Wissen/Gesundheit

Ein neues Tool schätzt das Ansteckungsrisiko in Innenräumen ab

Wie hoch ist die Übertragungswahrscheinlichkeit von Covid-19 in den verschiedenen Innenräumen? Die Frage beschäftigt Forscher seit Beginn der Pandemie. Experten haben nun ein Online-Tool entwickelt, das genau dieses Risiko berechnen kann: Mit dem unter www.corona-rechner.at frei zugänglichen Instrument lässt sich das Ansteckungsrisiko mittels virenbeladener Aerosole vor allem für Schulklassen, Büro- und Vortragsräume, aber auch Sporteinrichtungen anschaulich abschätzen, erklärten die Initiatoren des Projekts im Gespräch mit der APA.

Der neue Rechner basiert auf Positionspapieren des Arbeitskreises Innenraumluft im Klimaschutzministerium, das auch die Erstellung des "VIR-SIM"-Rechners unterstützt hat, und weiteren Erkenntnissen etwa von Kommissionen und Experten aus Deutschland. Der Umweltmediziner Hans-Peter Hutter von der Medizinischen Universität Wien und der Leiter des Mess- und Beratungsservice Innenraum und des Österreichischen Instituts für Baubiologie und Bauökologie, Peter Tappler, und Kollegen haben sich darum bemüht, dieses gesammelte Wissen in einem übersichtlichen und für Laien nutzbaren Online-System zugänglich zu machen.

Referenzpunkt Maturaklasse

Um die Gleichung mit den vielen Variablen Luftwechsel, Raumvolumen, Lüftungsphasen, Anzahl der Personen im Raum, Arten der Atemaktivität, die Sprachaktivität bis hin zu lautem Singen oder das Tragen von Masken einordnen zu können, gibt es ein Referenzszenario: eine Maturaklasse, in der 25 Erwachsene bei 200 Kubikmetern Raumvolumen und bei Betrieb einer Lüftungsanlage anwesend sind. 24 Personen sitzen, während eine Person steht und spricht. Das Risiko, in genau diesem Setting über die Zeit hinweg durch virenbelastete Aerosolpartikel angesteckt zu werden, gilt als Referenzpunkt (R=1). Dies könne laut derzeitigem Forschungsstand als "akzeptables Risiko" angesehen werden.

Für "geringes Risiko" stehen Werte von 0,5 oder darunter, ab einem "R" von zwei oder darüber hat man es mit einem stark erhöhten Ansteckungsrisiko zu tun. Das virtuelle Spiel mit den Einflussfaktoren soll zeigen, wie man die Situation verbessern kann. So könnten Schuldirektoren beispielsweise verschiedene Lüftszenarien in Kombination mit verschiedenen Gruppenzusammensetzungen durchgehen. "Unser Tool ist anwenderfreundlich und liefert eine klare Aussage, die auch dem Laien verständlich ist", sagte Tappler. Bei all den Angaben dürfe man aber nie auf die Hygiene- und Abstandregeln vergessen, so Hutter.

Luftreiniger kein Ersatz für Lüften

Die wissenschaftlichen Basisinformation können zusätzlich in der Online-App nachgelesen werden. Wichtig sei von Forschungsseite zu betonen, dass etwa Luftreiniger kein vollwertiger Ersatz für das Lüften sind. Ideal sei eine Kombination aus Lüftungsanlage und Fensterlüften. Das gebe es in den meisten Klassenzimmern aber leider nicht. Auch sei bisher im Pandemieverlauf in Österreich wenig getan worden, um Geräte zur Raumluftreinigung zur Verfügung zu stellen, bemängeln Hutter und Tappler.

Für Hutter ist das Thema der oft schlechten Raumluft vor allem an Schulen ein Langzeitproblem: "Wir publizieren, erklären und stellen hier seit einem Jahrzehnt und mehr klar, dass es speziell in Bereichen, wo gelernt wird - sprich am Arbeitsplatz unserer Kinder - mechanische Lüftungsanlagen brauchen würde. Es ist - auch unabhängig von Corona - praktisch nicht gehört worden."

Geringe Risiken in Thermen, hohes im Fitnesscenter

Auf relativ "geringe Risiken" komme man beispielsweise bei der Simulation von Thermen. Rasch problematisch wird es hingegen dort, wo sich Menschen in Innenräumen sehr anstrengen, etwa in Fitnessräumen oder -studios. Auch wenn es hier Anlagen gebe, die aufgrund der technischen Ausstattung vorbildlich seien, sei der Aerosolausstoß insgesamt hoch. Daher müssen diese vermutlich noch länger auf Öffnung warten, glaubt Hutter.

Möglichst bald sollte man laut dem Umweltmediziner Bewegungsangebote für Kinder ermöglichen. Bei Kursen und Kinderturnen seien in der Regel nur wenige Kinder zugegen, deren Personaldaten bekannt sind, was Kontaktnachverfolgung oder "Nasenbohrer"-Eintrittstests erleichtere. "Man kann hier nicht zuwarten, das wäre indiskutabel", betonte Hutter.

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