Braucht es Milliarden für den Radverkehr in Niederösterreich?

445.000 Niederösterreicherinnen und Niederösterreicher nutzen mehrmals wöchentlich das Rad – um 100.000 mehr als vor 15 Jahren. Klar, Radfahren ist gesund und schont das Klima. Dennoch sehen sich viele Radler aufgrund von Versäumnissen der vergangenen Jahrzehnte einer schlechten Infrastruktur gegenüber.
„Wir haben 70 Jahre lang einseitig beim Auto massiv ausgebaut“, sagt Verkehrsplaner Harald Frey von der TU Wien. „Jetzt muss man versuchen, das nachzuholen, was man 50 bis 70 Jahre verabsäumt hat.“
Tatsächlich startete das Land eine Radweg-Offensive. Bis 2030 sollen etwa 200 Kilometer hochrangige Fahrradinfrastruktur geschaffen werden. Konkret sind neben dem Ausbau des Basisnetzes auch elf Radschnellwege geplant.
Aktuell starten Planungsgespräche mit den ersten Gemeinden rund um Wien. Ziel ist es, den Anteil jener Wege, die etwa mit dem Rad zurückgelegt werden, zu verdoppeln. Aktuell liegt dieser bei mageren sieben Prozent. Aber wie soll das funktionieren?
Dafür wurden in den vergangenen zwei Jahren 35 Millionen Euro investiert, für 2023 sind mehr als 10 Millionen Euro budgetiert.
Viel Geld, doch auch genug? Immerhin kostet ein Kilometer baulich getrennter Radweg im Ortsgebiet rund 580.000 Euro. „Das ist viel zu wenig. Es ist einiges nachzuholen“, urteilt Karl Zauner von der Radlobby Niederösterreich. Schließlich gebe das Land für den Kfz-Verkehr rund 450 Millionen Euro jährlich aus.
Milliarden-Aufwand
In einer aktuellen Studie im Auftrag des Klimaschutzministeriums und der Bundesländer, die auf der Webseite der „Radkompetenz Österreich“ einsehbar ist, wurde errechnet, dass Investitionen von bis zu 1,7 Milliarden Euro in Infrastruktur und Personal notwendig wäre, um NÖ bestmöglich radverkehrsfit zu machen. In den Ortsgebieten, so die Kalkulation der Autoren, fehlten 850 Kilometer an baulich getrennten Radwegen; außerhalb seien es 3.230 Kilometer.
„Das ist eine Herkulesaufgabe für das Land und man muss die Gemeinden dabei mitnehmen“, sagt Frey. In NÖ sind nämlich die Kommunen für den Ausbau der Radwege zuständig, das Land fördert mit bis zu 80 Prozent der Investitionskosten. Potenzial wäre da. „Ein Drittel der Autofahrten könnte ich problemlos auf das Rad verlagern“, meint der Experte.

Keine Umwege
Alltagstauglich müssten die Radwege aber jedenfalls sein. Strecken hinter Äckern, die erst recht wieder in eine Landesstraße mündeten, würden die Menschen nicht zum Radfahren bringen, meint Frey.

Und der Netzcharakter sei entscheidend. Wichtig sei vor allem die Verbindung zwischen den Orten „parallel zu den gut ausgebauten Landesstraßen“. Da brauche es baulich getrennte Radwege.
Hier sieht Radlobby-Chef Zauner noch großen Handlungsbedarf. Bei den Landesstraßen sei zwar das Land Straßenerrichter und Betreiber, für die Radwege seien aber trotzdem die Gemeinden zuständig. Das müsse geändert werden, fordert er. Zumindest bei jedem Neubau oder jeder Sanierung solle das Land selbst Radwege errichten. Dem erteilt das Land jedoch gleich eine Abfuhr. Das entspräche nicht der „Prämisse des sorgsamen Umganges mit Steuergeldern“, heißt es. Man unterstütze die Gemeinde aber bei den Planungen.
Wenig Wissen
Doch die Kommunen seien vielfach nicht willens oder überfordert, meint Zauner, der auch bis zu 90 zusätzliche Fachleute in den zuständigen Straßenverkehrsabteilungen fordert. Dann würden viele Planungsfehler nicht passieren (siehe Infobox). „Bei jeder Verkehrsverhandlung sollten Planer und Sachverständige mit dem Rad vor Ort sein“, meint Zauner. Viele Wege seien nämlich eigentlich untauglich für Radler. Etwa, weil sie zu schmal sind.
Für TU-Experten Frey braucht es nun jedenfalls eine konsequente Netzplanung. Und auch mehr (finanzielle) Anreize, zusätzliche Maßnahmen umzusetzen, die den Autoverkehr unattraktiver machen würden. „Damit die Nutzung eines Verkehrsmittels steigt, muss ein anderes unattraktiver werden“, erklärt er.
Nicht immer glücken Radweg-Projekte in Niederösterreich. Immer wieder wenden sich Radler an die Radlobby, die Beispiele sammelt. Es gibt aber auch erfreuliche Nachrichten.
Schlechte Lösungen
An der B53 in Wiener Neustadt wurde ein nur 90 Zentimeter breiter Radstreifen geplant. Die Richtlinien sehen eigentlich 1,5 bis 3,3 Meter Breite bei Radwegen vor. Ein Radhighway muss sogar vier Meter breit sein.
Am neuen Radweg entlang der B17, ebenfalls in Wiener Neustadt, müssen Radfahrer bei der Kreuzung mit der Stadionstraße eine Kante im 90-Grad-Winkel überwinden. Das sei laut Radlobby gefährlich. Man sei aber verpflichtet, dort zu fahren.
Bei der Sanierung der LB 54 in Warth im Pittental wurde laut Radlobby auf einen Radweg verzichtet. Schüler und Einkäufer müssen auf den EuroVelo 9 auf der anderen Seite der Pitten ausweichen.
Beim Ausbau der Pottendorfer Linie sowie der Nordbahn werden laut Radlobby Unterführungen und Brücken ohne Geh- und Radweg gebaut, etwa in Ternitz und in Ebreichsdorf.
Bei der Neugestaltung der B40 von Ladendorf nach Mistelbach wurde der bisher genutzte Radweg EuroVelo 9 verlegt. Nun wird er laut Radlobby nicht mehr von Schülern genutzt.
Der Begleitweg zur B4 bei Stockerau, den auch Radfahrer nutzen, bietet keine adäquate Lösung. Er mündet bei den Auf- und Abfahrten in die Straßenrampen – entgegen der Fahrtrichtung.
Gute Lösungen
Ab dem Frühjahr ist eine durchgängige Radverbindung von Mödling bis Heiligenkreuz im Bezirk Baden gegeben. Es wurde ein straßenbegleitender Radweg errichtet.
Im Zuge des viergleisigen Ausbaus der ÖBB-Südbahn zwischen Wien Meidling und Mödling soll auch ein bahnbegleitender Radschnellweg errichtet werden.
Wichtig ist auch ausreichend geschultes Personal für die Projektplanung: Traiskirchen hat hier eine eigene Vollzeit-Dienststelle in der Verwaltung geschaffen und große Summen für den Radwegeausbau 2023/2024 budgetiert.
In Schrems, Bezirk Gmünd, wird eine neue Radverbindung in Nord-Süd-Richtung durchs Zentrum entstehen.
In Wiener Neustadt wurden nun fast alle Einbahnen für den Radverkehr geöffnet.
St. Pölten hat ein massives Ausbauprogramm für 2023/2024 geplant.
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