Was die Pflege in Österreich braucht

Pressekonferenz der motiv.allianz.pflege "Was die Pflege in Österreich braucht" - Foto v.l.n.r.: Josef Zellhofer, Vorsitzender der ÖGB/ARGE-FGV Ursula Frohner, Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbandes Markus Mattersberger, MMSc MBA, Präsident Lebenswelt Heim Bundesverband Silvia Rosoli, AK Wien, Schwerpunkt Pflegepolitik Walter Marschitz, Geschäftsführer Sozialwirtschaft
5 Forderungen zur Pflegereform an Sozialminister Rudolf Anschober und die neue Bundesregierung

Pflege und Betreuung zählen in Österreich zu den größten sozialen Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte. In der motiv.allianz.pflege wenden sich mehrere Interessensverbände nun mit ihren gemeinsamen Forderungen an den Sozialminister und bieten ihre Expertise und Mitarbeit bei der dringend notwendigen Pflegereform an.

„Es braucht ein ganzes Bündel an Maßnahmen, um die Pflege in Österreich zukunftsfit zu machen! Wer die Herausforderungen in der Pflege und Betreuung ernst nimmt und insbesondere auch die Belastungen pflegender Angehöriger anerkennt, muss in die Zukunft der professionellen Pflege investieren“, sind sich die Partner der motiv.allianz.pflege einig und bieten Sozialminister Rudolf Anschober ihr breites Know-how zur Gestaltung dieses Sektors in Österreich an: Sozialwirtschaft Österreich (SWÖ), Lebenswelt Heim – Bundesverband, Österreichischer Gesundheits- und Krankenpflegeverband (ÖGKV), AK Wien – Gesundheitsberuferecht und Pflegepolitik und ÖGB ARGE FGV (Fachgruppenvereinigung) für Gesundheit & Sozialberufe.

Am 22. Jänner präsentierten sie in Wien fünf gemeinsame Forderungen zur Pflegereform.

Fünf Forderungen zur Pflegereform

Die dringend notwendige Pflegereform soll in einem strukturierten Prozess unter Einbindung der relevanten Stakeholder und ExpertInnen erarbeitet werden.
Neben Fragen der Organisation und Finanzierung sind auch das Leistungsversprechen des öffentlichen österreichischen Pflegesystems und die Definition von Pflegequalität zu klären. Das Leistungsvermögen unseres Systems hinkt jedoch bereits deutlich hinter den Erfordernissen her. So können in österreichischen Pflegeheimen aktuell ca. 1.500 Betreuungsplätze auf Grund von Personalmangel nicht an pflegebedürftige ältere Menschen vergeben werden. Der bisherige Anspruch, dass die Familie ihre pflegebedürftigen Angehörigen versorgen soll, stimmt weder mit den Lebensrealitäten des 21. Jahrhunderts überein, noch mit der demographischen Alterung und der damit verbundenen, zu erwartenden hohen Pflegebedürftigkeit. Der soziodemographische Wandel ist begleitet von einem gesellschaftlichen – hin zu einer Singularisierung der Haushalte, weniger Nachkommen, Zuzug in die Städte und einer Berufstätigkeit der Frauen. „Deshalb ist es erforderlich, dass wir unser System diesen Entwicklungen anpassen und wie in den nordischen Ländern die professionelle (Langzeit-)Pflege ausbauen!“ betont Markus Mattersberger, MMSc MBA, Präsident des Lebenswelt Heim – Bundesverbandes.

Erforderliche Sofortmaßnahmen und eine Personalaufstockung um 20 Prozent.

Da eine seriös vorbereitete nachhaltige Pflegereform Zeit braucht, zahlreiche Probleme aber bereits jetzt akut bestehen, fordern die Allianz-Partner auch kurzfristig umsetzbare Maßnahmen. Im Mittelpunkt steht dabei der drängende Personalmangel, der weitere Belastungsfaktoren wie erhöhten Arbeitsdruck, Notwendigkeit des Einspringens in geplanter Freizeit etc. nach sich zieht. „Im Pflegebereicht herrscht Alarmbereitschaft! Aufgrund der vorherrschenden Bedingungen kommt es immer öfter zu Bettensperren, da das vorhandene Personal nicht mehr länger in der Lage ist, die Strukturdefizite zu kompensieren und seine Aufgaben zu erfüllen. Neben Sofortmaßnahmen braucht es eine Personalaufstockung um 20 Prozent quer über alle Bundesländer, Bereiche und Institutionen, sowie eine Ausweitung von Ausbildungsplätzen in allen Bundesländern“, so Josef Zellhofer, Bundesvorsitzender der ÖGB ARGE Fachgruppenvereinigung für Gesundheits- und Sozialberufe. Zur Feststellung des Personalbedarfs braucht es die Entwicklung und verpflichtende (!!) Einführung, einer bundesweit einheitlichen, bedarfsorientierten Methodik zur Personalberechnung. Diese Erfordernis besteht sowohl für den intra- als auch den extramuralen Bereich des Gesundheitswesens und der Langzeitpflege.

