufmachen. Und vergesslich werde ich auch langsam.
Machen Sie nach wie vor den Haushalt?
Ich habe seit zwei Jahren Pflegerinnen. Ich habe Josef sechs Jahre alleine gepflegt, bis zum Zusammenbruch. Es ist mir sehr schwergefallen, Hilfe anzunehmen. Das habe ich lernen müssen. Bevor ich jemandem sage, bitte mach das oder jenes, erledige ich es lieber selbst und rede nicht lange.
Sie kochen nach wie vor?
Ja, das mache ich nach wie vor, damit ich noch gefordert werde. Einkaufen gehe ich gemeinsam mit der Pflegerin, weil ich die Dinge nicht mehr heimtragen kann.
Wie sieht ein normaler Tag aus?
Jeder Tag ist gleich. Ich stehe um 7.30 Uhr auf, Josef wird um 8 Uhr aus dem Bett geholt. Dann frühstücken wir gemeinsam mit der Pflegerin. Josef wird angezogen, er soll dann seine Turnübungen machen, was er nicht gerne tut. Dazu wird er gezwungen, damit die Muskulatur gestärkt wird, denn er hat ein Problem mit dem rechten Bein. Kurze Wege muss er selbst machen. Manchmal dauert das sehr lang, manchmal geht es schneller. Um 12 Uhr ist Mittagessen. Um 13 Uhr sitzen wir beide im Wohnzimmer. Er schläft Gott sei Dank sehr viel, ich schlafe auch manchmal. Ich lese Zeitung und löse sehr gerne Kreuzworträtsel auf.
Gibt es noch andere Hobbys?
Nein. Es fällt mir noch Allerhand ein, was ich noch hätte schreiben sollen, aber das lasse ich bleiben. Josef kann die Zeitung nicht mehr lesen, da speise ich das ein, was wichtig ist. Ich lese ihm das vor oder sage ihm, was los ist. Für mich selbst mache ich wenig. Das ist auch richtig so, denn man soll sich selbst nicht so wichtig nehmen.
Sie sind ganz konzentriert auf ihn, wie schon das gesamte Leben?
Ja. Mein Lebensmotto heißt Josef Ratzenböck.
Schwimmen Sie ab und zu noch im Teich?
Ja, das mache ich. Ich war heuer schon oft Schwimmen, aber ich darf das nicht mehr alleine machen. Sohn Josef ist sehr oft da, er ruft mich an und sagt, Mutti, ich bin beim Teich, Du kannst jederzeit kommen. Das Schwimmen genieße ich sehr.
Was verbinden Sie heute noch mit Neukirchen am Wald, wo Sie aufgewachsen sind?
Unlängst war ich bei einem Begräbnis. In der Kirche habe ich mir gedacht, unendlich viele meiner Leute habe ich hier bei ihrem letzten Gang begleitet, meine Eltern, viele Tanten und Onkeln. Die Polz sind in Neukirchen eine große Sippe gewesen, jetzt sind sie ausgestorben.
Ich genieße die Ruhe und den Garten sehr. Die Wohnung in Linz ist auch nicht laut, aber es ist rundherum Beton und Hitze. Ich arbeite nach wie vor sehr gern im Garten, bin hier aber auch schon ein bisschen eingeschränkt. Meine Wirbelsäule ist nicht die beste.
Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie die Mitmenschen beim letzten Weg begleiten?
Ich habe vielleicht manches versäumt in den persönlichen Gesprächen und Beziehungen. Es waren interessante Leute mit interessanten Lebensläufen. Wenn man jung ist, ist man stark mit sich selbst beschäftigt. Ich war zu wenig interessiert an den Schicksalen meiner Verwandten, auch meiner Eltern. Mein Vater war Kaiserschütze, er hätte so gern von der Italien-Front erzählt. Wenn er damit begonnen hat, haben wir gesagt, um Gottes Willen, das wollen wir alles nicht hören. Ich habe zu wenig zugehört.
Die Welt ist wieder mit Kriegen konfrontiert, Russland gegen die Ukraine, der Krieg zwischen Israel und dem Iran, der Krieg im Gaza-Streifen, die Irritationen durch den US-Präsidenten Donald Trump. Was geht in Ihnen vor, wenn Sie das so erleben?
