Studie zum Südbahnausbau: Das Leben entlang der Trasse
Es ist Herbst 2035. Seit Kurzem fährt die Südbahn auf vier Gleisen Richtung Wien. Pendeln war noch nie so schnell – wenn man mal beim Bahnhof ist. Dort muss man nämlich sehr früh sein, um noch einen der begehrten Park-&-Ride-Plätze zu bekommen. Am Weg dorthin: Stau durch enge Gassen, Autos kreisen durch kleine Ortschaften, auf der Suche nach einer Parklücke halbwegs in S-Bahn-Nähe.
Anderes Szenario: Dank gut gelegener Rad- und Fußwege ist der Weg zum nächsten Bahnhof ein Katzensprung. Bei Schlechtwetter kann man auf Car-Sharing ausweichen. Supermarkt und Fitnessstudio sind gleich nebenan, sogar ein Spaziergang im Grünen geht sich aus. Das Auto hat somit schon länger ausgedient.
Welche dieser beiden Visionen der Realität näher kommen wird, ist unklar. Fakt ist jedoch, dass der geplante viergleisige Ausbau der Südbahn große Veränderungen in eine Region bringt, die historisch bedingt auf die Nutzung eines oder mehrerer Autos baut. Alleine im Bezirk Mödling kommen 683 Pkw auf 1.000 Einwohner.
Studierende der Abteilungen Verkehrsplanung, Städtebau und Landschaftsarchitektur der TU Wien erforschen daher aktuell, welche Chancen sich mit dem Bahnausbau für die Anrainergemeinden Perchtoldsdorf, Brunn am Gebirge, Maria Enzersdorf und Mödling ergeben.
Parken am Supermarkt
„Wie sieht zum Beispiel das Umfeld der Haltestellen aus und wie könnte das künftig sein. Wie sind die Haltestellen erreichbar“, erklärt Projektleiter Sebastian Sattlegger vom Forschungsbereich Städtebau. Die Befürchtung der Experten ist, dass die Gegenden rund um die Bahnstationen zwar begehrte Wohngebiete werden – aber die Menschen dennoch ihre Alltagswege mit dem Pkw wahrnehmen; also trotz Öffi-Ausbau der Verkehr nicht abnimmt. Warum? Weil die Infrastruktur stark autozentriert gestaltet ist, erklärt Sattlegger. „Die Frage ist also, wie gestalte ich die Umgebung so, dass man auf das Auto verzichten kann.“
Dazu gibt es bereit Ideen. Für die Forscher ist der flächendeckende Ausbau der Fuß- und Radwege einer der wichtigsten Punkte. Entlang der Südbahnstrecke soll ein Radhighway nach Wien führen. Doch auch die lokalen Wegenetze, meint der Projektleiter, müssten gut an diesen andocken. Und Micromobilität oder Car-Sharing-Angebote müssten gestärkt werden. Zudem sollte es Ziel sein, dass sich Geschäfte, Poststellen, Freizeiteinrichtungen, Sportflächen sowie soziale Infrastruktur ebenfalls in der Gegend rund um die Trasse ansiedeln.
Künftig könnten bereits versiegelte Flächen also doppelt genutzt werden. In Mödling etwa, wo ein großes Areal neben der Bahn derzeit nur fürs Parken reserviert ist, könnten Geschäfte errichtet werden. Geparkt wird dann oben auf. „Unser Ansatz ist schon, zu versuchen, Parkraum zu reduzieren, weil er Verkehr anzieht“, betont Sattlegger. „Ein Haltestellen-Umfeld, das von Parkplätzen geprägt ist, ist nicht attraktiv.“
Der Bau der Trasse und der Haltestellen ist also nur die halbe Miete. „Es ist wichtig, die begleitende Infrastrukturplanung mit der Freiraumplanung und der baulichen Entwicklung zu verknüpfen“, so der Forscher. Hierbei wollen die Experten der TU die Gemeinden unterstütz. Eine enge Abstimmung der Kommunen in der Region sei jedenfalls wichtig.
Pendler
Schon jetzt verkehren an Werktagen 400 Züge zwischen Mödling und Wien-Meidling. 60 Prozent aller Wien-Pendler kommen aus dem Süden Wiens. Nur 20 Prozent fahren aber mit den öffentlichen Verkehrsmitteln.
Motorisierung
Im Vorjahr kamen im Bezirk Mödling 683 Pkw auf 1.000 Einwohner. Trotz der Nähe zur Südbahn ist der Motorisierungsgrad recht hoch.
Lebensqualität
Das geplante Megaprojekt sorgt bereits jetzt für große Aufregung. Drei Initiative machen gegen den Ausbau mobil, sie fürchten um die Natur und Lebensqualität. Die Studierenden legen daher großes Augenmerk darauf, wie sich die Grätzel künftig positiv verändern können. So könnte das Gewerbegebiet rund um den Bahnhof Perchtoldsdorf stärker als Stadtraum genutzt werden. Andererseits, so Sattlegger, müsse darauf geachtet werden, dass unbebaute Flächen, Grün- und Freiräume erhalten bleiben. Sie könnten zu (Ball-)Spielplätzen, Parks und naturbelassenen Flächen werden.
Wichtig sei es auch, jetzt zu überlegen, ob es ausreichend Querungsmöglichkeiten geben wird, sagt der Experte. Und ob die geplanten Unterführungen so gestaltet werden, dass sie nicht zu Angsträumen mutieren. Auch hier wollen die Studierenden hinschauen. Ob Ideen umgesetzt werden, soll sich nächstes Jahr zeigen.
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