Ein Beispiel für Neubergers „Sezierung“ der Alltagssprache: Im ersten Kapitel erstattet der Protagonist Anzeige bei der Polizei und wird gefragt: „Wann sind Sie geboren?“ Die Antwort: „Immer.“ Denn eigentlich müsste die Frage ja lauten: „Wann sind Sie geboren worden?“
Wer zum ersten Mal einen Text von Martin Franz Neuberger liest, könnte auf den ersten Blick den Eindruck gewinnen, dass er es selbst gar nicht so genau nimmt mit dem korrekten Sprachgebrauch – der Seewinkler verzichtet in seinen Büchern nämlich sowohl auf Großbuchstaben als auch auf Interpunktion.
Eigenwillige Schreibweise
Warum er das macht? „Das Faszinosum Sprache ist sicher nicht zu dem geworden, was es ist, weil man die Großschreibung und die Zeichensetzung entwickelt hat. Man kann beides weglassen, ohne dass die Sprache auch nur irgendetwas an Verständlichkeit oder an Möglichkeiten einbüßt. Warum soll man sich trotzdem solch unnötigen Ballast aufbürden?“, fragt Neuberger und gibt sich mit seinen Büchern selbst die Antwort.
„Die Grammatik und Wortbedeutung ist mir ganz wichtig. Letztere wird im täglichen Sprachgebrauch ja gerne vernachlässigt. Die Rechtschreibung reduziere ich aber auf die Dinge, die für die Sprache auch nützlich sind“, erklärt der frühere Mittelschullehrer.
Sein erstes Buch „das ungegenteil“ hat er 2006 veröffentlicht – damals war der heute 67-Jährige noch als Pädagoge tätig. „Die Schüler haben natürlich auch mitgekriegt, dass ich Bücher in dem Stil schreibe und haben mich darauf angesprochen. Aber das war mir natürlich sehr recht. Dadurch konnte ich im Deutschunterricht darauf aufmerksam machen, was eigentlich wichtig für das Verständnis ist und für die Information, die ich weitergeben möchte“, erzählt Neuberger.
Von dem her ...
Inspiration findet der St. Andräer täglich darin, wie seine Mitmenschen mit der Sprache umgehen: „Wir sprechen oft in Floskeln dahin und wenden Wortgruppen gedankenlos an. Ein Beispiel wäre das berühmte ‚von dem her‘. Da frage ich mich, ob das ‚dem‘ da drinnen gerechtfertigt ist. Im Buch gibt es dazu einen Dialog: Wer ist ‚dem‘ eigentlich?“
„umso sprache desto anarchie“ ist Martin Franz Neubergers zehnte Buchveröffentlichung, seit er mit 50 seine Autoren-Karriere vergleichsweise spät gestartet hat. Stilistisch ist er sich, kleingeschrieben und punktlos, immer treu geblieben. Genregrenzen hat er sich aber nie gesetzt. In Neubergers Bibliografie finden sich Kurzgeschichtenbände, Lyrik, Erzählungen und sogar ein ungewöhnlicher Reisebericht: „betrUGANDAmenschlichkeit“ hat Neuberger nach einer 19-tägigen Uganda-Reise mit seiner Tochter zu Papier gebracht. Martin Franz Neuberger schreibt nicht nur Bücher, er ist ein Mann zahlreicher Talente: Bis vor einigen Jahren hat er eine Bio-Landwirtschaft im Nebenerwerb geführt, außerdem baut er Sonnenuhren – diesem Hobby hat er mit „kein tag wie der andere“ ebenfalls ein Buch gewidmet. Bis zu seiner Pensionierung 2018 hat der Autor vom Zicksee auch Theaterstücke geschrieben und diese mit seinen Schülerinnen und Schülern auf die Bühne gebracht.
Auf der Bühne steht Martin Franz Neuberger bis heute selbst regelmäßig. Meistens gemeinsam mit seinem musikalischen Pendant Stefan Haider: Neuberger verfasst nämlich auch Liedertexte, zu denen Haider die passenden Melodien komponiert. Bei den Lesungen des St. Andräers ist daher auch immer sein Kollege mit der Gitarre dabei.
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