Armut in Niederösterreich: Wenn sogar acht Euro unleistbar werden
Zu Mittag wird es eng in dem kleinen Geschäft. Eine Frau befühlt eine Packung Toastbrot, andere Kunden schauen, ob sie im Obst- und Gemüseregal noch Ware ergattern können. Doch bis auf einen Korb voll braun-fleckiger Bananen herrscht dort gähnende Leere.
„Wenn man in den Supermarkt geht, merkt man, es geht sich nicht mehr aus“, erzählt eine junge Mutter. „Das ist schlimm.“ Seit vorigen Herbst kommt sie zwei Mal pro Woche in den Soogut-Sozialmarkt in Mödling. „Ich verdiene halt nicht so viel. Ich arbeite 20 Stunden, habe drei Kinder und einen Mann, der gerade arbeitssuchend ist“, sagt sie. Die Teuerungen bei Gas und Strom könne sie trotz günstiger Wohnkonditionen nicht ausgleichen.
Kein Geld für Discounter
Die Teuerungswelle stellt immer mehr Menschen vor unlösbare Herausforderungen. Wie eine aktuelle Sora-Befragung unter Klienten der Sozialberatungsstellen der Caritas zeigt, können sich drei von vier Betroffenen nicht einmal jeden zweiten Tag eine Hauptmahlzeit leisten.
Im Soogut-Markt in Mödling stellt Marktleiterin Nazife Asik mittlerweile zwei bis drei Mal am Tag neue Einkaufspässe aus. Wer als Ein-Personen-Haushalt weniger als 1.392 Euro zur Verfügung hat, ist zum Einkauf berechtigt. „Die Armut wächst“, sagt Asik. „Im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie hat sich die Zahl der Kunden verdoppelt.“ Ihr Geschäft sei gut bestückt, aber es reiche trotzdem von vorne bis hinten nicht, um alle zu versorgen.
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Es sind vor allem Frauen, die betroffen sind. Alleinlebende Pensionistinnen, Alleinerzieherinnen, aber auch Familien mit vielen Kindern. „Mir hat letztens eine Mutter gesagt, dass dank uns jedes ihrer Kinder ein ganzes Joghurt essen kann“, erzählt Asik. Solche Aussagen machen selbst eine erfahrene Marktleiterin wie sie betroffen.
Im Schnitt bezahlen die Kunden für einen Einkauf im Soogut-Sozialmarkt acht Euro. Und trotzdem gibt es Menschen, die am Ende des Monats kein Geld übrig haben, um sich die Waren leisten zu können, weiß auch Wolfgang Brillmann, Geschäftsführer der Soogut-Sozialmärkte.
35 Sozialmärkte und Lebensmittelausgabestellen werden beim Land NÖ ausgewiesen. Bei den zwölf Soogut-Märkten in NÖ und dem Burgenland sowie den neun mobilen Verkaufsstellen werden zwischen 20 und 40 Prozent mehr Kunden gezählt. Wurden 2021 noch 215.000 Einkäufe getätigt, waren es 2022 schon 290.000.
Auch heuer ist ein starker Anstieg zu bemerken. „Vielen Menschen geht nun das Ersparte aus“, sagt Brillmann. Während früher Grundnahrungsmittel wie Reis, Nudeln oder Milchprodukte beim Discounter gekauft werden konnten, müssen die Betroffenen nun fast alle Güter im Sozialmarkt erwerben. Sofern es sie dort dann auch gibt.
Zu wenig Obst und Gemüse
Denn während der Bedarf an Lebensmitteln steigt, haben die Spenden um fünf Prozent abgenommen, sagt Brillmann. „Signifikant weniger wird Obst- und Gemüse geliefert“, betont er. „Das schmerzt die Menschen wirklich sehr.“ Nun wollen die Soogut-Märkte direkt mit den Produzenten Kooperationen eingehen. Übrigens: Auch privat geerntetes Obst und Gemüse nehmen die Sozialmärkte gerne ab.
Armut
1.555.000 Menschen, das sind 17,5 Prozent der Bevölkerung, sind armuts- oder ausgrenzungsgefährdet. 201.000 Menschen, das sind 2,3 Prozent, haben so ein geringes Einkommen, dass wesentliche Güter oder Lebensbereiche nicht leistbar sind
Kinder
Mehr als ein Fünftel aller Armuts- und Ausgrenzungsgefährdeten sind zwischen 0 und 17 Jahre alt. Das sind 353.000 Kinder. Von in Ein-Eltern-Haushalten lebenden Kindern sind sogar 52 Prozent armuts- oder ausgrenzungsgefährdet
Was den Experten auffällt: Es kommen immer mehr Menschen, die trotz Job mit ihrem Geld nicht auskommen. „Vor vier, fünf, sechs Jahren war das noch anders“, schildert Brillmann.
Tatsächlich zeigt eine aktuelle EU-Studie dass österreichweit im Vorjahr 331.000 Menschen trotz Job armutsgefährdet waren – um 15 Prozent mehr als 2020. Insgesamt sind allein in NÖ 248.000 Menschen – und damit 15 Prozent der Bevölkerung – armuts- oder ausgrenzungsgefährdet.
Löchriges Netz
Während im Vorjahr Einkommensverluste durch Zuschüsse ausgeglichen werden konnten, schlägt die Teuerung heuer gnadenlos zu. Gleichzeitig ist das soziale Netz aufgrund der gekürzten Sozialhilfe in NÖ löchrig geworden. Dysfunktional sei diese, sagt Armutsexperte Martin Schenk.
„Sie ist eigentlich das letzte Fallnetz und sollte auf Krisen reagieren. Das funktioniert aber nicht, wenn es Obergrenzen gibt“, mahnt er dringend eine Reform ein. Aktuell wird etwa die Wohnbeihilfe von der Sozialhilfe abgezogen. Menschen in freifinanzierten Mietwohnungen wiederum haben überhaupt keinen Anspruch auf Wohnbeihilfen.
Das merkten auch die Verantwortlichen der Soogut-Märkte. Es gebe Menschen, die in WGs gezogen sind, weil sie sich eine eigene Wohnung nicht mehr leisten können.
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