„Manche haben geglaubt, der baut da eine Kirche“, sagt Mike Nährer in der Küche seines Gasthauses, während er eine stattliche Schnitte Wels in der Pfanne hin und her schubst. Das war schon eine dorferweckende Geschichte für die offiziell 148 Einwohner von Rassing an der Perschling, als 2023 der Bau dieser Halle begann. So sieht doch kein Gasthaus aus. Und doch ist es eines, noch dazu ein bemerkenswertes.
Nährer hat mit Glasfronten viel Licht in den Raum gelockt, worüber sich das helle Holz sehr freut. Und die Glasballons entlang der Fensterbänke auch. In denen reifen Liköre, Säfte und ein selbst angesetzter Wermut der Sonne entgegen: Letzterer prägt den Traisentaler Negroni des Hauses.
In der stählern blitzenden neuen Küche dreht Nährer, 43, noch einmal den Wels in der Pfanne um und erzählt seine Geschichte, allerdings anders herum, so wie die des Benjamin Button von Frederic Scott Fitzgerald. Am Schluss wird er als kleines Kind auf das Christkind warten, aber das kommt noch.
Die Wiederkehr des Haustrunks
Im Herbst 2023 ist das neue Gasthaus fertig. Es steht gleich gegenüber vom elterlichen Gasthof und hat viel mehr Spielraum als das in die Jahre gekommene Stammhaus: Es gibt Gastkoch-Auftritte, Ausstellungen und Konzerte. „Der Nino aus Wien war auch schon da.“
Jetzt ist der Wels – übrigens aus einer Aquaponik-Anlage im Dorf, in der Gemüse und Fisch in Symbiose gezüchtet werden – fertig, mit einer Textur zum Niederknien, saftig, und bis auf einen glasigen Kern ohne Aggression durchgebraten. Der Koch richtet ihn auf roten Rüben und raffiniertem Semmelkren mit teils noch knusprigen Bröseln an. Der Fisch ist ein Stammgast auf der Speisekarte, wie auch das Wildbeuschel mit Innereien von Reh, Hirsch und Wildschwein, weshalb es praktisch immer verfügbar ist.
Dazu serviert Nährer seit 2019 Weine aus eigenem Anbau. Er hatte viel über die Geschichte der kleinen aufgelassenen Weingärten im Ort gehört. Die Stöcke, die einst den Haustrunk hergaben, tragen großteils rar gewordene Sorten, grauen Portugieser etwa und braunen Veltliner.
Er nennt sein Projekt zur Wiederbelebung der Weingärten, bei der ihn die Winzer Tom Dockner und Jürgen Leitameyer unterstützen, „Die vergessenen Gärten“, und sein Ziel ist nicht, den Winzerfürsten der Region Konkurrenz zu machen, sondern herauszufinden, „wie das ursprüngliche Traisental geschmeckt hat“ – eigenwillig jedenfalls, voller Spannkraft und leichter als der Kanon der Gegenwart.
Lassen wir Mike Nährer noch ein Stück jünger werden. Im Jahr 2007 kehrt er von einer mondänen Karriere nach Rassing zurück und steigt im Gasthaus der Eltern ein. Davor hatte er in absoluten Spitzenküchen gelernt: im Landhaus Bacher in der Wachau, bei Christian Petz im Meinl am Graben, bei Walter Eselböck am Neusiedler See, aber auch bei den Giganten Marc Veyrat und Ferran Adriá.
Jung und wild
Er war jung und wild und nicht mehr der Michael, sondern der Mike. Zum Glück war in den Jahren nach 2000 in der Küche alles erlaubt. „Wir wollten einfach nur leiwand sein und super cool, und ich habe mich ziemlich ausgetobt.“ Dabei, gibt Mike Nährer, der 2006 auch einen Bewerb um den „Jungen Wilden des Jahres“ gewann, zu, habe er auch „viel Blödsinn“ gemacht. Er grinst und blickt in ein Gesicht, das um Antwort fleht. „Na ja, also Schokokuchen mit Kreneis oder blau gefärbter Meerwasserschaum, das Ärgste war aber Bananensplit mit Lachsforelle“. Doch dann war ihm die verrückte Spitzenküche nicht mehr so wichtig. Er wollte ein gut geerdetes Gasthaus machen, so wie der Floh in Langenlebarn oder der Sodoma in Tulln. Er war ein „Wirtshauskind“, wie er sagt, das sich ein späteres Leben als Wirt nicht austreiben ließ. Auch wenn die Mutter das Gasthaus um acht Uhr früh aufsperrte und der Vater erst um 2 Uhr nachts das Licht ausknipste. Auch wenn er jedes Jahr am Heiligen Abend zittern musste, weil nicht klar war, „ob die Eltern die letzten Gäste bis zur geplanten Bescherung um 18 Uhr aus der Stube rauskriegen“.
Jedenfalls hat er früh gelernt, dass ein Gasthaus „eigentlich das einzig echte soziale Netzwerk ist, wo man hingeht, wenn man etwas erfahren oder etwas erzählen will“. Dass das in Rassing so bleibt, hat er selbst entschieden: „Ich hätte 2007 nach New York gehen können, aber dann würde es das Gasthaus Nährer heute nicht mehr geben.“
Am nächsten Sonntag lesen Sie: Schneyder beim Wirt z‘Neuhausen
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