Die Wege in die professionelle Gesundheits- und Krankenpflege müssen attraktiver und ausgebaut werden.

Die demografische Entwicklung sowie die Tatsache, dass im nächsten Jahrzehnt rund ein Drittel der Pflegekräfte das Pensionsalter erreichen wird, erfordern ein rasches Handeln. Ab Herbst 2020 wird zusätzlich zu den bestehenden drei Qualifikationsstufen in Gesundheits- und Krankenpflegeberufen eine Ausbildung an Höheren Lehranstalten (HLA) für Sozialbetreuung und Pflege angeboten. Sie schließt mit Matura ab und bietet den direkten Anschluss an das Regelschulwesen und das Erlangen der Hochschulreife. „Im Rahmen einer umfassenden Ausbildungsoffensive sind jedoch auch Berufsumsteiger durch bessere Fördermaßnahmen zu gewinnen – bei vollem Zeit- und Lohnausgleich und in allen Ausbildungsvarianten und Qualifikationsstufen“, so Ursula Frohner, Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbandes – ÖGKV. Die in Aussicht gestellten 500 Community Nurses, vernetzt mit regionalen Angeboten der medizinischen Versorgung, etwa den Primärversorgungszentren und den mobilen Pflegediensten, sowie dem Bereich der Sozialarbeit bieten viele Optionen, damit pflegerische Leistungen bei den Menschen ankommen.

Es muss ein wirkungsvolles Steuerungsinstrument für die Pflege in Österreich geschaffen werden.

Durch die Zersplitterung der Kompetenzen gibt es in Österreich derzeit keine Institution, die für das Thema Langzeitpflege sowie Pflege insgesamt hauptverantwortlich zeichnet und daher die Entwicklung in diesem Bereich vorantreibt. „Ein zentraler Punkt einer Pflegereform müsste es sein, das Zusammenspiel aller Akteure auf neue Beine zu stellen und Doppelgleisigkeiten ebenso zu vermeiden, wie Halb- und Unzuständigkeiten. Es sollte eine Institution geben, die für die Koordination, Steuerung, Qualitätssicherung und Weiterentwicklung der Pflege in Österreich hauptverantwortlich ist. Das kann ein Sozialversicherungsträger sein, es gibt aber auch andere Alternativen (z.B. Aufwertung des Pflegefonds zu einer Institution, Bundesinstitut „Pflege Österreich“, etc.). Selbst wenn ein Sozialversicherungsträger (wie die AUVA) diese Rolle übernehmen würde, heißt das noch lange nicht, dass Österreich – ähnlich wie Deutschland – eine echte Pflegeversicherung einführen muss“, führt Mag. Walter Marschitz, Geschäftsführer der Sozialwirtschaft Österreich – SWÖ aus. Zu verstehen wäre solch eine Institution als Netzwerkknoten, um „das Beste aus allen Systemen“ zusammenführen. Wesentliche Zielsetzungen wären z.B. die Sicherung und der Ausbau der Qualität der Versorgung, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Beschäftigte (realistische Personalschlüssel etc.) oder der Abbau der starken regionalen Unterschiede im Pflegesystem.

Finanzierung der Betreuung und Pflege in Österreich sind nachhaltig sicherzustellen – Investitionen in die Pflege zahlen sich aus!

Die Bevölkerung und auch die Menschen, die in der Betreuung und Pflege arbeiten, brauchen dringend die Gewissheit, dass sich nachhaltig etwas verbessern wird. Deswegen muss die Finanzierung auf breiter Basis sichergestellt werden. Der Handlungsdruck ist aufgrund der rasanten demografischen Entwicklung bereits enorm.
Warum man sich vor großen Investitionen in die Pflege nicht fürchten muss, zeigt Mag. Silvia Rosoli auf, Abteilungsleiterin der AK Wien - Gesundheitsberuferecht und Pflegepolitik:

  • hohe Rückflussquote in öffentliche Haushalte (70 Prozent s. WIFO )
  • Stärkung strukturschwacher Regionen (gut für den ländlichen Raum, s. WIFO1)
  • Ausgaben für die Pflege waren schon höher (Entwicklung BIP-Anteil öffentliche Kosten für LZP lt. OECD, s. Fact Sheet)
  • andere Länder geben deutlich mehr aus (s. Fact Sheet)
  • die Menschen brauchen diese Dienstleistungen

„Nur mit ausreichenden Investitionen können Menschen gewonnen und gehalten werden, in der Pflege zu arbeiten. Ausreichend budgetäre Mittel sind aber Voraussetzung für bedarfsgerechte Pflege und attraktive Arbeitsbedingungen“, so Rosoli abschließend.

Für eine umfassende Diskussion dieser Themen bieten die Partner der motiv.allianz.pflege ihre Expertise an und ersuchen Sozialminister Anschober, die träger- und settingübergreifende Interessensvertretung in die angekündigte Task Force Pflege einzubinden.

Sie können die Veranstaltung nachhören unter https://www.o-ton.at/ Die Registrierung ist für Journalisten unverbindlich und kostenlos.

https://www.lebensweltheim.at/

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