Buchhandel: Die Metamorphosen „des Nentwich“

Buchhandel: Die Metamorphosen „des Nentwich“
Das 1866 gegründete Traditionshaus in Eisenstadt wurde von Thalia übernommen. Die Branche ist besorgt.

Als der aus dem Mährischen zugereiste Emanuel Nentwich 1866 in Eisenstadt eine Buch- und Papierhandlung samt Druckerei und Buchbinderei gründete, trat im Schloss Fürst Nikolaus III. Esterhazy die Herrschaft an.

Wenn die Buchhandlung Nentwich am 20. Juli 2023 von Thalia, dem größten Sortimentsbuchhändler im deutschsprachigen Raum, übernommen wird, ist das mehr als das Verschwinden eines Familienbetriebs.

Es ist das Ende einer Institution.

Als der KURIER am Samstag mit Norbert Lattner spricht, der das Unternehmen 2001 von seiner Mutter Eva Lattner, einer geborenen Nentwich, in fünfter Generation übernommen hat, sind die Tage des „Rotz-und-Wasser-Weinens“ vorbei.

Verantwortung vs. Schmerzen

Natürlich habe es geschmerzt, die älteste Buchhandlung des Landes zu verkaufen. Aber er sei auch froh, Belastung und Verantwortung nicht mehr tragen zu müssen und nicht in Versuchung zu geraten, seinen Kindern dereinst beides aufzuhalsen.

Die Firma habe Corona trotz anfänglich ärgster Befürchtungen zwar wirtschaftlich gut überstanden, aber die 12-Stunden-Tage hätten sehr an seiner und der Substanz seiner Familie gezehrt, bekennt Lattner.

Gespräch im Garten

Und: Die Zeiten für lokale Buchhändler würden immer schwieriger und arbeitsreicher. Soll er sich künftig auch um Influencer, Podcasts und andere absatzsteigernde Maßnahmen kümmern? „Das bin ich nicht“, schüttelt Lattner den Kopf.

Als Thalia vor einem Jahr bei ihm anklopfte, habe er mit seiner Frau beschlossen, „sich das einmal anzuhören“. Vom ersten Gespräch an, das in seinem Garten geführt wurde, habe sich das „gut angefühlt“, zumal der neue Eigentümer alle 16 Nentwich-Mitarbeiter übernimmt.

Über den Kaufpreis wird geschwiegen, mit dem Burgenland erobert Thalia das letzte Bundesland.

Nentwich lebt weiter

„Richtig gefreut haben wir uns nicht“, sagt Gunter Drexler zum Deal. Der Pinkafelder, dessen Buchhandlung Desch-Drexler seit 1937 besteht, ist auch Obmann der Buch- und Medienwirtschaft in der Wirtschaftskammer. Landesweit gebe es nur noch eine Handvoll eigentümergeführter Buchhandlungen.

Wenn die Entwicklung so weiter gehe, „kann‘s passieren, dass es irgendwann keine mehr gibt“, befürchtet Drexler. Mit dem Ansinnen einer Senkung der Mehrwertsteuer von zehn auf fünf Prozent sei man bisher nicht durchgedrungen.

Buchhandel: Die Metamorphosen „des Nentwich“

Norbert Lattner hat zwar das Buchgeschäft Nentwich verkauft, bleibt aber Händler 

Was macht Norbert Lattner in Zukunft? Ein Jahr lang berät er die neuen Eigentümer Thalia, in erster Linie macht er aber sein bisheriges Nebengeschäft zur Hauptsache: Das Merchandising für Veranstaltungen im Römersteinbruch, auf der Seebühne Mörbisch und bei Festivals von Ewald Tatar. All das unter dem Firmennamen Nentwich. Lattner: „Das habe ich meiner Mutter versprochen.“

„Das Buch wird nicht aussterben“

Steinberg-Dörfl: Der 31-jährige Felix Emmer hat die Buchhandlung von seiner Mutter übernommen

Dass er einmal Buchhändler werden würden, war nicht geplant. Felix Emmer hat Wirtschaftsinformatik studiert, danach war er in der IT-Branche tätig. „Als meine Mutter   gefragt hat, ob ich das Geschäft übernehmen will, habe ich gleich ja gesagt“, schildert der 31-Jährige. Den Sprung ins kalte Wasser habe er nie bereut. Von seiner Mutter Herta Emmer hat er vor rund vier Jahren die „Buchwelten“  in Steinberg-Dörfl übernommen. Etwa 6.000 Buchtitel finden Kunden in seinem Geschäft.

Buchhandel: Die Metamorphosen „des Nentwich“

Setzt gegen Onlinehandel auf viel Service: Felix Emmer

Der stationäre Handel allein sei aber zu wenig. Auch bei Emmer können alle Bücher online bestellt werden und an Wochenenden ist er mit  Büchertischen bei Veranstaltungen. Auch in  Schulen und Kindergärten bietet er Lektüre an. „Wir bieten persönliches Service und sind nicht teurer als Amazon“, sagt Emmer.

„Meine Kunden möchten auch, dass das Geld im Burgenland beziehungsweise im Bezirk bleibt“. Prophezeiungen,  das Buch habe mangels Leser bald ausgedient, erteilt er eine Abfuhr: „Das wurde in den  vergangenen 50 Jahren   tausendmal behauptet, aber das Buch wird auch in Zukunft nicht aussterben.“
Mitarbeit: Claudia Koglbauer
 

 

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