„Abnehmspritzen im Kampf gegen das Übergewicht“
Martin Clodi ist Universitätsprofessor und Primar der Internen Abteilung der Barmherzigen Brüder in Linz. Er ist Präsident der Österreichischen Diabetes-Gesellschaft und Mitglied des Obersten Sanitätsrates.
KURIER: Die Abnehmspritze Wegovy, mit der man laut Studien 15 bis 17 Prozent des Gewichts verliert, kommt nun Ende Juli in Deutschland auf den Markt. In Österreich ist es zugelassen, aber noch nicht verfügbar. Welche Vorteile bietet dieses Medikament?
Martin Clodi: Der Inhaltsstoff ist Semaglutid. Es ist auch im Medikament Ozempic enthalten. Das ist ja in aller Munde, auch Elon Musk und Kim Kardashian spritzen es zum Gewicht abnehmen.
Ozempic ist auch bei uns verfügbar.
Ja, es ist bei uns verfügbar, es muss aber vom Arzt verschrieben werden. Wegovy enthält 2,4 Milligramm des Semaglutid, Ozempic ein Milligramm. Das heißt, man könnte zweimal ein Milligramm spritzen, dann ist man dort, wo Wegovy ist. Bei der Firma Elli Lilly gibt es das Medikament Mounjaro, das auch zugelassen ist, aber nicht verfügbar ist, weil die Amerikaner alles wegkaufen.
Das Interessante ist, dass Ozempic in den USA 900 Dollar kostet, der hiesige Kassenpreis liegt bei einem Milligramm bei 143 Euro.
Wegovy kostet in den USA 1300 Dollar.
Bei uns wird es viel billiger sein. Es ist zugelassen für Adipositas, aber es wird von den Krankenkassen in Österreich nicht erstattet. Es wird hier noch gar kein Medikament unter dem Stichwort Adipositas (Body-Mass-Index von über 30) erstattet. Die Krankenkassen haben wahrscheinlich Angst vor den Kosten, weil 20 Prozent der Bevölkerung adipös sind.
Bei einem Index von 25 bis 30 reden wir von Übergewicht. Da ist es genauso wirksam.
Ozempic wird gegen Diabetes verschrieben.
Ja, gegen Diabetes. Es sind tolle Präparate. Die Inhaltsstoffe sind GLP1-Hormone, die der Darm produziert, wenn wir etwas essen. Sie sind dafür verantwortlich, dass vermehrt Insulin freigesetzt wird. Die zweite Hauptwirkung ist, dass im Gehirn das Appetitzentrum beeinflusst wird. Wenn der Appetit reduziert wird, isst man weniger.
Gewichtszu- und -abnahme geht immer über die Anzahl der Kalorien, die man isst. Wenn man zum Beispiel in einer Woche oder in einem Monat zwischen 7000 und 9000 Kalorien weniger isst, als man verbraucht, nimmt man ein Kilogramm Fett ab. Misst man das Gewicht, sollte man sich einmal in der Woche auf die Waage stellen, immer am selben Tag und zur selben Zeit.
Die Abnehmspritzen zeigen auch Nebenwirkungen, wie zum Beispiel Übelkeit.
Wenn man weniger Appetit hat, isst man weniger und nimmt ab. Wenn man die Abnehmspritzen nimmt, kommen anfänglich Unwohlsein, Übelkeit, Durchfall etc. dazu, die im Lauf der Zeit weniger werden. Das macht aber auch einen Teil des schnellen Abnahmeerfolgs am Anfang aus.
Wir empfehlen eine Abnahme von ein bis zwei Kilogramm pro Monat. Wenn man Gewicht abnimmt, sollte man immer auch Krafttraining machen, denn das Erste, das man verliert, sind Muskeln. Muskeln bestehen aus Eiweiß, und der Körper liebt Eiweiß, weil es schnell abzubauen ist. Eine Abnahme auf Kosten der Muskulatur ist schlecht, wir brauchen die Muskeln, sie verstoffwechseln den Zucker. Je älter man wird, desto schwerer ist es, den Muskel wieder aufzubauen.
Sind Wegovy und Ozempic effektive Mittel zur Bekämpfung von Diabetes?
Man kann es nicht ganz so sagen. Diabetes selbst ist eine genetisch festgelegt Erkrankung. Das heißt, wenn sie in den Genen ist, ist die Erkrankung da. Das, was man verhindern kann, ist der Ausbruch der Erkrankung. Je schwerer man ist, desto mehr schlechte Substanzen produziert das Fett, das man zu viel mit sich herumträgt.
Diese schlechten Substanzen wirken gegen das Insulin. Das Insulin senkt den Zucker, alle anderen wirken gegen das Insulin. Darum werden die Blutzuckerwerte höher und man bekommt den Diabetes.
Semaglutid führt nach dem Essen zu einer Freisetzung von Insulin. Es führt also nicht nur durch die Gewichtsabnahme zu einer Verbesserung, sondern es wirkt auch direkt auf den Insulinspiegel.
Mit dem Spritzen allein ist es ja nicht getan. Das Essen sollte umgestellt und sportliche Aktivitäten gesetzt werden.
