Ärztemangel: „Man hat uns nicht ernst genommen“

Oberösterreichs Ärztekammerpräsident Peter Niedermoser
Oberarzt Peter Niedermoser, 57, ist seit 2005 Präsident der Ärztekammer OÖ und Pathologe im Linzer Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern.

KURIER: In einem Interview im Jahr 2012 haben Sie für das Jahr 2020 180 fehlende Fachärzte für Oberösterreich angekündigt. Sind Sie richtig gelegen?

Peter Niedermoser: Die Debatte gibt es ungefähr seit 2008. Eine erste Studie hat 2011 im schlimmsten Fall für die Jahre 2025 bis 2030 für ganz Österreich 7400 und im besten Fall 2800 fehlende Ärztinnen und Ärzte prognostiziert. Wir haben immer davor gewarnt. Uns wurde entgegengehalten, es gibt genügend Ärzte gibt und alles nur ein Verteilungsproblem sei.

Laut OECD hat Österreich mit 5,5 Ärzten auf 1000 Einwohner die zweithöchste Dichte nach Griechenland und die drittmeisten Hausärzte in der EU.

Unsere Gesellschaft hat es gewollt, dass viele Tätigkeiten, die in anderen Ländern andere Berufsgruppen erledigen, bei uns von Ärzten gemacht werden. Ich kann dazu nur meine Geschichte erzählen. Als ich 1990 im Innviertel arbeitete haben noch ausgebildete Krankenschwestern Anästhesie gemacht und ein Arzt hat darüber gewacht. Heute macht das nur der Arzt und das ist gut, weil der dafür richtig ausgebildet ist und er die Gesamtheit des Menschen einschätzen kann. Es sind viele Dinge, wo die Gesellschaft gesagt hat, wir wollen mehr Sicherheit. Heute ist alles viel komplexer geworden, man hat viel mehr Prognosefaktoren, die Untersuchungen sind viel genauer. Darum sind wir mehr geworden. Wir sind nicht mehr Ärzte, weil es so lustig war, sondern weil die Medizin sich weiterentwickelt hat.

Wie sehen die aktuellen Zahlen aus?

Unsere damaligen Prognosen treffen fast zu. Man hat uns nicht ernst genommen. Der schlimmste Fall ist noch nicht eingetreten, weil Ärzte in vielen Spitälern von der Bürokratie teilweise entlastet worden sind. Es gibt Stationsassistentinnen zur Unterstützung, sodass Zeit für für die reine ärztliche Arbeit bleibt. Sowohl im niedergelassenen Bereich als auch in den Krankenanstalten gibt es Bereiche, da haben wir Probleme Junge zu bekommen. Jetzt schlägt der Ärztemangel durch. Derzeit fehlen in Oberösterreich 20 Allgemeinmediziner und fünf Fachärzte. Aber die Pensionswelle kommt auf uns zu. Bei uns arbeiten derzeit 213 Ärztinnen und Ärzte mit Jahrgang 1961. Vom Jahrgang 1971, also heute 47-Jährige, gibt nur mehr 157.

Sozialministerin Hartinger-Klein will mehr Kassenarztplanstellen schaffen und die Honorare für Ärzte im ländlichen Raum erhöhen. Geld ist immer ein gewisser Anreiz, aber nicht der Einzige. Das ist sonst zu kurz gegriffen. Wichtig ist, dass junge Kollegen den Beruf des Allgemeinmediziners kennen lernen, wie er ist. Da hat Oberösterreich eine Vorzeigerolle. Im Rahmen des Klinisch-Praktischen Jahres kann man in anderen Universitätsstädten im Spital oder beim Allgemeinmediziner die Praxis kennenlernen. Bei uns ist es ein Muss beim Allgemeinmediziner gewesen zu sein. Gemeinsam mit der Gebietskrankenkasse, dem Land und der Ärztekammer wurde dazu eine Finanzierung ausgearbeitet. Damit hat der Jungmediziner für seine spätere Berufsentscheidung ein gutes Grundwissen. Das ist sehr positiv.

Welche Maßnahmen gibt es noch?

