Genusstraining: Alle Sinne bewusst einsetzen
Von Ingrid Teufl
Der schnelle Kaffee zwischendurch oder neben dem Computer das Mittagessen hinunterschlingen: Immer öfter erfordert es unser hektischer werdender Alltag, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun. Glauben wir. Beate Handler, klinische Psychologin und Psychotherapeutin, sieht das anders: "Wir leben in einer reizüberfluteten Zeit und haben verlernt, einzelne Dinge zu genießen."
Dabei wären Genussmomente im Alltag in unserer reizüberfluteten, schnelllebigen Zeit besonders wichtig. Die gute Nachricht: "Genuss ist immer möglich. Man kann genießen lernen. Und es braucht dafür keine großen finanziellen Ausgaben. Denn unser Alltag ist voll von Genussmomenten. Aber wir sind eben oft nicht im Hier und Jetzt, um sie wahrzunehmen", sagt Handler.
Auf der Suche nach den kleinen Freuden des Alltags setzen viele auf Genusstraining, um ihre Sinne wieder neu zu schärfen. "Der Großteil meiner Klienten ist durchaus sehr genussfähig, aber ihnen fehlt die Technik." Bei manchen reicht als Auffrischung, sich voll und ganz einer Frucht, etwa einer Erdbeere, zu widmen. Bei anderen wiederum ist Genuss eng mit schlechtem Gewissen verknüpft und sie müssen wirklich neu lernen, etwas zu genießen. "Hier geht es darum, zur Ruhe zu kommen und vorhandene Ressourcen auszuloten", erklärt Handler.
Mehrere Phasen
Der Geschmackssinn wird am häufigsten mit Genuss assoziiert und hier kann man auch viel ausprobieren und Tast- sowie Sehsinn aktivieren. Der Geschmacksforscher Univ.-Prof. Klaus Dürrenschmid, Department für Lebensmittelwissenschaften der Uni für Bodenkultur in Wien, betont, dass beim Genießen lernen mehrere Phasen berücksichtigt werden müssen: Vorfreude, die direkte Genussphase im Mund und die Entspannungsphase nach dem Essen. "Ein vollständiges Genusserlebnis sollte alle drei Phasen durchlaufen."
Am schnellsten spricht übrigens der Geruchssinn auf Sinnesschulung an. "Er ruft Erinnerungen und Assoziationen wach", sagt Handler. Und der Tastsinn wird am häufigsten vernachlässigt. "Wir setzen ihn sehr oft ein, aber es ist uns nicht bewusst."
Buchtipp: Beate Handler, Mit allen Sinnen leben. Tägliches Genusstraining. Goldegg-Verlag, 22 Euro
Sich selbst etwas Gutes tun
Genießen gelingt meist nicht einfach nebenbei. Was es für wahren Genuss braucht:
Zeit Für Genuss sind Freiräume wichtig. Es reicht, etwa beim Frühstück kurz innezuhalten und den Kaffeeduft wahrzunehmen. Oder den blauen Himmel am Weg zur Arbeit.
Erlaubnis "Man kann nur genießen, wenn man sich auch zugesteht, sich selbst etwas Gutes zu tun", sagt Genusstrainerin Beate Handler. "Beginnen Sie einfach, mit sich selbst liebevoll und fürsorglich umzugehen."
Aufmerksamkeit Wer sich immer nur auf eine Tätigkeit oder einen Gedanken konzentriert, kann das besser genießen.
Bedürfnisse kennen Wer weiß, was ihm gut tut, kann in unterschiedlichen Situationen auf verschiedene Genussmomente zurückgreifen.
Weniger ist mehr Ein Überangebot von Dingen, die wir mögen, erhöht nicht den Genuss – im Gegenteil. Handler: "Übersättigung hat oft nichts mehr mit Genießen zu tun. Aber Vorfreude ist ein ganz wichtiges Instrument und setzt die Ausschüttung von Glückshormonen in Gang."
Erfahrung Wie sehr wir etwas genießen können, hängt auch von früheren Erfahrungen in diesem Bereich ab. "Die Fähigkeit, etwa bei Kaffee oder Wein feine Unterschiede zu erkennen, erhöht den Genuss."