Ich bekomme ehrlich Angst, wie das auf dieser Welt weitergehen soll. Ich habe Angst vor diesen Kriegen vor der Haustür. Ich habe zwar als Kind den Krieg miterlebt, aber wir waren am Land, das war für mich eine wunderbare Situation. Ich habe es nicht so mitgekommen. Ich hatte schon ein schreckliches Erlebnis in den letzten Kriegstagen. Als wir von der Schule heimgegangenen sind, sind die Tiefflieger mit den Bordwaffen runtergekommen und haben auf uns geschossen. Wir haben die Gesichter der Piloten und die Schusswaffen gesehen.
Die Welt ist so viel kleiner geworden. Wir haben diese beiden furchtbaren Kriege vor der Haustür. Das macht mir auch Angst, für meine Enkel und Urenkel.
Die Situation hat sich etwas verschlechtert im Vergleich zu der vor 30 Jahren?
Ja. Das Feuer ist neu entflammt.
Sie verfügen über reiche Lebenserfahrung. Was würden Sie Jüngeren mitgeben? Was ist wichtig im Leben?
Wichtig ist, dass man ehrlich zu sich selbst und zu anderen ist. Ehrlich zur eigenen Lebenssituation, dass man sie so nimmt, wie man sie empfindet und wie sie einem entgegengebracht wird. Aber Lehren für die Zukunft gebe ich bestimmt keine. Jeder findet eine andere Lebenssituation vor, jeder muss sie auf seine Weise meistern. Ratschläge sind immer auch Schläge.
Was sollen die Menschen einmal über Sie sagen?
Möglichst wenig.
Sie waren in Oberösterreich eine Vorzeigefrau.
Das ist ein Blödsinn. Ich bin das, was man in Oberösterreich eine Gschaftlhuberin nennt. Ich habe mich vielfach eingemischt, aber wenn ich etwas angefangen habe, habe ich es halbwegs gut gemacht, zum Vorteil der betroffenen Menschen. Zum Beispiel die Hinwendung der Goldhaubenfrauen zur sozialen Hilfe. Dass man nicht nur Tracht trägt, sondern auch Hilfe gibt. Sehr viel weitergebracht habe ich auch bei der MS-(Multiple Sklerose)-Hilfe. Hier konnten wir aufgrund eines Spenders Millionen verteilen. Oder auch mit den Projekten der Freunde der Caritas.

Anneliese Ratzenböck im Garten
Wie erleben Sie die Politik?
Sie geht an uns vorüber. Wir sind aber schon sehr zufrieden mit dem jetzigen Bundeskanzler. Wir betrachten ihn beide als Retter der ÖVP. Stocker ist über den eigenen Schatten gesprungen. Wir hoffen, dass sich unsere Gesinnungsgemeinschaft erfängt und wieder einmal jene Position einnehmen kann, die sie einmal hatte. Im Bund und im Land besonders.
Ihr Josef hat 1985 mehr als 52 Prozent gemacht.
Diese Mehrheiten sind vorbei. Es war sehr viel persönlicher Einsatz dabei. Die vielen Sprechtage und die kleinen Hilfsleistungen, dass alles hat sich gerechnet.
Wie sehen Sie das Erstarken der rechtsextremen, nationalen Bewegungen in Europa?
Das ist auch etwas, was einem Angst machen muss. Es ist schrecklich, wenn auch bei uns immer wieder Waffenlager ausgehoben werden. Es ist schrecklich, dass das immer noch im Untergrund gärt und vorhanden ist. Die Leute haben vergessen, was damals alles los gewesen ist.
Haben Sie sich für Ihr Leben noch etwas vorgenommen?
Nein, ich bin mit unserer Situation sehr zufrieden. Ich will das alles noch in Ordnung beenden. Ich will alles noch in der Form, in der wir es noch genießen können, genießen, die Kinder, die Enkelkinder und die gemeinsame Zeit. Wir können das, was wir an Zeit aufgrund des Berufs nicht hatten, jetzt ausgiebig nachholen.
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