Wissen/Gesundheit

SOS der Psyche: Wo Krisengebeutelte jetzt Hilfe finden

Rund 700 Menschen werden in der Wiener Psychotherapeutischen Ambulanz momentan versorgt. Täglich reges Treiben in den hellen Altbauräumen wäre die Folge – normalerweise. Wegen des Coronavirus bleibt das Wartezimmer nun aber meist so gut wie leer, schildert Markus Daimel, fachlicher Leiter der Einrichtung im dritten Bezirk: "Als Ambulanz dürfen wir den Betrieb zwar aufrechterhalten. Um ansteckungsfreie Therapie zu ermöglichen, müssen wir uns aber an Hygiene- und Sicherheitsstandards anpassen."

Patienten und Personal sind angehalten, keinesfalls zu früh zu den präzise getakteten Terminen zu erscheinen, Mund und Nase zu bedecken. Eigens eingebaute Filteranlagen sorgen für sicheres Raumklima. Am Eingang finden automatisch Fiebermessungen statt, Flächen werden nach jeder Therapie (mit zwei Metern Sitzabstand) desinfiziert.

Das Besondere an der Ambulanz, die Einzel-, Familien- und Paartherapien sowie Gruppensitzungen anbietet: Therapien zu mehrt – derzeit mit maximal neun Personen – sind für alle Versicherten der Österreichischen Gesundheitskasse kostenlos. Die übrigen Therapien stehen einkommensabhängig vergünstigt zur Verfügung.

Begleitung am Display

Für gewöhnlich dürfen Psychotherapeuten nicht aus der Ferne behandeln. Schon zu Beginn der Corona-Krise wurde dieses Verbot aufgehoben. Die sogenannte Teletherapie gewinnt auch in der Ambulanz zunehmend an Bedeutung: "Jeder, der entweder Risikopatient ist, gefährdete Angehörige hat oder angesichts der Lage eine virtuelle Therapie bevorzugt, wird selbstverständlich telefonisch oder per Videochat begleitet."

Eine Online-Therapie wird über Softwares wie Therapsy oder Zoom organisiert, der Ablauf bleibt unverändert. Dass auch sie wirkt, haben Psychologen der Universität Salzburg kürzlich mit einer Studie ermittelt. "Das Angebot wird als enorm entlastend erlebt", weiß Daimel von positiven Rückmeldungen zu berichten. Auch, wenn Online-Kontakte "das persönliche Gespräch nie dauerhaft ersetzen können".

Psychosoziale Unterstützung ist dieser Tage gefragt wie nie. Laut WHO steigt die Zahl der psychischen Erkrankungen durch den Ausnahmezustand stark an. "Die Pandemie ist ein für uns alle noch nie da gewesenes Ereignis, das uns hohe Anpassungsleistungen abverlangt", sagt Daimel. Vieles, was sonst Entlastung bringt – Freunde treffen, Reisen, Restaurantgenuss, Zerstreuung im Theater oder Kino –, ist jetzt nicht möglich. Das sorgt für Verunsicherung, Stress und Angstgefühle. "Psychisch nicht aus dem Gleichgewicht zu kippen, ist eine Herausforderung", sagt der Experte. "Man fühlt sich ausgeliefert, hilflos, eingeschränkt und bevormundet. Das hat Auswirkungen auf das seelische Wohlbefinden."

Nicht jede depressive Verstimmung sei automatisch eine krankheitswertige Störung: "Wenn man aber die Tagesstruktur nicht mehr aufrechterhalten kann, sich kraft-, mut- und antriebslos fühlt, und Angst, Wut oder Resignation überhandnehmen, sollte man sich Hilfe holen."

Wien: Psychotherapeutische Ambulanz, 01/710 57 64

Burgenland: Institut für Psychotherapie im ländlichen Raum, 02682/24 690

Niederösterreich: Krisenhilfe Niederösterreich, 0800/20 20 16

Oberösterreich: Krisenhilfe Oberösterreich, 0732/2177

Salzburg: Ambulante Krisenintervention der Pro Mente Salzburg, 0662/433 351

Steiermark: Kriseninterventionsteam Steiermark, 0800/500 154

Tirol: Hotline des Psychosozialen Krisendienstes, 0800/400 120

Kärnten: Psychiatrischer Not- und Krisendienst für Kärnten, 0664/300 70 07

Vorarlberg: Sozialpsychiatrischer Dienst Bregenz, 050/411 690

Mangelversorgung

Die gute Nachricht für alle Wienerinnen und Wiener: "Wir konnten in der Ambulanz vergangenes Jahr unsere Leistungen aufstocken und so um 200 Patienten mehr pro Woche behandeln beziehungsweise geringere Wartezeiten garantieren." Auch aktuell stünden noch freie Plätze zur Verfügung.

Die Einrichtung bildet die Ausnahme der Regel: Schon vor der Pandemie waren in Österreich 1,2 Millionen Menschen von einer psychischen Erkrankung betroffen. Bundesweit gibt es 80.000 vollfinanzierte Kassenplätze, der Großteil der Betroffenen muss selbst tief in die Tasche greifen. Wie schnell man kostenlos psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen kann, hängt vom Wohnort ab. Die Plätze sind durch die Krankenkassen je nach Bundesland unterschiedlich kontingentiert: Betroffene in Salzburg haben die besten Chancen auf einen kassenfinanzierten Platz – am längsten wartet man in Wien, wo oft schon Ende des Frühlings alle Plätze für das restliche Jahr vergeben sind.

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Zuversicht stärken

Der Österreichische Bundesverband für Psychotherapie fordert seit geraumer Zeit eine nachhaltige Finanzierung von ausreichend Psychotherapieplätzen. Wer Psychotherapie benötigt, sollte diese rasch und unbürokratisch erhalten.

Lange Wartezeiten bergen die Gefahr, dass Beschwerden schlimmer oder chronisch werden, weiß Daimel: "Je früher man sich Unterstützung holt, desto schneller kann man den Weg aus der Krise finden."

Wer sich an trüben Tagen im Lockdown nach Auftrieb sehnt, kann auch selbst aktiv werden: "Im Idealfall plant man genug Zeit für körperliche Aktivität ein. Das muss nicht zwingend Sport sein. Oft hilft ein Spaziergang an der frischen Luft." Daimel rät zur digitalen Kontaktpflege: "Der Austausch mit Nahestehenden ist wichtig – aber bitte nicht nur über Corona. Man mag es gegenwärtig womöglich nicht so wahrnehmen können, aber unser Leben hat noch mehr zu bieten."

Sich zwei Mal täglich über den Nachrichtenstand zu informieren, reiche aus. Davon abgesehen: "Seien Sie sich selbst ein liebevoller Begleiter und gehen Sie dem nach, was Ihnen guttut und Kraft gibt."

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