Sofern das geht. Anfangs ist das oft schwer, wenn einem übel ist. Das Wichtigste ist Bewegung zu machen. Es heißt immer, der Zucker bringt uns alle um. Zucker selbst ist an sich nicht böse, im Gegenteil. Unser gesamter Körper verwendet Zucker als Energiesubstanz. Wir brauchen ihn. Wenn wir die Ernährung richtig zusammenstellen, ist sogar die Hälfte dessen, was wir essen sollen, aus Zucker.
Die Kohlenhydrate sind Zucker, die Nudeln, die Kartoffel, die Pizza etc. bestehen aus Zucker. Selbst das Stück Zucker ist kein Gift, sondern wie Paracelsus schon gesagt hat, die Menge macht’s. Wenn wir zu viel Zucker essen, sind das zu viel Kalorien und wird in Fett abgelagert.
Man soll immer mit Bewegung beginnen und sich richtig ernähren. Mediterrane Kost. Man sollte keine gezuckerten Getränke trinken.
Lars Fruergaard Jorgensen, Vorstandsvorsitzender der Pharmafirma Novo Nordisk, die Wegovy herstellt, sagt, dass Abnehmen nicht nur eine Frage des Willens ist, denn wenn man weniger isst, verbrennt der Körper auch weniger Kalorien, um sein Körpergewicht zu halten. Und im Alter sei Abnehmen noch schwieriger.
Abnehmen ist im Grunde schon eine Frage des Willens. Wenn jemand Abnehmen will, nimmt er ab. Weil er dann einfach weniger Kalorien zuführt, als er verbraucht. Die Voraussetzung sollte immer körperliche Aktivität sein.
Oft geht das nicht, gerade im Alter, wenn zum Beispiel die Hüfte oder andere Dinge schmerzen. Zudem wird der Stoffwechsel im Alter langsamer. Je älter man wird, umso schwerer wird man. Man verbraucht weniger Kalorien und es dauert alles länger.
Es hat sich der Trend herauskristallisiert, dass sich Menschen Wegovy oder Ozempic kaufen, einfach um abzunehmen, und keine medizinischen Faktoren vorliegen.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat Adipositas als chronische Krankheit eingestuft. Adipositas ist der größte Treiber der Herzinsuffizienz, von Skeletterkrankungen, Krebserkrankungen und vielen anderen Erkrankungen. In unserer Jugend war vielleicht einer im öffentlichen Schwimmbad übergewichtig, heute sind es zehn, 15 oder 20 Prozent. Das ist nicht die Genetik geschuldet, das ist ganz klar ein gesellschaftliches Problem.
Wenn man die chronische Krankheit Adipositas bekämpft, kann man auch den Ausbruch von Diabetes verhindern, den Ausbruch von Herzinsuffizienz, von Karzinomen, Gelenkserkrankungen, etc.. Die psychische Komponente möchte ich gar nicht besprechen, wie viel besser es den Menschen geht, wenn sie leichter durchs Leben gehen.
Der Einsatz von Abnehmspritzen ist kein Trend, sondern eine Therapie eines krankhaften Zustandes, für den nicht jeder etwas dafür kann. Da ist die Gesellschaft, da ist der Überfluss, der Bewegungsmangel, verursacht von der Rolltreppe bis zum Auto.
Ist der Trend, die beiden Spritzen problemlos zur Gewichtsabnahme zu verwenden, kein Problem?
Es bleibt dabei, dass es ein verschreibungspflichtiges Medikament gegen Diabetes ist, auch wenn es mit der körpereignen Substanz fast identisch ist. Man sollte den Einsatz genauestens mit einer Ärztin bzw. mit einem Arzt besprechen. Den Trend zum Abnehmen hat es immer schon gegeben, es gab nur diese Substanz nicht. Mit den neuen Medikamenten ist es effektiv, Gewicht zu reduzieren.
Gibt es neben dem Schlechtwerden weitere Nebenwirkungen?
Es gibt nicht wirklich bekannte andere Nebenwirkungen. Es gibt möglicherweise ein Signal für Gallensteine und für Pankreasentzündungen. In der einen Studie kommt das ein bisschen vor, in der anderen Studie ist das wieder weggewischt. Es ist das ein bisschen eine offene Sache.
Es gibt erste Daten, die zeigen, dass es vielleicht nicht gut ist, wenn man zu schnell Gewicht verliert. Aber wahrscheinlich überwiegt die Gewichtsabnahme alles andere.
Die Erkrankungen an Diabetes nehmen dramatisch zu.
Diabetes nimmt im internationalen Schnitt um fünf bis zehn Prozent im Jahr zu. In Österreich wurde 2020 erhoben, dass 8,3 bis 9,8 Prozent der Bevölkerung an Typ-2-Diabetes leiden. Die Menschen werden schwerer und älter.
Die Zunahme ist bedenklich.
Sie ist enorm bedenklich. Die Zunahme bei den Adipösen ist noch viel bedenklicher. Adipositas hat sich seit 1975 in Europa verdreifacht. Das war bisher nicht so im Fokus. Das ist eine unheimlich gefährliche Erkrankung. Die Zunahme an Herzinsuffizienzen ist hauptsächlich getriggert durch Adipositas. Die genauen Ursachen wissen wir nicht.
Ein Herz muss bei jemandem, der 20 Kilogramm zu viel hat, ein zehnjähriges Kind mitversorgen. Das Übergewicht ist auch für die Gelenke anstrengend.
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