Wir müssen uns genau ansehen, wo Ärzte fehlen. Dann muss man gemeinsam mit dem Land positive Anreize schaffen. Auch von der Lehrpraxis bei Allgemeinmedizinern nach dem Studium erwarten wir uns viel. In Oberösterreich haben wir ein Supersystem gefunden, das den Jungärzten ermöglicht, daneben noch Dienst in Spitälern leisten zu können. Mittlerweile gibt es über 50 Ärzte, die eine Lehrpraxis anbieten. Wir haben den Hausärztlichen Notdienst organisiert, damit nicht mehr so viele Nachtdienste geleistet werden müssen. Für Kollegen über 65, die weiter arbeiten wollen, gibt es nun den ,Vertragsarzt-light’ mit weniger verpflichtenden Stunden. Wie helfen jungen Kollegen mit Gründerseminaren beim Aufbau der Praxis und vieles mehr. Wir arbeiten wirklich daran, dass wir einen Blumenstrauß an Möglichkeiten schaffen, damit Niederlassung interessant wird.

Wie Allgemeinmediziner sind in Ausbildung? Derzeit haben wir 158. Viele bleiben aber letztendlich doch im Krankenhaus und werden Facharzt.

Kommen wir zur Überlastung der Ärzte. Ist der Österreicher wehleidig. Laufen wir zu oft zu unserem Doktor?

Der Österreicher wurde durch die gute Medizin sehr verwöhnt. Er hat verlernt darauf zu achten mit diesem hohen Gut Gesundheitsversorgung vorsichtig umzugehen. Man muss wegen eines Zeckenbisses nicht gleich ein Krankenhaus aufsuchen. Man kann das System nicht immer bis zum Anschlag ausnützen. Das wird das System nicht aushalten.

Man müsste also mehr Bewusstsein schaffen? Wir haben verabsäumt den Menschen in den letzten 30 Jahren das Bewusstsein zu geben und zu sagen, das kostet alles sehr viel Geld. Geht mit dieser Ressource sorgsam um, schaut dass ihr gesund lebt!

Wie stehen Sie zu den Primärversorgungseinheiten (PVE), von denen es schon vier gibt?

Die bis 2021 insgesamt 13 geplanten Standorte sind von Land, Ärztekammer und Krankenkasse als gut geeignete Standorte definiert, sodass sich junge Kollegen darauf einstellen können. Da ist viel möglich. Es kann verschiedene Formen von Zusammenschlüssen in eigenen Gebäuden oder in Netzwerken geben. PVE sind ein Teil der Versorgung der Zukunft. Wichtig ist, dass man die Ärzte dafür begeistert, dass sie diesen Weg gehen. Wir wollen ihnen aber nichts aufoktroyieren.

Sie sind immer gegen die Kassenzusammenlegung aufgetreten. Jetzt kommt sie doch, wie stehen Sie dazu?

Die durch die Fusion angekündigte Einsparung von einer Milliarde Euro wird es nicht geben. Wer das behauptet, hat die Grundrechenarten in der Volksschule nicht gelernt. Ich bin überzeugt, dass durch die Österreichische Gesundheitskasse die Regionalität in der Gesundheitsplanung verloren geht. In Oberösterreich haben die Partner Land, Krankenkasse und Ärztekammer so viele innovative Modelle geschaffen. Das wird dann nicht mehr umsetzbar sein. Ich werde das kritisieren und aufzeigen. Sollte sich etwas verbessern, werde ich aber auch loben.

Hat es in Oberösterreich fingierte Patientenbesuche zur Kontrolle der Ärzte gegeben?

Nein, das hat es bei uns nie gegeben. Das haben wir mit mit der Krankenkasse partnerschaftlich ausverhandelt. Darum fürchte ich die Österreichische Gesundheitskasse. Weil auf die Regionen zugeschnitzte Regelungen dann nicht mehr gelten werden.

In der Steiermark und in Salzburg sind die Masern ausgebrochen. Wie stehen sie zu einer Impfpflicht?

Ich bin klar für eine Impfpflicht. Die Medizin hat zwei Quantensprünge gemacht. Einmal durch die Einführung der Hygiene im 19. Jahrhundert und durch das Impfen. Da geht es nicht um das Recht des Einzelnen, sondern um das Recht der Gemeinschaft vor solchen Dingen geschützt zu werden.

Sind in Oberösterreich Masernfälle aufgetreten? Mir ist kein Fall bekannt. Ich unterstütze Landesrätin Christine Haberlander voll bei ihrer Forderung nach der Impfpflicht.

Zur Saison passend: Im Vorjahr haben Sie gefordert, dass es nach privaten Skiunfällen für die Verletzten Alko-Tests gibt. Stehen sie weiter dazu?

Ja. Auf den Pisten zu trinken ist schwer fahrlässig, ich verstehe diese Menschen gar nicht. Nur für meinen Spaß andere Menschen in Lebensgefahr zu bringen, ist für mich völlig unakzeptabel.

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